John Dew inszeniert am Staatstheater Darmstadt Verdis „La Traviata“

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Liana Aleksanyan (Violetta Valéry), Arturo Martín (Alfredo Germont), Anthoula Papadakis (Violetta)
Liederabend mit Szenerie  

John Dew inszeniert am Staatstheater Darmstadt Verdis „La Traviata“

Guiseppes Oper über die tragische Figur der Pariser Kurtisane war in Darmstadt zum letzten Mal vor neun Jahren in der Inszenierung von Philip Kochheim zu sehen, der das Stück aktualisiert und Violetta den politischen Mantel einer gesellschaftlich geächteten und psychisch gestörten Terroristin umgehängt hatte. John Dew hat sich jetzt zum Ende seiner Intendanz dieses „Repertoire-Renners“ noch einmal höchstpersönlich angenommen und es in einer eigenen Inszenierung auf die Bühne gebracht. Dew verzichtet dabei konsequent auf jegliche Aktualisierung des Stoffes und führt es auf den Kern der drei Personen – Violetta sowie Alfredo und Giorgio Germont – zurück. Dem liegt eine nachvollziehbare Logik zugrunde: der Grundkronflikt der Handlung rührt aus der strikten bürgerlichen Moral des 19. Jahrhunderts her. Ob man diese aus heutiger Sicht für rückständig und borniert hält, ist irrelevant, weil die damalige Geselslchaft in diesem Wertesystem gefangen war und aus ihm heraus handelte. Der Konflikt wird daher auch ohne aktualisierte Umdeutung verständlich. Folgerichtig kleidet José-Manuel Vázquez die Personen auch in historische Kostüme der Zeit, bis hin zu einer schneidigen Offiziersuniform des in seiner Verzweiflung offensichtlich zum Militär geflohenen Alfredo.

Anthoula Papadakis (Violetta), Liana Aleksanyan (Violetta Valéry), dahinter: Oleksandr Prytolyuk (Giorgio Germont)Doch eine Abweichung vom ursprünglichen Libretto gönnt sich Dew. Er legt die gesamte Oper als Rückblende aus Violettas Erinnerung an. Bereits während des „Preludios“ öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf die von Dirtk Hofacker gestaltete Bühne frei: ein schäg aufsteigendes Boudoir mit Bett und Schminktisch. Hier sitzt die unverkennbar todkranke Violetta, gespielt als stumme Rolle von der Choreographin Anthoula Papadakis, auf dem Bett oder vor dem Tisch, und schaut auf ihr Leben zurück, das sich in Gestalt der Bühnenhandlung wie ein Traum vor ihr abspielt. Die Begründung für diese Rückblende schöpft Dew aus der Musik: der Beginn des ersten Aktes ist von denselben leisen Streicherklängen unterlegt wie der letzte Akt, der Sterbeszene. Dew schließt daraus, dass bereits Verdi diese Rückschau in seiner Musik deutlich angelegt habe. Die konsequente Handhabung dieser Konzeption führt allerdings zu einer gewissen Statik der gesamten Inszenierung, denn selbst die Ballszenen, sonst dankbar genutzter Anlass für üppige Bühnenbilder, gehen hier nur als Traumbilder des kostümierten Chors über die Bühne.

Liana Aleksanyan (Violetta Valéry), Arturo Martín (Alfredo Germont), Oleksandr Prytolyuk (Giorgio Germont), Elisabeth Hornung (Annina), Thomas Mehnert (Doktor Grenvil), Anthoula Papadakis (Violetta)Auf der anderen Seite ermöglicht der Verzicht auf eine weit ausgreifende Gestaltung der Szenerie die Konzentration auf die Personen und ihre Reaktionen auf den Konflikt. Neben den eindeutigen, weil rein reagierenden und leidenden Figuren Alfredo und Violetta ist hier vor allem Alfredos Vater Giorgio der Dreh- und Angelpunkt. Er zerstört nicht nur das Glück des jungen Paares mit mehr oder minder verständlichen Argumenten, er ist auch selbst eine schillernde Persönlichkeit, die unterschiedliche – ja gegensätzliche – Interpretation erlaubt. Man kann ihn als hartherzigen Vertreter der Bourgeosie darstellen, dem es vor allem um die eigene Reputation geht, oder als besorgten Vater, der vor allem das Glück seiner Tochter im Auge hat. John Dew stellt letzteren in den Mittelpunkt, angereichert um eine unverkennbare Empathie für Violetta und das Opfer, das er von ihr fordert. Es gibt in dieser Inszenierung keine Täter und Opfer, sondern nur Menschen, die in ausweglosen Konflikten gefangen sind. Dabei verzichten sowohl Verdi als auch John Dew darauf, der Frage nachzugehen, worin diese „tragischen Konflikte“ bestehen und ob sie tatsächlich unausweichlich sind. Eine Inszenierung hat es da natürlich schwerer als der Librettist, denn letzterer hat schließlich eine Vorlage gegeben, die eine Inszenierung bis zu einem gewissen Grad respektieren muss, so sie denn den Begriff „Werktreue“ noch ernst nimmt.

