Groteske in Schwarz-Weiß
Das Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm inszeniert Schillers „Kabale und Liebe“
Friedrich Schillers Kabale und Liebe im Berliner Ensemble, inszeniert durch Claus Peymann, steht einer hohen Erwartungshaltung gegenüber. Wer vor dem Besuch die Einführung und Kommentare auf der Seite des BE liest, erfährt folgendes: es haben sich offensichtlich die Bühnen Deutsches Theater, Maxim Gorki und Schaubühne in den letzten Jahren bereits an dem Werk versucht. Der Berliner Kulturliebhaber und förderer Prof. Dr. Peter Raue schreibt, sie alle hätten das Stück verraten, wohingegen es Peymann gelungen sei, eine Darbietung zu präsentieren, die unter die Haut und ins Herz geht. Die Neugier ist also geweckt.
Sabin Tambrea, Antonia Bill und Ensemble
Kabale und Liebe ist Schillers Antwort auf das wohl bekannteste Bühnenstück Romeo und Julia von Shakespeare. Mit nur 23 Jahren, als graduierter Mediziner und angestellter Theaterdichter in Mannheim, präsentierte er dieses bürgerliche Trauerspiel zur Unvereinbarkeit von Karriere und Liebe. Ferdinand, der Sohn des Präsidenten, liebt die Bürgerstochter Luise, deren Eltern einfache Musiker sind. Der Präsident am Fürstenhof hat jedoch Lady Milford, die Geliebte des Herzogs, als Ehefrau für Ferdinand auserkoren, um sie hierdurch zu legitimieren und sich und seinen Sohn wohl zu positionieren. Lady Milford verliebt sich schließlich tatsächlich in den jungen Ferdinand, der jedoch sein Herz untrennbar an Luise vergeben hat. Als der Präsident von der ungewünschten Konstellation erfährt, sucht er seinen Sohn erst mit eindringlichen Worten zu überzeugen und fädelt nach erster Erfolglosigkeit eine Intrige ein. Für ihn steht nichts anderes als die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, denn über seinen Adjutanten Wurm hat er die anstehende Vermählung bereits in die Weiten des Fürstentums tragen lassen. Ein erzwungener Liebesbrief führt zu Missverständnissen, Enttäuschung, Streit und schließlich zum Kampf. Wie nicht anders zu erwarten, endet das Schauspiel für Ferdinand und Luise im Tod, wo sie schließlich ihre Vereinigung finden. Nicht selten identifiziert man bei Inszenierungen jeglicher Art intuitiv gewisse Schwerpunkte, die der Regisseur legt. Die Darbietung im schmucken Berliner Ensemble präsentiert sich mit einem schlichten aber intelligenten Bühnenbild, sehr aufwändigen und detailverliebten Kostümen und einer ausgewogenen Kraft der einzelnen Figuren. Zu Beginn schwebt über der quasi leeren Bühne nur ein kreisrunder Leuchtenträger, der sich zur ersten Szene im bürgerlichen Musikerhaushalt leicht absenkt. Dazu gleitet ein einfacher weißer Stuhl herab, der neben einigen peripher abgelegten Musikinstrumenten das Bühnenbild darstellt. Vater Miller (Martin Seifert), Mutter (Traute Hoess) und Luise (Antonia Bill) erscheinen alle in weißer Kostümierung. Für Luise steht das Weiß sicherlich für Ihre Unschuld und im Dasein der Familie auch für Ehrlichkeit und gewissenhaftes Handeln. Einzelne schwarze Applikationen sollen womöglich Zeichen kleiner Sündenfälle sein nicht zuletzt versucht der Vater seine Tochter auch abseits der Liebe nach seinen Vorstellungen zu verheiraten.
