Das Staatstheater Darmstadt bringt Choderlos de Laclos´ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ in einer Doppelpremiere auf die Bühne

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Gefährliche Liebschaften: Andreas Vögler (Vicomte de Valmont), Christina Kühnreich (Präsidentin de Tourvel), Karin Klein (Marquise de Merteuil), Stefan Schuster (Chevalier Danceny)
Tödliche Intrigen im Doppelpack  

Das Staatstheater Darmstadt bringt Choderlos de Laclos´ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ in einer Doppelpremiere auf die Bühne
Wenige Jahre vor der Französischen Revolution, im Jahr 1782, veröffentlichte Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos den Briefroman „Les liaisons dangereuses“, der in seiner Radikalität auf den nahenden Umsturz hinweist und ihn sozusagen als zwangsläufig hinstellt. In seinem Roman beschreibt er eine von Langeweile, instrumentalisierter Sexualität und Machtgier geprägte Gesellschaft, die geradezu besinnungslos und todessehnsüchtig dem Untergang entgegeneilt. Im Mittelpunkt stehen die Marquise de Mertueil und der Vicomte de Valmont, die eine Zeitlang liiert waren, jetzt aber nur noch eine Geschäftsverbindung in Sachen professioneller Sexualität aufrechterhalten. Valmont betrachtet die Frauen als Beutetiere, die es zu erlegen und dann zu entsorgen gilt; die Marquise wiederum benötigt seine Fähigkeiten und seine Skrupellosigkeit für ihre intriganten Machtspiele.

Gefährliche Liebschaften: Karin Klein (Marquise de Merteuil), Andreas Vögler (Vicomte de Valmont)Die Merteuil hat es nie verkraftet, dass ein einstiger Liebhaber oder Ehemann sie verließ, und sinnt auf Rache, da nicht der Mann sondern sie über das Ende einer Beziehung entscheidet. Als sie erfährt, dass eben dieser Mann die junge, gerade aus dem Kloster in die Welt entlassene Cécile heiraten will, engagiert sie den Chevalier Danceny als Musiklehrer und potentiellen Liebhaber für die von ihr scheinbar mütterlich betreute Cécile, um so ihren einstigen Liebhaber zu treffen. Als sich Danceny allerdings zu schüchtern und korrekt verhält, überredet sie Valmont, das junge Mädchen zu verführen, um dessen künftigen Mann zum Gespött der Gesellschaft zu machen.  Valmont lehnt anfangs ab, da dieses Mädchen für ihn keine Herausforderung darstelle, ja, sogar seinem Ruf als großer Verführer schade. Sein Ehrgeiz zielt derzeit mehr auf die hochmoralische und religiöse Madame de Tourvel, die gerade auf dem Schloss seiner Tante weilt. Die intrigensüchtige Marquise ist von diesem ehrgeizigen Plan derart angetan, dass sie Valmont für den – bewiesenen – Erfolgsfall eine Liebesnacht verspricht. Als Céciles Mutter Madame de Tourvel brieflich vor dem berüchtigten Valmont warnt und daher dessen Vorhaben erschwert, rächt er sich dadurch, dass er Cécile unter Einsatz aller Mittel, die ein erfahrener Mann gegen ein junges Mädchen in der Hand hat, verführt. Gleichzeitig präsentiert er sich der Madame de Tourvel gegenüber durch geschickte Manöver als bekehrter, wohltätiger und plötzlich von dem Erlebnis wahrer Liebe getroffenen Büßer. Er setzt nicht auf den schnellen Sieg, sondern weiß genau um die langfristige Wirkung einer vermeintlich verzweifelten Liebe, die bis zur Unterwürfigkeit geht. Nach langem inneren Kampf verfällt ihm Madame de Tourvel vollständig und rückhaltlos.

Als die Merteuil aus Valmonts Erfolgsbericht zu erkennen glaubt, dass er die Tourvel tatsächlich liebt, fordert sie als Bedingung für die ausgehandelte Liebesnacht die Beendigung der Affäre. Als Valmont diesen Wunsch erfüllt, indem er der Tourvel erklärt, er liebe sie nicht mehr und „könne diesen Gefühlsverlust nicht mehr kontrollieren“, bricht diese zusammen. In ihrer Wut über Valmonts Gefühle für Madame de Tourvel – wenn schon Gefühle, dann nur für sie! –  berichtet die Marquise dem mittlerweile in Cécile verliebten Danceny – der mittlerweile auch ihr Liebhaber ist – von Valmonts Verhältnis mit Cécile, woraufhin es zum Duell kommt. Valmont, unablässig an die leidende Madame de Tourvel denkend, fällt im Kampf, lässt Madame de Tourvel jedoch mit seinen letzten Worten über Danceny ausrichten, dass es ihm leidtue und er sie wirklich geliebt habe. Als die Mertueil das erfährt, erkennt sie, dass sie das Intrigenspiel um die Gefühle trotz Valmonts Tod auf ganzer Linie verloren hat und jetzt allein in der Kälte ihrer eigenen Gefühle steht.

