Lawrence Wright: „Im Gefängnis des Glaubens“
In Deutschland genießt die Scientology-Organisation einen mehr als dubiosen Ruf. Der Begriff „Kirche“ trifft den Charakter von Scientology in den meisten europäischen Ländern nicht, da sie hier nicht als steuerbefreite Religionsgemeinschaft anerkannt ist sondern als Wirtschaftsunternehmen gesehen wird.
In den USA jedoch, dem „Heimatland“ von Scientology, liegen die Dinge anders. Hier hat Scientology nach langem Kampf – im wörtlichsten Sinne – eben diesen Status erreicht. Das liegt neben der außerordentlich aggressiven Vorgehensweise und dem kompromisslosen Einsatz einer aufwändigen juristischen Organisation wohl auch an dem typischen amerikanischen Verhältnis zur Religion und speziell zu sektenähnlichen Religionsgemeinschaften. Als die Pilgerväter einst den Boden des neuen Kontinents betraten, taten sie dies, um endlich der religiösen Enge ihrer Heimatländer zu entrinnen und ihren Glauben frei ausüben zu können. Diese weit gefasste religiöse Toleranz der Amerikaner wirkt sich bis heute in ihrer Reaktion auf Sekten aller Art aus.
Wright hütet sich jedoch,Scientology von vornherein auf den Charakter einer Sekte zu reduzieren. Ihm geht es nicht um eine Anklage oder gar Abrechnung, er möchte das Phänomen Scientology verstehen sowie die Menschen, die ihre gesamte Existenz dieser Organisation buchstäblich weihen. Wright selber ist offensichtlich ein engagierter Gegner von Scientology, zeigt dies jedoch nicht durch scharfe Polemik, sondern indem er Ungereimtheiten und Widersprüche in Inhalt und Form des Auftretens von Scientology aufzudecken versucht.
Da Scientology in der Vergangenheit fundamentale Kritiker nicht nur mit Klagen überhäuft sondern auch mit halblegalen und illegalen Mitteln bedrängt hat, beschränkt sich Wright auf eine chronologische Beschreibung der „Biographie“ von Scientology, die sich auf dreierlei Quellen stützt: erstens auf Veröffentlichungen von Scientology, die noch aus der Anfangszeit stammen, als es noch keine so hermetisch abgeschlossene Informationspolitik wie heute gab, sowie auf andere Studien in der Vergangenheit; zweitens auf die wenigen Interviews und Antworten, die offizielle Scientology-Vertreter ihm gewährten; drittens – und dass ist bei weitem die wichtigste Quelle – auf Aussteiger, die trotz schwerer Drohungen seitens Scientology den Mut aufbrachten, ihm aus ihrer Zeit in der Organisation zu erzählen. Der wichtigste dieser Zeugen ist Hollywood-Drehbuchautor Paul Haggis, der selbst 35 Jahre bei Scientology verbrachte und dann – enttäuscht durch offensichtliche Lügen und repressive Praktiken führender Vertreter – mit der Kirche brach.
Nach der biographischen Vorstellung seines Kronzeugen Haggis beginnt Wright mit einer ausführlichen Biographie von L. Ron Hubbard, des Gründers von Scientology. Die in vielerlei öffentlichen Archiven verfügbaren Lebensdaten von Hubbard sind in sich weitestgehend konsistent und vermitteln das Bild eines Mannes, der sich schon als Jugendlicher in fantastischen Welten bewegte, sich früh für „Science Fiction“ begeisterte und in bürgerlichen Berufen scheiterte. Ein Ingenieurstudium brach er nach einem Jahr ab, und seine Zeit bei der US Navy war eher von Misserfolgen gekrönt, ganz im Gegensatz zu den Heldengeschichten, die er sich selbst im Nachhinein auf den Leib schrieb. Vor dem Zweiten Weltkrieg scheiterten mehrere Versuche, in die Navy aufgenommen zu werden, an seiner Untauglichkeit, und im Krieg kam er zwar zu seiner gewünschten Waffengattung, scheiterte aber an mangelnden Fähigkeiten. Später eingeklagte Rentenansprüche wegen verschiedener in angeblich heldenhaften Kämpfen erlittener Verwundungen und Leiden erwiesen sich als gegenstandslos.
