Das 4. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt war eine Hommage an die moderne Musik des 20. und 21. Jahrhunderts und lieferte gleichzeitig den Beweis, dass zeitgenössische Musik durchaus hörbar und faszinierend sein kann. Die den einzelnen Kompositionen zugrunde liegenden Themen passen überdies zur bevorstehenden Karnevalszeit, beschreiben sie doch rationale wie irrationale Befindlichkeiten und archaische Festlichkeiten, zu denen der Karneval – oder die „Fastnacht“ – ja ebenfalls gehört. Im Mittelpunkt des Solokonzerts standen Schlagzeug und Perkussion mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen, und als Solist hatte man sich den Nürnberger Spitzen-Schlagzeuger Peter Sadlo nach Darmstadt geholt. Die Internationalität der Komponisten – Finnland, Spanien und Italien – ergänzte der Gastdirigent Francesco Corti aus Mailand.
Am Beginn stand das einsätzige sinfonische Werk „Angels & Visitations“ des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara (*1928). Es beginnt mit verhaltenen Beckenschlägen und feinsten, aus der Ferne kommenden Streicherklängen in freier Metrik. Die Streicher schaffen ein dichtes, sanft wogendes Klanggewebe, das sich langsam zu einem Aufruhr steigert und dann wieder zu einem zarten Piano hinabsinkt. Erstaunlich ist angesichts der Entstehungszeit – 1978 – die tonale Struktur der Melodik und Harmonik. Dabei wechseln sich immer wieder lyrisch-leise mit kontrastreichen, dissonanten Passagen ab. Einige Stellen erinnern sogar an Mahlers Sinfonik. Der Komponist vertont damit transzendentale Vorstellungen, die jedoch, anders als der Titel vermuten lässt, keine programmatische Eigenschaft aufweisen. Rautavaara wollte damit Bewusstseinszustände vertonen, die sich nicht in Worte fassen lassen und mit Begriffen wie „Engel“ nur ansatzweise zu beschreiben sind. Das Orchester folgte den feinen Klanggebilden bis ins letzte Detail, und Dirigent Corti achtete darauf, dass jede einzelne Klangfärbung nachhaltig herausgearbeitet wurde.
Im Anschluss daran stand das Konzert für Schlagwerk und Orchester „Focs d´artifici“ des spanischen Komponisten Ferran Cruixent (*1976) auf dem Programm, das erst 2008 uraufgeführt wurde. Es unterteilt sich in drei aufeinanderfolgende musikalische Beschreibungen der Bewusstseinszustände „rational“, „emotional“ und „irrational“, in der Komposition jeweils übertitelt mit“Fanfara de fusta“, „Font màgica“ und „Correfocs“. Der erste Satz beginnt mit dem Einmarsch des Solisten als Trommler, den das Orchester mit einem fanfarenartigen Motiv begleitet. Dann begann Peter Sadlo, die verschiedenen Schlaginstrumente – Vibraphon, Kalimba, Röhrenglocken, Trommeln, Woodblocks, – zu bearbeiten und miteinander zu kombinieren. Die hölzernen Instrumente erzeugen einen anderen Klang als die metallenen, und die Kombinationen führen zu ganz eigenen Klangfärbungen. Peter Sadlo lieferte auf seinem „Schlagzeugpark“ geradezu virtuose Solo-Kunststücke, während das Orchester streckenweise entweder still lauschte oder mit nur kurzen Einwürfen kommentierend eingriff. Sadlo entwickelte eine geradezu humoristische Lust, mit Klangfarben und Motiven zu spielen, Pausen einzulegen, plötzlich mit einem anderen Instrument fortzufahren, lyrische oder fragende Elemente einzustreuen und dann wieder das Orchester aufzufordern, einzusteigen oder auch mal die Regie zu übernehmen. Nicht nur das Schlagwerk sondern auch die orchestrale Musik zeichnet sich durch starke Rhythmisierung und Akzentuierung aus. Mittendrin streute Sadlo ein einsames Trompetensolo ein, das vom Publikum mit Heiterkeit quittiert wurde, dann folgte nach einer lyrischen Phase plötzlich der grelle Pfiff einer Trillerpfeife wie beim Fußballspiel. Vor allem im letzten Satz, „Correfocs“, der ein wildes Fest – wie etwa das Karnevalstreiben – beschreibt, geht es hoch her. Kein Moment kam Langeweile auf, und das Publikum war fasziniert von der Vielfalt der Klänge und der wechselnden Dynamik des Schlagwerks. Der kräftige Beifall und die eher überschaubare Länge dieser Komposition ließen Peter Sadlo als Zugabe noch ein viersätziges Stück für Trommel solo hinzufügen, das sich in einen Marsch, einen (Wiener) Walzer, einen Ländler und ein ausgelassenes Finale aufteilte. Das war mehr als eine übliche Zugabe und im Grunde genommen ein weiteres, in sich geschlossenes Werk, das dem Publikum noch einmal komprimiert die Möglichkeiten des Schlagzeugs nahebrachte.
Den Abschluss des Programms bildete Ottorino Respighis im Jahr 1927 entstandene viersätzige symphonische Impression „Vetrate die chiesa“. Im ersten Satz – „La fuga in Egitto“ – überwiegen lang gezogene, gemächlich wogende Streicherbögen mit darüber laufenden Melodielinien der Holzbläser und einer Unterfütterung durch die Hörner. Dahinter steht die Vorstellung der Flucht der Heiligen Familie durch die sternenklare Nacht nach Ägypten. Der zweite Satz beginnt wild bewegt und symbolisiert den Kampf des Erzengels Michael mit den dunklen Kräften. Nach dem kämpferischen Beginn beruhigt sich die Musik und wirkt streckenweise wie Filmmusik. Der dritte Satz spiegelt die Frühmesse in St. Chiara wider („Il mattuttino di Santa Chiara“) und betont die flehenden, fast klagenden Gebete. Der Grundtenor reicht sogar ins Elegisch-Düstere hinein und beschreibt damit die völlige Unterwerfung unter den Willen Gottes. Der letzte Satz schließlich – „San Gregorio Magno“ – kommt mit den Streichern leise aus der Tiefe und wirkt anfangs wie ein Abgesang auf die Weltlichkeit, schwingt sich dann aber auf zu einem jubelnden Choral, der den Herrn lobpreist und als reiner Ausdruck religiöser Freude und Ekstase endet.
Das Orchester überzeugte durch hohe Aufmerksamkeit und ein nie nachlassendes Gespür für die Klangfarben, die Respighi in diesem so vielfältigen Werk aus den Instrumenten hervorzaubert. Francesco Corti schaffte es im Verein mit den Orchestermusikern, das Bewusstsein einer religiösen Wanderung durch verschiedene Stadien der Kommunikation des Gläubigen mit der göttlichen Instanz und dem eigenen Inneren musikalisch auszudrücken. Von der Zuversicht über den Kampf mit den bösen Geistern und dem innigen Gebet bis zur anschließenden Erlösung erhielten alle Bewusstseinszustände eine je eigene, unverwechselbare musikalische Form, die auch den weniger Gläubigen überzeugte.
Das Publikum bedankte sich bei den Akteuren mit lang anhaltendem, kräftigem Beifall.
Frank Raudszus
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