Gefährliche Liebschaften: Katharina Hintzen (Cecile de Volanges), Andreas Vögler (Vicomte de Valmont)Choderlos de Laclos beschreibt in dieser Geschichte eine Gesellschaft, die Erotik nur noch als Machtinstrument betrachtet und Gefühle als Schwäche verlacht. Doch diese scheinbar abgeklärte Sicht auf die Emotionen ist nur aufgesetzt. Sobald einer der Protagonisten wahre Gefühle für einen anderen Menschen ins Spiel bringt, ist nicht nur die Intrige empfindlich gestört, sondern auch das eigene Ego beschädigt. Ganz tief drinnen ist jeder süchtig nach Liebe und Zuwendung, auch die Madame de Merteuil. Sie braucht die Liebe der anderen wie eine Droge, kann selbst aber keine geben. Sobald sich jemand in sie verliebt, instrumentalisiert sie dessen Gefühle. Das gilt in ähnlicher Weise für Valmont, der das Feld der Verführung und des Verlassens jedoch in gewisser Weise naiver wie ein ihm zustehendes Gut bestellt. Auch er braucht die Liebe der verführten Frauen, jedoch nur als Bestätigung seines Egos. Weiter reichende Intrigen auf dieser Basis sind nicht seine Sache. So willigt er in die Verführung Céciles auch nur widerwillig und letztlich aus Ärger über die Warnungen von Céciles Mutter ein. Aufschlussreich ist auch, dass Madame de Merteuil ihren ehemaligen Liebhaber Valmont mit erotischen Versprechungen locken kann. Bei einem solch abgefeimten, die Erotik nur noch als Macht- und Intrigenspiel betrachtenden Paar sollte man annehmen, dass diese untereinander kein Thema mehr sei. Doch weit gefehlt: die Glut der scheinbar ad acta gelegte Beziehung schwelt doch unter der Asche weiter. Ob das echte Emotionen Valmonts sind oder nur eine neue Herausforderung oder die Kompensation eines möglichen Laufpasses durch die Merteuil, bleibt offen. Die in der langfristigen Intrige wesentlich raffiniertere Merteuil scheint das Binnenverhältnis zu Valmont daher auch eiskalt und gezielt zu manipulieren, steht am Schluss jedoch am Ende vor den Trümmern ihres Gefühlshaushalts. Der Mann, dessen erotischen Triebe und Gefühle sie zu steuern meinte, liebte eine andere und sah sie im besten Fall als eine Beute, die man wieder aufwärmen konnte.

Quartett: Stefan Schuster (Valmont), Katharina Hintzen (Merteuil)Dieses komplexe Beziehungsgeflecht haben zwei Theaterautoren für die Bühne aufbereitet: der Brite Christopher Hampton und der – stets unbequeme – DDR-Dramatiker Heiner Müller. Hampton hat den Roman in einem eher herkömmlichen Stil für die Bühne aufbereitet, mit festen Rollenzuordnungen und einer chronologischen Erzählstruktur. Heiner Müller dagegen reduziert die Zahl der Personen auf vier – Valmont, Merteuil, de Tourvel und Cécile – und löst die Rollenzuordnungen auf. Alle vier Rollen – Daher „Quartett“ – werden im Wechsel von zwei Darstellern gespielt, wobei in der Schwebe bleibt, ob nicht auch die Rollen der Cécile und de Tourvel in einer Art „Spiel im Spiel“ von Valmont und Merteuil gespielt werden. Das Stück verzichtet weitgehend auf eine übliche Bühnenhandlung und verlegt alles in den gesprochenen Text. Während Hamptons Version im 18. Jahrhundert angesiedelt ist, verlegt Müller die Geschichte in eine fiktive Zeit nach einem Dritten Weltkrieg, in dem nur noch die beiden Darsteller übrig geblieben sind. Ob sie Valmont und Merteuil sind oder nur deren Rollen – und die der anderen beiden – spielen, bleibt offen. Während bei Hampton die Darstellung der Intrige und der Bosheit im Vordergrund stehen, ist es bei Müller eine Endzeit, in der alles gleichgültig geworden ist, Erotik auf Sex reduziert ist und alles nur in lasziv-zynischen Reden verhandelt wird. Immer wieder spielen die beiden Protagonisten bestimmte Situationen der Handlung nach – eher redend als handelnd -,  zerfleischen sich gegenseitig und zerpflücken beide zusammen die Begriffe Liebe, Erotik und Sexualität.

