Zum fünften Mal bieten die Filmfestspiele nun die Serie „Berlinale Goes Kietz“ an, was bedeutet, dass an sieben Abenden lokale Programmkinos mit dem „fliegenden Roten Teppich“ besucht werden. Der Auftakt findet in dem Wilmersdorfer „Eva Lichtspiele“ statt, das an jenem Abend in der Kategorie Retrospektive „Faust. Eine deutsche Volkssage“ spielt.
Was ist neu an diesem 1926 uraufgeführten Stummfilm, der im englischen Raum gerne als „one of the most influential German films made ever, directed by F. W. Murnau (…)“ bezeichnet wird? Nun, der einführende Dialog zwischen Veranstalter und Wiederaufbereitungsregisseur klärt auf – der Film ist vollständig im Original belassen, liegt nun aber erstmalig digitalisiert und mit neuer musikalischer Untermalung aus dem Jahr 2007 vor. Somit bestehen nun gute Chancen, dass die Verfilmung bundesweit in kleineren Programmkinos reüssiert.
Besonders an dem Film ist zum einen die optische Reduktion auf schwarz-weiß und zum anderen der Wegfall der gesprochenen Sprache. In unserer Moderne mit einem Überfluss an vielen sich überlappenden Reizen braucht es tatsächlich einen Moment, bis man sich hineinfindet in diese reduzierte Form. Dann verzichtet man aber gerne auf das Gequassel und versucht sich am Lesen. Dies ist bei Faust besonders schön inszeniert, denn nur ab und an werden die handelnden Personen ausgeblendet und es erscheint ein Text in altdeutscher Schrift, der die Zuschauer wieder einen Pulsschlag nach vorne treibt. Es ist eine Reise in eine ferne Vergangenheit, die wohl kaum einer an diesem Abend schon erlebte, geschweige denn sich daran erinnert.
Faust schlägt sich als weiser alter Mann gerade mit den Ausbrüchen der Pest herum, als er dem Teufel das erste Mal begegnet. Zuerst vereinbart er ein Pakt für einen Tag, damit der Teufel im helfe, die Sterbenden zu heilen. Als jedoch eine Frau mit einem Kreuz in den Händen vor ihm liegt, kann er sie nicht berühren. Sein Pakt mit dem Teufel wird vom Volk erkannt, das ihn ob seiner vorigen Heilungen sofort auf den Scheiterhaufen werfen möchte. So flieht Faust mit Mephisto.
Von der Übermächtigkeit des Teufels beeindruckt, wünscht sich Faust als nächstes die Jugend zurück und lässt sich von Mephisto auf dem fliegenden Teppich bis nach Italien tragen, wo sie die schönste Prinzessen Italiens bei Ihrer Hochzeit besuchen. Mit starkem Einwirken des Teufels gelingt es Faust, die Braut zu stehlen und zu verführen – kurz vor dem ersten Kuss jedoch ist sein Tag abgelaufen. Um sich die Jugend zu erhalten, verpflichtet sich Faust Mephisto für ein Jahr. Nun wünscht sich Faust aber, in seine Heimat zurückzukehren.
In dem kleinen deutschen Dorf beginnt die eigentliche Geschichte. Faust verguckt und verliebt sich in Gretchen, die zarte Unschuld und Blüte der Gemeinschaft. Mephisto kümmert sich um Ablenkung für Mutter und Tante, so dass es Faust in einer über alle Maße hinaus rasenden Geschwindigkeit gelingt, dem Mädchen näher zu kommen. Ist die Situation der Verfänglichkeit erreicht, ändert Mephisto sein Spiel und treibt die Liebenden in die Verdammnis. Von da an nimmt das Geschehen seinen tragischen Verlauf, und das wahre Opfer trägt den Namen Gretchen.
Neben der Handlung ist das Licht- und Schattenspiel der Verfilmung einzigartig. Tatsächlich gelingt es, eine unglaubliche Tiefe zu schaffen ohne dabei eine 3D-Brille tragen zu müssen. Natürlich ist das mit heutigem Kino nicht zu vergleichen, aber umso beeindruckender scheint es, wie mit schlichten Mitteln aber sicher ungeheurem Aufwand und Liebe zum Detail ein überragendes Ergebnis erzielt wurde. Die Piano-Klänge im Hintergrund lassen die Handlung schweben und überdecken schnell die Lücke, welche man anfangs ohne die Sprache meint zu fühlen.
Heißt die Geschichte doch Faust, so spielt Mephisto mitnichten eine Nebenrolle. Er entscheidet das Geschehen und lenkt die Geschicke der anderen. Zudem beweist er in seinem Auftreten und mit seiner Mimik eine teils grotesk amüsante Vielfalt, die zum Schmunzeln anregt aber doch oft böse endet. Faust hingegen ist getrieben von seinen Gefühlen und Opportunitäten – dort ist keine Taktik, sondern einzig Naivität zu erkennen.
Sei die Uraufführung nun auch fast 90 Jahre her, hat sich der Mensch seit dem nicht grundlegend geändert. Es ist erstaunlich wie man sich selber in den Träumen und dem Verlangen Fausts wiedererkennen kann und wie hoch doch der Anreiz ist, sich der dunkeln Seite für manche Lust hinzugeben.
Malte Raudszus
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