Erfolg errang Hubbard allerdings anschließend mit seinen SF-Romanen, die den Nerv der Zeit trafen und ein breites Publikum fanden. In diesen Romanen bereitete Hubbard bereits sein philosophisch-religiös-ideologisches Lebensmaterial auf, das er anschließend für seine Theorie eines gelingenden spirituellen Lebens weiter entwickelte. Von Anfang an war Hubbard von dem Gedanken beseelt, diese Welt, die ihm so schwer mitgespielt hatte, durch ein funktionierendes spirituelles Verfahren zu retten. Dem lag offensichtlich der uralte menschliche Wunsch zugrunde, persönlichen Erfolg – übersinnliches Wissen, Überlegenheit, Macht – nicht durch mühsame, langwierige und latent fehlgehende Arbeit sondern über den Königsweg einer „absolut“ sicheren, nur Eingeweihten verfügbaren Technik zu erringen. Eben dies versprach Hubbard mit seiner Dianetik, die den Kandidaten durch intensive Befragung und Ausbildung – auch „Auditing“ genannt – zu höheren Erkenntnisstufen emporheben sollte. Gerade Künstler, vor allem die unter unerbittlichem Konkurrenzdruck stehenden Schauspieler in Hollywood – mit ihrer eher spirituellen Sicht – will sagen: Wunschdenken – des Lebens sprangen auf diese neue Spiritualität an. Hubbard erkannte dieses Potential nicht nur sehr schnell, sondern schloss daraus auch zu Recht, dass Scientology unbedingt Prominente des „Showbusiness“ als Anhänger finden müsse, die als „Zugpferde“ für die Gewinnung weiterer Anhänger dienen würde.
Wright zeigt anhand der Fakten, dass dies mit der „Akquisition“ von Tom Cruise gelang. Man konnte den bereits gut im Filmgeschäft etablierten Cruise überzeugen, dass er nicht nur als „intuitiver“ Scientologe seinen bisherigen Erfolg errungen habe, sondern dass er auch mit einer konsequenten Schulung seinen Erfolg vervielfachen könnte. De facto erreichten sie das damit, dass sie ihn hofierten und ihn auf Kosten der übrigen Scientology-Mitglieder mit allem ausstatteten, was für die Steigerung seines Egos wichtig war. Das reichte, um ihn als „selbst laufenden“ Werbeträger für Scientology einzusetzen. Sein vermeintlich auf Scientology zurückzuführender Erfolg brachte der Organisation viele Mitglieder, die ihr Hab und Gut sowie ihre Arbeitskraft für Scientology einsetzten.
Auf die internen Zustände bei Scientology geht Wright ausführlich auf der Basis der Aussagen von Paul Haggis und anderer Aussteiger ein. Demnach wurden und werden alle Mitglieder unterhalb der auf eine einzige Person reduzierten Führungsspitze – erst Hubbard, dann Miscavige – unterdrückt und nach Belieben misshandelt oder in interne Straflager geworfen, wobei die Gründe dafür völlig beliebig und allein in das Ermessen des Führers (Begriff hier bewusst gewählt) gestellt sind. Das Problem ist, dass die Misshandelten selbst bei gröbsten Demütigungen nicht zu protestieren wagen, weil sie im Laufe der Jahre derart ins das System förmlich hineingesaugt worden sind, dass sie außerhalb der Organisation keine Überlebenschance mehr sehen. Jeder Scientologe muss sich für „eine Millarde Jahre“ verpflichten, ein Zeitraum, der auf Hubbards abstruse Sicht des Universums und der (Un-)Sterblichkeit der menschlichen Seele zurückzuführen ist. Sie müssen jeglichen Kontakt zu ihrer alten Umgebung abbrechen und nur noch für die Organisation leben. Ziel dabei ist, die Welt vor dem Bösen zu retten, womit Hubbard vor allem junge Idealisten, also potentiell die Besten, ansprach. Außerdem entzog er die Kinder neuer Mitglieder – so vorhanden – ihren Eltern und führte sie schon früh in die Welt der Scientology ein. Diese Mitglieder lernten die „Außenwelt“ nie kennen und hätten schon deshalb nie gegen eine Demütigung protestiert oder gar die Organisation verlassen.
