Ein Segeltörn durch die nördlichen Bahama-Inseln
Während eines Segeltörns durch die Virgin Islands in den neunziger Jahren schwärmten andere Segler von den Traumstränden und dem türkisfarbenen Wasser der Bahama-Inseln. Jahrelang hatten wir uns vorgenommen, diese Inselgruppe einmal kennenzulernen, und das natürlich nicht vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes mit mehreren Tausend Passagieren, sondern aus der Froschperspektive des Seglers, der sich seinen Weg von Insel zu Insel selbst bahnt und in verschwiegenen Buchten ankert. Doch stets kam etwas dazwischen: andere Urlaubsschwerpunkte, andere Segelreviere oder familiäre Prioritäten.
Doch Mitte des letzten Jahres nahm dieser mittlerweile uralte Wunsch endlich konkrete Form an. Über den Vercharterer Scansail, ein enger Partner der weltweiten Charteragentur Moorings, fanden wir schnell ein passendes Boot: eine Sun Odyssee 39i, die mit ihren knapp zwölf Metern Länge und drei Doppelkabinen drei Personen einen angemessenen Komfort bietet. Die Charteragentur bereitete alle wesentlichen Angelegenheiten professionell vor, und so konnte es Ende Dezember auf die Reise gehen.
Die Bahamas erstrecken sich östlich der Südspitze von Florida in südöstlicher Richtung bis an das Ostende von Kuba und bestehen aus hunderten von größeren und kleineren Inseln. Die Hauptstadt Nassau liegt auf der kleinen Insel New Providence etwa in der Mitte zwischen Florida und Kuba. Da Marsh Harbour, der Ausgangshafen unseres Segeltörns, auf der kleinen nördlichen Bahama-Insel Abaco und nicht auf der Hauptinsel Nassau liegt, sind zwei Zwischenlandungen in Charlotte (NC) und Fort Lauderdale (FL) erforderlich. Außerdem erzwingt der Flugplan noch eine Übernachtung in Fort Lauderdale an der Ostküste Floridas nördlich von Miami.
Nach einem rustikalen Abendessen in einem typisch amerikanischen Restaurant mit einem Dutzend Fernsehbildschirmen und überladener Weihnachtsdekoration begrüßt uns am nächsten Morgen ein eher frugales „Plastik-Frühstück“ – Geschirr und Besteck aus Kunststoff oder Pappe, Lebensmittel weitestgehend verpackt – in einer besseren Stehbar. Die Hotels hier dienen offensichtlich nur der Überbrückung vor dem Besteigen der Kreuzfahrtschiffe, die hier wie riesige weiße Hotelberge im Hafen liegen und schon von weitem zu erkennen sind. Auf Wohnlichkeit und Urlaubsatmosphäre legt man hier keinen großen Wert.
Am nächsten Morgen geht es wieder zum Flughafen. Dort wartet eine zweimotorige Propellermaschine auf uns, die uns in etwas über einer Stunde nach Marsh Harbour bringen soll. Gegen Mittag schwingt sich die fast voll besetzte Maschine in die Luft über Fort Lauderdale, zieht über die Kreuzfahrtschiffe im nahen Hafen hinweg und stößt durch die Wolkendecke, uns damit die Sicht auf die See nehmend. Nach knapp einer halben Stunde folgt ein kleiner Schreck: der Kapität meldet kurz und lakonisch, dass er wegen eines technischen Defekts umkehren müsse. Neben dem flauen Gefühl, das die ebenso harmlose wie Spekulationen verursachende Ansage hervorruft, stellt sich gleich der Ärger über die Gefährdung des Zeitplans ein, denn heute wollten wir das Boot übernehmen – und vielleicht sogar noch auslaufen.
Nach problemloser Landung in Fort Lauderdale – der Defekt schien ein eher nachgeordnetes Aggregat zu betreffen – warten wir glücklicherweise nur etwa eine Stunde, bis es mit einer identischen Maschine wieder auf nach Osten geht. Diesmal verläuft der Flug ohne Probleme, und nach einer Dreiviertelstunde öffnet sich die Wolkendecke unter uns und gibt den Blick frei auf türkisfarbenes Wasser, weite, helle Sandbänke und schneeweiße Strände. So haben wir usn die Karibik schon immer vorgestellt! Der Flugplatz von Marsh Harbour – Flughafen möchte man dazu gar nicht sagen – erweist sich fast als familiär, und die Passformalitäten sind schnell erledigt. Dann geht es per Taxi zu der nahe gelegenen Marina, wo wir uns melden und erst einmal eine halbstündige Einführung in das Segelrevier erhalten. Eine junge Frau namens Rosie weist uns auf die durchgängig geringe Wassertiefe – zwischen zehn und fünfzehn Fuß! – sowie auf die Tide hin. Gewisse Häfen sollte man nur bei Hochwasser anlaufen und sich vorher die Tidentabellen anschauen. Wer nur die Ostsee und das Mittelmeer kennt, muss sich umstellen. In der Ostsee verursachen Wassertiefen unter fünf Metern bereits ein leichtes Kribbeln, hier ist das der Normalfall, und das Kribbeln setzt eigentlich – wie wir später merken – erst unter acht Fuß oder zweieinhalb Meter ein.
Wegen der Verspätung können wir das Boot an diesem Abend nicht mehr übernehmen, sondern uns nur dort einrichten und uns zur Nachruhe betten. Bevor wir uns dieser hingeben, genießen wir aber noch das „Seafood“-Angebot auf der Terrasse eines nahe gelegenen Restaurants bei lauschigen Abendtemperaturen um die zwanzig Grad. Zu Hause werden sie um diese Zeit schön frieren!
Morgen geht es hinaus in die Cays. Das sind kleine Inseln mit wenigen hundert Metern Breite und einigen Seemeilen Länge, die wie ein Schutzschild in einigen Meilen Abstand zwischen dem Atlantik und der Insel Abaco liegen. Die Cays verfügen über kein eigenes Grundwasser, sondern müssen Süßwasser aus dem Regen gewinnen oder von der Insel holen. Die Bevölkerungsdichte ist durchweg recht gering; meist existiert auf einem Cay nur eine kleine Ortschaft und zusätzlich eine Marina mit den zugehörigen Einrichtungen wie Hotels, Gastronomie, Service und Wassersportfirmen. Ansonsten stehen viele Ferienhäuser, meist in Pastellfarben, auf den Cays, die während der Wintermonate leerstehen. Das Meer zwischen Abaco und den Cays ist durchweg zwischen drei und sechs Metern tief. Beim Segeln kann man den Grund beobachten, woran sich vor allem europäische Segler erst einmal gewöhnen müssen. Auf der Atlantikseite liegen vor den Cays weit ausgedehnte Korallenriffe, an denen sich die Dünung bricht. Dadurch ist das Wasser zwischen Cays und Abaco selbst bei stärkerem Wind noch ziemlich ruhig. Nur an den wenigen tieferen – und explizit ausgezeichneten – Durchfahrten durch die Riffe in den Atlantik steht die Dünung bei Ostwind in den geschützten Meeresbereich hinein, allerdings bereits deutlich abgeschwächt.
Dieses Gebiet wollen wir ab morgen erkunden. Der Wetterbericht sagt jetzt, Ende Dezember, Temperaturen zwischen 23 und 25 Grad Celsius voraus, die Wassertemperaturen liegen deutlich über 20 Grad. Was will ein deutsches Seglerherz mehr?
Frank Raudszus
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