Alex Capus: „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“

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Drei Biographien des 20. Jahrhunderts

Alex Capus, französischer Schriftsteller mit Schweizer Wohnsitz, hat in seinen diversen Romanen die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verarbeitet, obwohl er selbst kein Kind dieser Epoche ist und seine Stoffe deshalb aus den Archiven schöpfen muss. In dem vorliegenden Buch stellt er drei Menschen dieser Zeit vor, die man guten Gewissens nicht als zeittypisch bezeichnen kann. Dabei geht es nicht um fiktive Personen sondern um historische Persönlichkeiten, deren Lebensdaten Capus nicht verändert hat. Den Gattungsbegriff „Roman“ hat er lediglich gewählt, weil er die Gespräche seiner Protagonisten mit ihren Mitmenschen nachträglich frei erfunden hat. Dabei versucht er jedoch stets, diese fiktiven Dialoge an den bekannten Fakten auszurichten, so dass keine Brüche zwischen Fakten und Interpretation entstehen. Da die drei Personen über einen bestimmten Zeitraum – 1911 bis 1939 – gleichzeitig gelebt haben, stellt er des Öfteren die hypothetische Frage, ob sie sich per Zufall und „inkognito“ begegnet sind, lässt dies jedoch offen und entwickelt aus dieser Möglichkeit keine Handlungsstränge.

Die drei Personen könnten unterschiedlicher nicht sein. Emile Gillérion (1885-1939) war ein begnadeter Zeichner und verbrachte sein ganzes Leben als Zeichner antiker Ausgrabungsfunde in Griechenland, vornehmlich auf Kreta. Die Bezeichnung „Fälscher“ ist insofern irreführend, als er ganz offiziell eine eigene künstlerische Interpretation der Antike entwickelte und seine Fresken und Mosaike nie als authentische Fundstücke ausgab.

Felix Bloch kam wie Emile Gillérion aus der Schweiz, studierte Physik und Mathematik und ging bereits in den zwanziger Jahren nach Deutschland, um dort mit Werner Heisenberg an der Quantentheorie zu arbeiten. Als Jude verließ er bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Deutschland und landete schließlich mit einem Stipendium an der kalifornischen Stanford-Universität, wo er unter anderem Robert Oppenheimer kennenlernte. Eben dieser motivierte den geborenen Pazifisten Bloch zur Teilnahme am „Manhattan-Projekt“, wie die Amerikaner die Entwicklung der Atombombe nannten. Bloch wirkte nach eigenen Angaben mit, weil er befürchtete, die Deutschen könnten die Bombe als erste entwickeln.

Laura d’Oriano schließlich kam als Kind kosmopolitischer Künstler im nahen Osten zur Welt, wollte Sängerin werden und wanderte mit ihren Eltern bereits als Jugendliche nach Frankreich aus. Das Gesangsstudium scheiterte am mangelnden Talent, und sie schlug sich eine Zeit lang mit Aushilfsjobs durchs Leben. Sie heiratete einen Schweizer, verließ diesen und ihre Töchter wegen der spießigen Enge des Schweizer Dorfes und kehrte nach Marseille zurück. Im Krieg setzten sie französische  Widerständler mit Hinweisen auf ihren unsicheren Aufenthaltsstatus unter Duck, da sie ihre vielfältigen Sprachkenntnisse benötigten. Sie setzten sie als Spionin in Italien ein, wo sie Ende 1941 enttarnt wurde. Nach Anklage und Verurteilung wurde sie Anfang 1943 hingerichtet.

Man fragt sich natürlich, warum Capus gerade diese drei historischen Personen für seine Trilogie ausgesucht hat, die so gut wie nichts gemeinsam hatten außer 28 Jahren gemeinsamer Lebenszeit. Die einzige Gemeinsamkeit bestand in ihrem zeitweiligen Wohnsitz in der Schweiz, der jedoch in keinem Fall lebensbestimmend war. Philosophisch oder psychologisch lässt sich konstatieren, dass alle drei in gewisser Weise scheiterten. Laura d’Oriano wollte ernsthafte Sängerin werden und wurde trotz innerer Abneigung Nachtclubsängerin wie ihre Mutter, von ihren Aushilfsjobs ganz zu schweigen. Emile Gillérion der Ältere wollte den künstlerischen Akademismus seiner Zeit mit einer eigenwilligen, authentischen Kunstauffassung aufbrechen und endete als Kopist und Fälscher antiker Kunstfunde. Sein Sohn Emile geriet gar nicht erst in diesen Konflikt. Felix Bloch schließlich wollte an nützlichen Dingen für den Weltfrieden arbeiten und entwickelte die schrecklichste aller Waffen. Jedoch nur bei Bloch lässt sich sagen, dass die gesellschaftlichen und politischen Zustände ursächlich für das „Scheitern“ waren.

Capus verzichtet zwar bewusst darauf, um diese drei Personen komplexe fiktive Handlungsstränge aufzubauen, dafür schildert er jedoch die jeweilige Zeit und gesellschaftliche Grundstimmung mit größter Sorgfalt. Dabei geht es ihm weniger um die großen politischen Ereignisse als vielmehr um die Befindlichkeit der Menschen in ihrer konkreten gesellschaftlichen Umgebung. Das Gefühlsleben seiner Protagonisten lässt er dabei bewusst im Dunklen, weil er den historischen Personen im Nachhinein nicht zu nahe treten will. Natürlich hätte er Lauras Todesangst während des Prozesses und in den Stunden vor ihrer Hinrichtung nach allen Regeln der Kunst ausmalen können, doch das wäre ebenso wohlfeil gewesen wie die Auslotung von Felix Blochs Gewissensqualen bei seiner Entscheidung, an der Entwicklung der Atombombe teilzunehmen. Auch Emiles Innenleben bei den Fälschungen der Ausgrabungsobjekte macht er nicht zum Gegenstand seiner Spekulationen. In allen drei Fällen wäre dass ein posthumer Übergriff auf seine Figuren gewesen, die schließlich ein eigenes, selbstbestimmtes Leben geführt haben und sich nicht nachträglich ihre Motivationen erklären zu lassen brauchen.

Capus beschreibt die konkreten Lebensläufe der drei so hautnah an den bekannten Fakten entlang, dass die Menschen dahinter noch einmal zum Leben erwachen und sozusagen selbst dem Leser ihre Geschichte erzählen. Im Fall von Emile Gillérion kommt dabei sogar ein trockener Humor zum Tragen, wenn Capus die nonchalante Unbekümmertheit beschreibt, mit der Gillerion Vater und Sohn die schönsten antiken Kunstgegenstände im Stil von „Art Deco“ oder Jugendstil erschaffen. Ansonsten ist in dem Buch nicht viel Platz für Humor, aber den geben die Lebensläufe und die Zeit auch nicht her. Dafür erfährt man viel über die politische Lage der Zeit zwischen den Weltkriegen, und auch ohne konkrete Beschreibungen von Naziverbrechen wird die Unmenschlichkeit dieses Regimes deutlich.

Alex Capus‘ Roman „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ ist im Hanser-Verlag unter der ISBN 978-3-446-24327-9     erschienen, umfasst   282 Seiten und kostet 19,90 €.

Frank Raudszus

 

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