In der Szene um den Präsidenten und seinen Sohn Ferdinand hebt sich der Leuchtenträger zur Raumhöhe fürstlicher Gemächer. Der weiße Stuhl entschwindet und ein roter Hochstuhl senkt sich herab. Dieser ist in der Basis auch ein einfacher Stuhl, aber seine Beine sind einzeln, mit groben Stricken umwunden, verlängert. Der Präsident (Joachim Nimtz) schreitet auf verborgenen Stelzen herein und strahlt seine Macht mit seiner körperlichen Präsenz in dominantester Form aus. Weitere Merkmale sind sein Bouffier-golden zurückgekämmtes Haar, der rotweinsamtige Frack und eben die immensen Beine und Füße. Das Rot erscheint als Farbe der Macht, des Blutes und der Rücksichtslosigkeit, so man nur dem eigenen Vorankommen verpflichtet ist. Ferdinand (Sabin Tambrea) tritt zwiegespalten zwischen bürgerlicher Ehrbarkeit und Bescheidenheit sowie fürstlichem Machtstreben auf. Seine Kleidung ist prächtig jugendlich und sein weißes Blouson wird ab und an durch seinen langen schwarzen Mantel verdeckt.
Katharina Susewind, Thomas Wittmann
Eine Nebenfigur des adligen Daseins ist Wurm (Norbert Stöß), der Haussekretär des Präsidenten. Er kleidet sich in reinem Schwarz und ist der kreative Kopf hinter der Intrige gegen Ferdinand und Luise. Gleichzeitig liebt er ebenfalls die bürgerliche Tochter und hält bei den Eltern um ihre Hand an. Besonderes Stilmittel ist die räuberische Strumpfmaske über seinem Haupt, die er teils nur zum Gespräch leicht anhebt ein glänzendes charakterbildendes Element. Und schließlich gibt es noch den Hofmarschall von Kalb (Thomas Wittmann) als Ebenbild des Adeligen: ein unnützer Clown ohne Realitätsbezug in schwarzer Ballonkleidung. Sein weiß geschminkter Mund, der wohl Unschuld und Ehrlichkeit predigt, steht im Gegensatz zur rote Nase und blutgetränkten rechten Hand, die das Unrühmliche zur Schau trägt. Zwischen diesen Welten lebt Lady Milford (Katharina Susewind). In ihrem prächtigen rosa Kleid schwingt sie auf einer großen rosa Schaukel hin und her. Die Szenerie symbolisiert sehr schön das sorglose, arbeitsferne und verantwortungsentbundene Leben. Die Unschuld hat sie verloren und als Mätresse verkörpert sie auch etwas leicht Anrüchiges. Neben der Wahl der Farbe Rosa ist auch der Schnitt ihres Kleides sicher mit Bedacht gesetzt. Ist es im Stehen geschlossen, so öffnet es sich beim Schaukeln mittig vorne und zeigt, dass die Lady sehr gut um ihre weiblichen Mittel der Macht weiß. Interessant ist, dass Claus Peymann für die Rolle der Lady Milford eine so junge und hübsche Schauspielerin gewählt hat, die eindeutig in Konkurrenz zu Luise steht. Dies macht die Situation für Ferdinand nicht leichter, wenn er sich mit Ihr trifft, um die Pläne des Vaters zu besprechen. Obgleich man sich die Lady älter vorstellen würde, darf man nicht vergessen, dass sie die Geliebte des Herzogs ist. Dieser hat wohl auch seine nachvollziehbaren Präferenzen. Die Gesamtkonzeption des Stückes ist außerordentlich stimmig und ausgewogen. Sowohl der Präsident, wie auch Ferdinand und Miller spielen überzeugende männliche Rollen und zeigen auch mal lautstark ihren Zorn. Lady Milford und Luise sind ob ihrer Gegensätzlichkeit doch sehr ähnlich in der Besetzung. Die Frage, ob sie auch jeweils die andere Rolle hätten spielen könne, darf mit „ja“ beantwortet werden. Mit Katharina Susewind als schillerndere Person erscheint die Besetzung der Lady Milford ebenso gelungen wie mit Antonia Bill als schüchternes Mädchen der Bürgerlichkeit. Wer nun die früheren Inszenierungen von „Kabale und Liebe“ auf den anderen Bühnen erlebt hat, mag die des BE nun also mit anderen Augen sehen. Für sich stehend, ist die Szenerie intelligent gewählt und die Figuren vermögen es, das Herz des Zuschauers zu erreichen.
Malte Raudszus
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