Martin Suter: „Almen und die Dahlien“

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1310_almen.jpgEin ironischer Retro-Roman über Bilder, Bildung und Betrug

Martin Suter ist bekannt für seine pointierten Romane und Sachbücher über Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spricht er normalerweise eine deutliche wenn auch gemäßigte Sprache, meist ohne ambivalenten Einschlag. Dieser Roman zeigt ihn einmal von einer ganz anderen Seite, einer ironischen bis fast nostalgischen.

Allmen ist ein Mittvierziger der alten Schule, stets dem Anlass entsprechende gekleidet und auf einen Lebenswandel mit „Stil“ bedacht. Von Anfang an meint man, einen Roman aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert zu hören, als die Herren im Dreiteiler und mit Hut und Stock ausgingen und im „Ritz“ ihren morgendlichen Drink einnahmen. Allmen ist – auch das passt in dieses Bild – natürlich alleinstehend, aber durchaus kein Frauenfeind. Er weiß nur den Wert seiner Freiheit zu schätzen uns ist nicht Sklave seiner Triebe.

Allmen hat sich in verschiedenen – natürlich standesgemäßen – Berufen versucht, es aber offensichtlich nie zu Geld oder gar einem Vermögen gebracht. Er schrammt stets an der Insolvenz entlang, ignoriert dies jedoch mit der Nonchalance des wahrhaft souveränen Hochstaplers. Selbst entsprechende Anspielungen sogenannter „Freunde“ weiß er selbstsicher zu parieren. Derzeit betreibt er ein Unternehmen für die Wiederauffindung verschwundener – oder gestohlener – Kunstwerke. Suter beschreibt dieses Unternehmen mit ironisch gefärbten Begriffen des „international jet set business“, denn Reise-, Recherche- und Abwicklungsabteilung sind alle in Carlos konzentriert, einem illegalen Migranten aus Südamerika. Maria, seine Geliebte, die sich – ebenfalls illegal – bei Carlos eingemietet hat, ergänzt das Personal. Nach außen präsentiert Allmen sein Unternehmen jedoch als professionelle Organisation mit einem entsprechenden Stab. Das ist ein deutlicher satirischer Seitenhieb auf all die hochstapelnden Kleinunternehmen, die Suter wohl vor allem aus seiner Zeit als Inhaber einer Werbeagentur kennt.

Eines Tages wird Allmen von der Mitarbeiterin einer alten Dame kontaktiert, die als so reich wie sonderbar gilt. Es geht um das Verschwinden eines Bildes – Dahlien eines französischen Malers –  aus den Räumlichkeiten der alten Dame. Natürlich lebt sie in dem alten Schlosshotel, das schon bessere Tage gesehen hat und sich dennoch nicht den Gepflogenheiten der Gegenwart öffnen kann. Hier geht es zu wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts: mit livrierten Portiers, überladenen „art déco“-Räumen und dem vornehmen Muff aus früheren Jahrzehnten. Kein Wunder, dass die Kundschaft langsam davonstirbt.

In diesem antiquierten Ambiente finden die Verhandlungen statt, und Allmen nimmt schließlich den Auftrag zur Wiederbeschaffung gegen eine stattliche Erfolgsprovision an. Dabei lernt er nicht nur die etwas forsche Assistentin sondern auch die skurrile alte Dame selber kennen, die gerne alle um sich herum anknurrt und mit bösen Bemerkungen überzieht.

Um die Hintergründe besser kennenzulernen, zieht Allmen als scheinbar harmloser Gast in das Schlosshotel und beobachtet genau, welche Gäste bei welchen Gelegenheiten erscheinen und wie sie sich aufführen. Dabei macht er nicht nur aufschlussreiche Entdeckungen, sondern er erlebt auch gleich am ersten Abend den Tod eines alten Gastes sozusagen „live“. Da trotz einiger Querverbindungen die letzten Beweise über die Zusammenhänge fehlen, lässt er auf Empfehlung von Carlos dessen Freundin Maria als scheinbar harmloses Zimmermädchen einstellen, und diese erfährt bald von den anderen Zimmermädchen erstaunliche Dinge.

Diese Erkenntnisse beschleunigen den Gang der Dinge derart, dass Allmen irgendwann in das Visier eines stadtbekannter Potentaten gerät, der keine Zimperlichkeiten kennt und ihm nächtens eine gehörige Tracht Prügel verpassen lässt. Doch Allmen gibt nicht auf und kann schließlich den Verbleib des Bildes klären und für dessen Rückführung sorgen. Dabei deckt er eine Menge alter Beziehungen zwischen den beteiligten Personen auf und kommt zu dem Schluss, dass letztlich immer wieder verschmähte oder verratene Liebe und Rache Auslöser für Demütigungen und Betrug sind. Da es sich hier in gewisser Weise um einen Kriminalroman handelt, wollen wir weitere Details nicht verraten.

Martin Suter verpackt den Roman in die Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts. Würde er nicht hin und wieder ein Handy oder das Internet erwähnen, könnte man annehmen, der Roman spiele sich vor dem Ersten Weltkrieg in einem Grandhotel ab. Seine Beschreibungen der Personen und die deutliche Ironie erinnern an Thomas Mann, und das sollen sie wohl auch. Wenn er die abendlichen Diners im Schlosshotel beschreibt, denkt man unwillkürlich an den „Zauberberg“, und selbst die Kriminellen zeigen bei ihm einen gewissen Stil und sind daher mehr Metaphern des Bösen als tatsächliche Bösewichter, wie wir sie aus üblichen Krimis kennen. Mit den Mitteln der Ironie und einer gewissen „Retrotechnik“ verweist er natürlich auf unsere heutige Zeit. Offensichtlich will er damit ausdrücken, dass wir uns wieder in einer ähnlichen Situation wie 1913 befinden. Man diniert gut und leistet sich etwas, obwohl man eigentlich pleite ist, und der äußere Schein geht über alles. Geld ist in unanständigem Umfang an wenigen Stellen konzentriert, und die Besitzer üben ihre Macht genüsslich aus. Illegale Migranten machen die Drecksarbeit und dürfen dafür hier wohnen, und sogenannte honorige Bürger agieren über Strohmänner und Leibwächter als skrupellose Kriminelle, ohne als solche geächtet zu werden.

Am Ende, wenn der Fall gelöst scheint, kommt Suter noch einmal mit einer Pointe, die einerseits alles wieder „auf Null“ stellt und andererseits für einen offenen Schluss sorgt, da die Pointe sich eben wie ein „cliff hanger“ an die letzte Romanzeile klammert und dort hängenbleibt.

Gerd Heidenreich liest den Roman mit viel Gespür für die mal leise, mal deftige Ironie und lässt den Text von Anfang bis Ende in einer Atmosphäre zwischen Realität und sanfter Satire schweben. Jeder mag sich auf diesen Roman seinen eigenen Reim machen.

Das Hörbuch ist im Diogenes-Verlag unter der ISBN 978-3-257-80338-9 erschienen, umfasst 4 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 280 Minuten und kostet  24,90 €.
Frank Raudszus

 

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