Geht man also davon aus, dass Verdi lediglich die Folgen des bürgerlichen Ehr- und Moralbegriffs im 19. Jahrhundert schildert und die Inszenierung darüber nur mit Mühe – siehe Kochheim! – hinausgehen kann, so ergibt John Dews Inszenierung durchaus Sinn, wenn sie auch keine neuen Horizonte öffnet. Dafür verschreibt sich diese Inszenierung ganz dem Eindruck der Musik, sowohl der gesungenen als auch der aus dem Orchestergraben. Musikalisch kommt dabei noch ein weiterer Effekt zum Tragen: Ballszenen implizieren stets Ballmusik im Hintergrund der Handlung. Wird diese Ballmusik jedoch vom Orchester gespielt, nimmt sie automatisch die externe Rolle der Opernmusik an und wirkt nicht nicht wie die Musik der fiktiven Handlung. Um diesen gewünschten Effekt zu erzielen, lässt John Dew während dieser Szenen die Musik vom Band – pardon: von der CD – wie aus dem fernen „Off“ erklingen.

Weiterhin verzichtet diese Inszenierung auf eine Pause und komprimiert die Handlung auf zwei Stunden Dauer. Der Grund dafür liegt unter anderm in der Struktur der Akte. Nach dem ersten Akt wäre eine Pause zu früh und nach dem zweiten zu spät. Die vier Bilder der Oper sind auf drei Akte verteilt, so dass man eine Pause in die Mitte des zweiten Aktes legen müsste, was aber dramaturgisch unsinnig wäre. So treibt Dew die Handlung in der Mitte schnell voran. Die Szenen, in denen Violetta ihr gesamtes Hab und Gut verkauft, um das Leben mit Alfredo finanzieren zu können – bisher hat sie sich stets von Liebhabern aushalten lassen -, sowie Alfredos heftige Reaktion darauf werden nahezu im Zeitraffer dargeboten, um möglichst schnell zur entscheidenden Szene zwischen Violetta und Giorgio zu kommen. Dadurch erfährt die Inszenierung in der Mitte eine deutliche Verdichtung. Der Verzicht auf die Pause wirkt sich vorteilhaft aus, da der Spannungsbogen an keiner Stelle abbricht und bis zum Schluss aufrecht erhalten werden kann.

Die Darsteller der Premiere wurden den an sie gestellten Ansprüchen in unterschiedlichem Maße gerecht. Der neu ins Ensemble gekommene Arturo Martin hatte zu Beginn deutliche stimmliche Probleme, die sich jedoch im Laufe der Aufführung legten. Das wirkte sich anfangs auch auf seine darstellerische Leistung aus, die etwas steif ausfiel. Offensichtlich war Martin mit seinen Stimmproblemen beschäftigt. Nachdem er diese überwunden hatte, wurde auch sein Spiel sicherer. Den Part der Violetta sang in der Premiere die ebenfalls frisch zum Ensemble gestoßene Sopranistin Liana Aleksanyan, und sie erntete damit auf Anhieb viel Beifall. Ihre stimmliche Sicherheit auch in den Koloraturen und ihr warmes Timbre beeindruckten ebenso wie ihr leichtes und natürliches Spiel. Sie verkörperte die verschiedenen Stadien der Violetta überzeugend und anrührend, Besonders eindrucksvoll war die lange Szene mit Giorgio Germont, den Oleksandr Prytolyuk darstellte. Für ihn war das eine schwierige Rolle, weil er – als junger Mann – einen gesetzten älteren Herren spielen und vor allem singen musste. Das beginnt mit Gestik und Mimik und endet mit dem Tonfall noch lange nicht. Er meisterte diese Rolle jedoch so gut, dass man schon nach kurzer Zeit nur noch den gesetzten Herrn in ihm sah und auch in seiner Stimme die Besorgnis eines Vaters spürte und verstand.

Schwerpunkt der Inszenierung sind die Duette und Solo-Auftritte der drei Protagonisten, die jeweils vom Orchester nur mit knappen Rhythmen unterlegt sind. Man könnte fast von einer Kammeroper sprechen, so verhalten und einfühlsam spielte das Orchester, um die Stimmen auf der Bühne voll zur Entfaltung kommen zu lassen. Daraus entwickelte sich ein außerordentliche Intensität der emotionalen Darstellung. Die lyrische Komponente überwog dabei, abgesehen von Alfredos Eifersuchtsausbrüchen, die dann auch im Orchester entsprechend unterlegt waren. Martin Lukas Meister dirigierte das Orchester im Graben mit viel Umsicht und feinfühliger Disziplin, und die Sänger dankten es ihm mit eindringllicher stimmlicher wie darstellerischer Präsenz.

Auch der Chor trug zu dem runden Gesamteindruck bei, obwohl er dieses Mal keine großen szenischen Bewegungen zu absolvieren hatte sondern mehr oder weniger die tanzende oder nur anwesende Ballgesellschaft darzustellen hatte. Es ist dies nicht unbedingt die Oper des Chors, aber ohne ihn wäre die Oper dann doch zu karg; und so lockerte er die auf die drei Protagonisten konzenztrierte Handlung immer wieder durch die erwähnten Ballszenen auf.

Das Premierenpublikum spendete kräftigen Beifall, vor allem für Oleksandr Prytolyuk und Liana Aleksanyan, aber auch für das Orchester und den Chor.

Weitere Aufführungen am 21. und 25. Dezember sowie am 5., 17. und 31. Januar

Frank Raudszus

 Alle Fotos © Barbara Aumüller
 

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