Das 2. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt ist ausschließlich französischen Komponisten gewidmet

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Dirigentin Anna Skryleva
Vive la France musicale  

Das 2. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt ist ausschließlich französischen Komponisten gewidmet
Die französische Musik des 19. und 20. Jahrhunderts stand im Mittelpunkt des 2. Sinfoniekonzerts am 3. und 4. November. In umgekehrter chronologischer Anordnung standen zuerst zwei Kompositionen von Olivier Messiaen (1908-1992) und Jean Françaix (1912-1997) auf dem Programm. Nach der Pause ging es dann zurück in die Hochromantik zu Hector Berlioz (1803-1868).

Für den Solopart hatte man die bereits zwei Mal geübte Tradition fortgeführt, ein Mitglied des eigenen Orchesters vorzustellen. Michael Schmidt spielte die Klarinette in Jean Françaix´ Klarinettenkonzert. Neben dem praktischen Effekt der geringeren Kosten gegenüber einem externen Solisten hat das vor allem den Vorteil, dass man den eigenen Orcherstermitgliedern die motivierende Chance zu einem Soloauftritt gibt. Die musikalische Leitung dieses Konzerts übernahm die neue Kapellmeisterin, die Russin Anna Skryleva.

In seiner 1930 entstandenen Komposition „Les Offrandes oublieés“ (Die vergessenen Opfergaben), einer „Méditation Symphonique“, setzt Messiaen einen Kirchentext aus dem 15. Jahrhundert in meditative Musik um, wie er sie versteht. Das dreistrophige Poem klagt im ersten Teil über die vergessenen Leiden Christi, beschwört im zweiten die Qualen der Sünde und beschwört im dritten die unendliche Liebe des Erlösers. Messiaen vertont diese Folge auf eine musikalische Weise, die auf jegliche thematische oder harmonische Entwicklung verzichtet. Die Musik verharrt stattdessen in einer Art motivischen und harmonischen Kreislaufs, dem die vom Messiaen entwickelten musikalischen „Modi“ zugrundeliegen. Da dieses Konzept die Idee des ewigen sich wiederholenden Kreislaufs beinhaltet, eignet sie sich ideal für eine musikalische Mediation, die auf alles Zielgerichtete, Vorwärtsdrängende verzichtet.

Das Stück beginnt mit fast tonalen, absteigenden Linien des Orchersters und der Klarinette und umschreibt damit die musikalische Klage um das Vergessen der Leiden Christi. Die folgende Eruption vertont die Hölle im Menschen mit fast ostinat wiederkehrenden Motiven, expressiven Passagen und scharfen Schlägen des gesamten Orchesters und endet in einer Generalpause. Danach ergießt sich der meditative Teil, der aus einem in feinsten Abstufungen changierenden Klangteppich der Streicher besteht und am Ende fast unhörbar verklingt.

Anna Skryleva arbeitete die Klangfarben und die subtilen rhythmischen Variationen zusammen mit dem Orchester mit viel Feingefühl für die hinter dieser Musik stehende – religiöse – Haltung heraus und entfaltete einen langen Spannungsbogen, der die Ahnung einer gelungenen Mediation vermittelte.

Das Klarinettenkonzert von Jean Françaix ist ein Paradebeispiel für das lebenslange Motto des Komponisten, nur Musik zu komponieren, die dem Publikum Vergnügen bereite („musique du faire plaisir“). Er blieb stets der klassischen Diatonik treu und stand den Entwicklungen der modernen Musik skeptisch gegenüber. Das brachte ihm von der Fachwelt – vor allem in Frankreich – viel Kritik ein, erfreute aber das Publikum. Das Klarinettenkonzert folgt – angesichts des Entstehungsjahres 1967 erstaunlich – einer herkömmlichen Tonalität und könnte auch gut aus dem Beginn des Jahrhunderts stammen. Es galt lange wegen seiner schnellen Läufe und der Sprünge als unspielbar, doch Michael Schmidt vom Staatstheater Darmstadt bewies, dass dies nicht zutrifft. Das mag daran liegen, dass heutige Musiker wesentlich gründlicher ausgebildet sind als vielleicht vor achtzig Jahren, kann aber auch auf die damalige Aversion der Musikwelt gegenüber dem Komponisten zurückzuführen sein.

Der erste Satz beginnt mit einem lustigen Liedthema, das vom Orchester wiederholt und von der Flöte begleitet wird. Dann folgen schnelle Läufe in wechselnden Richtungen und mit teilweise Glissando-Charakter. Die Kadenz besteht aus introvertierten Passagen, kurzen Läufen und Motiven sowie vielen Pausen, die den Spannungsaufbau verstärken und die Wirkung der einzelnen Figuren hervorheben. Das Scherzando des zweiten Satzes kommt bewegt und tänzerisch daher, wobei die ersten Violinen lange schweigen, und wiederum prägen endlose Läufe den Charakter der Musik, die Michael Schmidt mit Bravour meisterte. Im dritten Satz, einem Andantino, zeigte Schmidt die lyrische Seite der Klarinette. Die ersten Töne erinnerten fast an Mozart, bevor sie die tonale Färbung des 20. Jahrhunderts annahmen. Hier bewies Michael Schmidt sein Gespür für die leisen Töne, die diesem Instrument so gut anstehen.
Der Finalsatz schließlich fällt geradezu im „attacca“-Modus in einer furios absteigenden Figur ein. Anschließend prägen Staccato-Folgen der Klarinette und des Orchesters das musikalische Bild bis zur Kadenz dieses Satzes, die ähnlich wie die im ersten Satz verläuft. Nach einer langen Generalpause setzt die Klarinette noch einmal zu einem Solo ein, ehe sie – zusammen mit dem Orchester – den Satz in einer fragenden Aufwärtsbewegung beendet.

