Quälende Suche nach dem Warum

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Das Deutsche Theater Berlin zeigt Dea Lohers „Am Schwarzen See“ 

Natali Seelig (Cleo), Bernd Moss (Eddie), Katharina Marie Schubert (Else), Jörg Pose (Johnny)

Ein kleines Dorf am sogenannten Schwarzen See, eine überschuldete Brauerei, eine Bank und zwei Paare, die gedanklich zurückkehren, in die Zeit vor vier Jahren, als sich ihre einzigen Kinder, damals ein Paar, im Alter von 14 und 16 Jahren das Leben nahmen. Dies wird kein schöner Theaterabend, sondern einer, der bis ins Mark geht und das Gedankenkarussell auf eine unendliche Reise schickt. Melancholie, Angst, Verzweiflung, Trauer und Hilflosigkeit sind die Farben, die das Stück von Dea Loher beherrschen. Und diese Farben sind letztlich verschiedene Abstufungen desselben Grau, das eine Tristesse verbreitet, die sich durch den Raum bis in die Charaktere, die Seelen und das Publikum zieht. Selbst nach dem Stück dauert es einige Momente, bis die starren Mimiken der Schauspieler sich auflösen, sie sich von den Figuren lösen und an dem langen Applaus der Zuschauen erfreuen können.

Else und Jonny wagen sich nach vier Jahren erstmals zurück in das kleine Dorf am Schwarzen See, wo ein einst beschauliches Leben ein schreckliches Ende nahm. Sie hatten Cleo und Eddi angerufen, um ihnen mitzuteilen, dass sie auf der Fahrt ans Meer einmal vorbeikommen wollten. Nun stehen sie da in der Unwirklichkeit der Vergangenheit und keiner weiß, wie man mit der Situation umgehen soll. Wiedersehensfreude ist im tiefsten Inneren nicht da – oder doch ein wenig? Alle versuchen in Erinnerung an das erste Treffen zu schwelgen, als Else, Jonny und ihre Tochter hierher zogen. Es reihen sich Erzählungsfragmente aneinander, die von einem lustigen und ausgelassenen Tag der Eltern am See berichten. Man ist mit dem Boot hinaus gefahren, hat geangelt, und ungewollt sind einige der Kleider nass geworden. Es wird tatsächlich gelacht und man fällt einander vor Freude ins Wort. Aber die Freude ist angespannt. Leicht zumindest. Im Hintergrund schwillt die Wolke des eigentlichen Themas an, weshalb diese Zusammenkunft stattfindet. Sie wollen es verstehen. Erneut. Jonny, gespielt von Jörg Pose, ist Banker. Eine tiefe Unruhe treibt Ihn an, und so lässt er sich durch seine Bank immer und immer wieder versetzten. Eigentlich weiß er, dass seine Frau Else ein schwaches Herz hat und deshalb Ruhe braucht. Aber er kann nicht, ist rastlos. Else, dargestellt durch Katharina Marie Schubert, ist selbst kaum noch in der Lage, am normalen Leben teilzunehmen. 

Sie nimmt Tabletten und schwebt in anderen Sphären durch die Realität – im Jetzt spielt diese schon lange nicht mehr. Cloe, gespielt von Natali Seelig, hatte eingeheiratet in die Brauerei. Heute kämpft sie alleine mit aller Kraft um deren Überleben und klammert sich an das reale Dasein. Eddi, verkörpert von Bernd Moss, hat äußerlich resigniert und weist jegliches Materielle von sich. Innerlich ist er jedoch zerfressen und fällt ohne Ablenkung in manisches, selbstzerstörendes Verhalten zurück.