Wright geht auch detailliert auf die Frage ein, ob Scientology eine Kirche ist oder nicht. Die US-Steuerbehörde hatte die Organisation als Wirtschaftsunternehmen eingestuft und damit geradezu ruinöse steuerliche Nachforderungen gestellt, gegen die Scientology nicht nur mit Massenklagen sondern auch persönlichen Attacken gegen die Verantwortlichen vorging. Die schiere Macht dieser Kampagnen führte zu einem Vergleich, der Scientology in den USA die gewünschte Steuerbefreiung brachte. Dabei weist Wright allerdings darauf hin, dass nahezu alle Argumente, die gegen eine religiöse Einstufung der Scientology vorgebracht wurden – Irrationalität, Unterdrückung anderer Meinungen, Demütigungen, Versklavung – auch für andere Religionen gegolten hätten (Katholizismus) oder gelten würden (Islam), dass es also aus rein logischen Gründen schwer fiele, Scientology diesen Status im Gegensatz zu anderen Religionen nicht zuzugestehen. Er räumt ein, dass die anderen Religionen lediglich den Vorteil hätten, kulturell in den jeweiligen historischen Kontext eingebettet und damit akzeptiert zu sein, ohne dass er deswegen ein Fürsprecher für Scientology wird.
Wright verdeutlicht jedoch die Tendenz von Scientology, sich konsequent nach außen abzuschotten und keinerlei Interna nach außen zu lassen. Mitglieder, die auch nur unbedeutende Informationen nach außen geben, werden mit schweren rituellen Strafen belegt, die in Wirklichkeit Freiheitsberaubung und Folter sind, und Aussteiger werden, wenn sie nicht – notfalls mit Gewalt – eingefangen werden können, systematisch ihrer sozialen Glaubwürdigkeit beraubt und bis zum Nervenzusammenbruch drangsaliert. Er zeigt auch in der Gegenüberstellung von zahlreichen Aussagen verschiedener Aussteiger und der offiziellen Verlautbarungen von Scientology, dass die Organisation allen Vorwürfen widerspricht und sie mit entwürdigenden Vorwürfen gegenüber den jeweiligen Aussteigern beantwortet. Wright ist dabei klar, dass er auf eine objektive Klärung dieser Vorwürfe nicht rechnen kann. Es wird stets „Aussage gegen Aussage“ stehen, und das Ergebnis wird lediglich von der Glaubwürdigkeit und von der Durchhaltekraft beider Seiten abhängen. Man kann sich vorstellen, wie dieser Vergleich angesichts der Finanzkraft von ca. einer Milliarde Dollar von Scientology und der sozialen Vereinzelung ehemaliger Scientology-Anhänger aussieht.
Gerade angesichts dieser Asymmetrie ist es wichtig, dass mutige Journalisten wie Lawrence Wright es wagen, Licht in das bewusst dunkel gehaltene Umfeld von Scientology zu tragen und die Verhältnisse beim Namen zu nennen. Diese Leistung ist besonders hervorzuheben angesichts der Tatsache, dass in den letzten dreißig Jahren bereits einige Journalisten und Kritiker – und sogar öffentliche Ankläger! – von ihren Aktivitäten Abstand nahmen, weil sie von Scientology in den finanziellen und sozialen Ruin getrieben wurden.
Dieses Buch sei jedem Leser dringend empfohlen, der sich nicht nur für Religion und Sekten sondern vor allem für „wissenschaftlich erwiesenen“ Techniken zur Erhöhung der eigenen sozialen und spirituellen Lebenssituation interessieren. Wer aus diesem Buch mitnimmt, dass der vermeintliche „Königsweg zu Erleuchtung und Macht“ in die totale soziale Isolierung und in existenzielle Not führen kann, schaut vielleicht kritischer auf so manches esoterisches oder transzendente Optimierungsprogramm.
Das Buch „Im Gefängnis des Glaubens“ ist in der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) erschienen, umfasst 624 Seiten und kostet 24,99 €.
Frank Raudszus
No comments yet.