Regisseurin Patricia Benecke hat beide Stücke an einem Abend auf die Bühne des Darmstädter Schauspiels gebracht. Im ersten Teil spielt Hamptons Version in der herkömmlichen Aufführungspraxis – Schauspieler auf der Bühne, Zuschauer im Saal -, im zweiten Teil, nach einer längeren Pause, sitzen die Zuschauer auf der Bühne rund um die sich drehende Plattform, auf der die beiden Darsteller spielen.

Für Hamptons Stück hat Gesine Kuhn – Bühne und Kostüme – das 18. Jahrhudnert aufleben lassen. Die Bühnenrückwand ist  mit Frauenkleidern dieser Epoche in allen Grautönen vollgehängt, einzelne epochengerechte Stühle und ein riesiger Kronleuchter stellen das Mobiliar dar. Die Darsteller schweben auf den Stühlen vom Bühnenhimmel hinab und führen ihre Dialoge aus diesen luftigen Positionen in geometrischer Distanz zueinander. Diese statische Anordnung unterstreicht die Bindungslosigkeit untereinander und das Kalkül, das alle Beziehungen bestimmt. Die Sprache – die deutsche Übersetzung haben Martin und Alissa Martin angefertigt – ist ausgefeilt, aber deutlich unterkühlt. Emotionen werden eher klinisch als leidenschaftlich beschrieben, Sinnlichkeit wird bewusst ausgespart. In dieser Hinsicht ist die Sprache mit der Handlung synchronisiert. Die Kostüme, vor allem der Damen, entsprechen ganz dem pompösen Stil des Rokokko, die Frisuren ebenfalls, wenn die Darsteller nicht die Perücken abnehmen.

Die Szenen gehen ineinander über, und oftmals ensteht eine neue Szene noch mitten in der alten, wobei man sich an gewissen Stellen einzelne Darsteller der letzten Szene wegdenken muss. Patricia Benecke vermeidet Ab- und Auftritte bewusst und schickt unbeschäftigte Figuren einfach in die Erstarrung eines gestellten Bildes. Das verleiht der Inszenierung Dichte und Intensität sowie einen gewissen Surrealismus, der dem Stück ja durchaus nicht fremd ist.

Als musikalische Begleitung lässt die Regisseurin die SängerinSonja Bisgiel buchstäblich „einfliegen“. Sie sinkt in einem großen Vogelkäfig bis auf die Bühne nieder und singt dabei – ein wenig anachronistisch – Barocklieder. Diese bildliche Metapher zeigt das Verhältnis der Gesellschaft des der Rokokko-Gesellschaft zum Künstler mehr als deutlich.