Die Szenerie des Stücks ist das seelisch verwaiste und materiell entleerte Eigenheim von Cloe und Eddi. Ein großer Raum voller Nichts, in dem selbst die Farbe an den Wänden versucht zu fliehen. Ein einziger Sessel ist geblieben, auf den sich eine nach dem anderen niederlässt und sinniert. Er steht auf der rotierenden Plattform der Bühne, die sich unaufhaltsam dreht. Die Zeit steht nicht still. Auch wenn es das ist, was die Ehepaare verkörpern. Oder nach dem Zurückdrehen der Zeit, wonach sie stumm schreien. Nein, die Zeit kennt nur eine Richtung. Und in diese wandert sie unermüdlich fort. Wer nicht mit ihr geht, landet irgendwann an der Wand – wird weggeschoben. Das Spannende an der Handlung ist, das es keine gibt. Wenn man eine Handlung als eine zeitliche Abfolge von Geschehnissen definiert, wodurch sich zwischenmenschliche Beziehungen verändern oder sich ein sachlicher Erkenntnisgewinn ergibt, dann passiert dies hier nicht. Zumindest nicht für die dargestellten Charaktere. Einziges Indiz einer Handlung mag das zeitliche Herantasten an die tatsächlichen Ereignisse sein, ausgehend vom Kennenlernen der jungen Familien. Tatsächlich jedoch besteht das Stück aus einer Aneinanderreihung psychischer und physischer Zusammenbrüche der handelnden Personen. In dem unermüdlichen Willen, die letzte Wahrheit endlich greifen zu können, stürzt sich jede und jeder auf seine Art in das tiefe schwarze Loch der Ungewissheit, um am Ende wieder zu scheitern. Väter und Mütter kämpfen jeweils ganz alleine, suchen Schuld bei sich und immer wieder mit direkten Anfeindungen auch bei anderen. Und trotzdem bleibt kein Zorn, niemand ist nachtragend.

Bernd Moss (Eddie), Katharina Marie Schubert (Else), Natali Seelig (Cleo), Jörg Pose (Johnny)

Bernd Moss (Eddie), Katharina Marie Schubert (Else), Natali Seelig (Cleo), Jörg Pose (Johnny)

Was ist es also, dass uns Dea Loher als Autorin und der Regisseur Andreas Kriegenburg mitteilen möchten? Zum einen scheint es, dass die Eltern als etroffene so stark von Schuldgefühlen getrieben sind, dass sie nicht selbst abstrahieren können. Eine echte Diskussion, gar eine sachliche, findet nicht statt. Der Tod eines Kindes ist wohl derart einschneidend, dass Eltern als Opfer sich nicht selbst aus dem Strudel der Vorwürfe befreien können. Zu einer Lösung kommen sie nicht, aber möglicherweise hilft das Sprechen darüber. Als Folge verkennen die Eltern die wahre Motivation ihrer Kinder. Sonst würden sie bemerken, dass sich ihre Kinder das Leben nicht aus Not sondern aus Liebe nahmen. Auch wenn das ökonomische Leben der Brauereifamilie an den Bankern hing, so ging es doch keinem unerträglich schlecht. Nein, es handelt sich viel mehr um greifbare Realität mit den Sorgen des Alltags und den täglichen Hürden, die das Leben bietet. Und die Kompromisse, die ein jeder eingeht, vielleicht eingehen muss, um sein täglich Brot zu sichern. Die ideale Liebe kennt jedoch keine Kompromisse und ist völlig rein. Letztlich mag es wohl Mut gewesen sein, für den Verzicht auf Leben in einen Traum der ewigen Liebe hinein zu schlafen. Es war kein grausamer Tod. Das junge Paar fuhr auf den Schwarzen See hinaus, nahm Schlafmittel und schlief Arm in Arm ein, während langsam Wasser in das Boot lief.

Am Schwarzen See ist ein sehr sehenswertes Stück für Menschen, die nachdenken möchten. Es ist spannend in den Situationen selbst und lebt von der großen schauspielerischen Leistung aller Charaktere. Die Uraufführung war am 26. Oktober 2012 im Deutschen Theater. Es ist ein modernes Stück, von dem etwas bleibt.

Malte Raudszus

Alle Bilder © Arno Declair

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