Solo-Klarinettist Michael SchmidtMichael Schmidt meisterte dieses äußerst schwierige Stück – der Komponiost sprach in einer Analogie zur Fliegerei von „nahe an der Grenze der Flugfähighkeit“ – nicht nur technisch bravourös, sondern verlieh dem Stück darüber hinaus auch eine eigene Interpretatiion, die besonders in den Kadenzen der Ecksätze, aber auch in dem langsamen Satz zum Tragen kam. Das Publikum feierte ihn stürmisch bis hin zu rhythmischem Klatschen und „Bravo“-Rufen, so dass er als Zugabe noch – zusammen mit einigen Streichern –  einen (halben) Satz aus Carl Maria von Webers Klarinettenkonzert spielte.

Nach der Pause stand Hector Berlioz´ „Symphony Fantastique“ auf dem Programm, ein Werk, in dem der damals noch junge Komponist im Jahr 1830 seine unglückliche Liebe zu einer Schauspielerin verarbeitete. Die Sinfonie fällt in ihrer Eigenwillilgkeit – sowohl programmatisch als auch musikalisch – derartig aus dem Rahmen der frühen Romantik – Beethoven war erst zwei Jahre tot -, dass viele Zeitgenossen, vor allem Musiker, es ablehnten. In den Konzertsälen hat es sich jedoch nicht zuletzt wegen seiner Farbenfreudigkeit und Dramatik bis heute gehalten. Der erste Satz besingt die stille, aber unbezähmbare Liebe des Künstlers in introvertierten, von Ritardandi durchsetzten Passagen. Ein langsam aufkommendes, drohend-düsteres Auf und Ab von Motiven zeigt jedoch bald die Aussichtslosigkeit. Der ganze Satz nimmt an quälender Spannung zu. Der zweite Satz, die Schilderung eines Balles, beginnt langsam und spannungsgeladen, geht dann in einen beschwingten Walzer über, hinter dem jedoch zunehmend die Enttäuschung des Liebenden über die Zurückweisung mitschwingt. Der dritte Satz beschreibt eine ländliche Idylle. Unter der lyrischen Oberfläche brodelt jedoch zunehmend etwas Bedrohliches, das den Seelenfrieden des Komponisten stört. Auch das Naturerlebnis kann die Qual verschmähter Liebe nicht lindern. Im vierten Satz entlädt sich dann das Seelenleid. Dem Künstler träumt, er habe seine Geliebte umgebracht und werde aufs Schaffott geführt. Die Musik intoniert dies mit einem langsamen aber unerbittlich voranschreitenden Marschrhythmus, der nach einigen lieblichen Flötenmotiven – Erinnerungen an die Liebe – in einen einzigen Schlag des Orchesters mündet – den Fall des Beiles. Der Ausklang dieses Satzes beschreibt den Aufruhr in den Gemütern der Menge. Der letzte Satz schließlich beschreibt einen Hexensabbatt, wie er nur den Fieberträumen eines unsterblich-unglücklich Verliebten entspringen kann. Das wilde Treiben steigert sich bis zum Menetekel des „dies irae“, das von der  Tuba vorgetragen wird, und Totenglocken, die dazu rhythmisch läuten. So mancher Zeitgenosse wird dieses „dies irae“ sicher als Blasphemie empfunden haben, stammt es doch aus einem tiefernsten religiösen Umfeld. Wie eine höhnische Absage an eine schlechte Welt endet dieser Satz und damit die Sinfonie auf geradezu kakophonische Weise.

Anna Skryleva schaffte es, jedem Satz dieser fünfsätzigen Sinfonie einen ganz eigenen Charakter zu verleihen und die seelische Befindlichkeit des Protagonisten überzeugend herauszumodellieren. Die Tempi nahm sie eher etwas zurück und erhöhte dadurch die Intensität, die Klangfarben brachten mal den Widerstreit zwischen Hoffnung und Enttäuschung, dann wieder die wütende Absage an alles Schnöde-Weltliche zum Ausdruck. In diesen fünf Sätzen durchmaßen Anna Skryleva und das Orchester einen ganzen Kosmos der Seele; alle Instrumente glänzten durch exakte Intonation, saubere Einsätze und die Intensität der jeweiligen Interpretation. Die Dirigentin leitete das Orchester mit energischen und temperamentvollen Bewegungen am Pult. Man darf mit Recht hoffen, sie in nächster Zeit noch öfter am Pult zu erleben.

Das Publikum zeigte sich noch einmal begeistert und spendete mehr als kräftigen, lang anhaltenden Beifall, der von „Bravo“-Rufen durchsetzt war.

                                                                                 
Frank Raudszus

 

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