Quartett: Katharina Hintzen (Merteuil), Stefan Schuster (Valmont)Die Darsteller verleihen dieser Inszenierung die erwünschte Ausdruckskraft, ohne in Chargenbosheit zu verfallen. Karin Klein versteckt das grundböse Wesen der Marquise de Merteuil, das letztlich auch nur auf Verletzungen beruht, lange Zeit hinter der Maske der besorgten Patentante und Freundin. Nur in den Dialogen mit Valmont bricht dann die ungeschminkte Bosheit durch. In den Momenten der Kränkungen verliert sie kurz die mimische Contenance, um sich dann wieder zu  straffen, außer am Ende, wenn die Merteuil allein zurückbleibt. Da steht Karin Klein mit starren Augen und hängenden Lippen im leeren Raum.
Andreas Vögler gibt den Vicomte de Valmont als lässigen – heute würde man sagen „coolen“ – Verführer, der sich seiner Wirkung stets bewusst ist und selbst leidenschaftliche Aufwallung nur kalkuliert einsetzt. Vögler könnte die hintergründige Amoralität noch etwas schärfer zuspitzen, denn zeitweise wirkt er wie der erfolgreiche Playboy, dem man nicht böse sein kann. Schließlich sind die Männer doch so! Valmont ist jedoch deutlich asozialer als ein gewöhnlicher Frauenverführer. Er weiß um die verheerenden Folgen für die Frauen und nimmt sie nicht nur in Kauf sondern genießt sie.
Christina Kühnreich spielt die Madame de Tourvel mit all der Strenge, die eine bigotte, ehrpusselige Frau prägt, unter deren korrekter Oberfläche jedoch geheime Sehnsüchte lauern. Den Übergang von der anfänglichen Empörung über die Zudringlichkeiten Valmonts zu der beginnenden Hörigkeit stellt sie mit überzeugender Mimik und Körpersprache dar, ebenso wie die Verzweiflung bei Valmonts unerwarteter Beendigung der Affäre.
Katharina Hintzen verleiht der jungen Cécile die Fragiliät und Naivität eines unerfahrenen und gutgläubigen jungen Mädchens und erstarrt buchstäblich in ungläubigem Schrecken, als sie Valmonts wahre Natur entdeckt.
Stefan Schuster ist ein gutgläubiger, zukunftsorientierter junger Mann, der bei Laclos offensichtlich die kommende, bessere Generation symbolisiert. Maika Troscheit spielt die Mutter der Cécile mit der Besorgtheit aller Mütter und dem guten aber falschen Glauben der einfachen Leute an die scheinbar so gutherzige Marquise.

In der Version von Heiner Müller, die nach einer einstündigen Pause beginnt, agieren nur noch Stefan Schuster (Valmont) und Katharina Hintzen (Merteuil). Auf der Drehbühne sind alte Kleider und verschiedene Zivilisationsgegenstände – Grammophone, Bandgeräte –  unordentlich übereinandergehäuft, und Katharina HIntzen schwebt langsam auf einem Stuhl hinab, nach Valmont rufend, bis dieser (Stefan Schuster) sich aus dem Kleiderhaufen herauswühlt. Wir befinden uns offenbar in einer zivilisatorischen Endzeit, in der weder Kleiderordnungen noch Einrichtungen noch eine Rolle spielen. Einmal fällt die Bemerkung über einen „Bunker nach dem Dritten Weltkrieg“. So sietht es auch aus. Die beiden umkreisen sich und spielen „Les liaisons dangereuses“ mit wechselnden Rollen. Mal spielt Katharina Hintzen die Merteuil und Stefan Schuster den Valmont, dann wiederum umgekehrt. Dann spielen die beiden ihre Opfer Cécile und de Tourvel. Sie schleichen umeinander herum, werfen sich Anzüglichkeiten ins Gesicht, decken gnadenlos gegenseitige Schwächen auf, geben ihre gegenseitige Abneigung kund und können doch nicht voneinander lassen. Dabei fällt auf, dass Müller wortgleich ganze Sequenzen aus Hamptons Stück übernommen zu haben scheint. Da er aber sein Stück zumindest lange vor der Übersetzung der Hampton-Version geschrieben hat, ist das nur auf weitgehende Texttreue sowohl bei Müller als auch bei den Übersetzern zurückzuführen, die weitgehend dieselben Worte und Satzstrukturen benutzen. Das wirkt jedoch nicht plagiatorisch sondern bindet Müllers Version dicht an die vorher gesehene an. Der Wiedererkennungseffekt erhöht die Identifikation mit diesem Stück. Am Ende vergiftet die Merteuil in der Rolle des Valmont eben diesen, der in den Sitzreihen des Zuschauerraums eins mit sich und der Welt stirbt. Durch das Annehmen des Todes hat er in der Sterbestunde die Merteuil besiegt und lässt sie – wie schon vorher – allein und verbittert zurück.

Sicher ist Hamptons Stück auf der Bühne eindrucksvoller und gibt dem Publikum viele emotionale Anknüpfungspunkte. Müllers Stück dagegen lebt nur von den Texten, die durch ihre endzeitliche Trostlosigkeit eine Identifikation erschweren. Aber das war sicherlich auch nicht Müllers Ziel. Auf jeden Fall ist diese Gegenüberstellung zweier Bearbeitungen des selben Stoffs aufschlussreich und öffnet immer wieder neue Blickwinkel. Für die Zuschauer ist es zwar eine Herausforderung, sich an einem Abend fünf Stunden (mit Pause) lang mit dieser bitterbösen Geschichte und ihren Hintergründen zu beschäftigen, aber es lohnt sich in jeder Hinsicht.

   
                                                                                 
Frank Raudszus

 

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