David Foster Wallace:
„Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“
Ein fast satirischer Bericht über eine Karibik-Kreuzfahrt
Zu dem Autor dieses Buches sind einige Vorabbemerkungen notwendig, um das Buch richtig einordnen zu könen. David Foster Wallace hatte bereits im Alter von 23 Jahren drei Studiengänge (Mathematik, Literatur und Philosophie) mit Bestnoten absolviert und danach noch einen Master in „Creative Writing“ erworben. Seine Promotion in Philosophie brach er zugunsten einer Professur ab. Im Alter von 46 Jahren nahm er sich 2008 wegen schwerer Depressionen das Leben. Wallace gilt als einer der außergewöhnlichsten Schriftsteller der USA, vor allem wegen der überbordenden Syntax und der komplexen Struktur seines Werkes, das sich auf zwei Romane und einige kleinere Publikationen beschränkt.
Das vorliegende Buch erschien 1996 in englischer Sprache, als Wallace etwa Mitte dreißig war. Zu diesem Zeitpunkt hatte er einen Essay für ein bekanntes Magazin verfasst und erhielt plötzlich von eben diesem Verlag das Angebot, an einer einwöchigen Karibik-Rundfahrt auf einem der einschlägigen Kreuzfahrtschiffe teilzunehmen und irgendetwas darüber zu schreiben. Wallace hatte bis dahin keinen Gedanken an diese Art von Urlaub verschwendet und war ein wenig überrascht. Jedoch meinte er, wie er selbst in dem Vorwort von Georg Diez sagt, es könne nicht schaden, auch einmal diese Freizeitkultur kennenzulernen.
Das besagte Vorwort ist selbst schon ein kleiner Essay des Literaturkritikers Georg Diez, der auf über zwanzig Seiten nicht nur den Autor und sein Werk vorstellt, sondern auch ein längeres Interview mit ihm führt. Auf diesen Seiten erhält man den ersten Eindruck von dem unkonventionellen, ja fast sperrigen Charakter dieses Ausnahmeschriftstellers. Potentielle Leser sollten das Vorwort auf keinen Fall überschlagen.
Wallace verzichtet in seinem Bericht von der Woche auf einem Kreuzfahrtschiff auf jegliche literarische Überhöhung oder gar raffinierte Strukturelemente. Er schildert einfach chronologisch die Tage von der Ankunft und Einschiffung bis zur Rückkehr in den Hafen. Dabei besticht vor allem sein scharfer Blick, der jedes Detail wahrnimmt. Seltsamerweise ist diese analytische Sichtweise nicht mit einem trockenen oder gar ideologisch-kritischem Stil verbunden, sondern Wallace schreibt so, „wie ihm der Schnabel gewachsen“ ist, will sagen, er bedient sich einer fast saloppen Ausdrucksweise, wie man sie von einem Mittdreißiger erwartet, der zum ersten Mal an einer teure Karibik-Kreuzfahrt teilnimmt. Der kleine und feine Unterschied besteht nur darin, dass Wallace bei aller Lockerheit das Leben auf dem Schiff mit geradezu satirischer Schärfe beschreibt. Dabei versteckt er seine Kritik hinter einer vordergründigen Naivität, die den überbordenden Luxus mit verständnislosem Staunen anstarrt. Eines seiner Lieblingsworte lautet „bovin“, das wörtlich „zum Rind gehörend“ bedeutet, aber bei Wallace im Sinne eines „Herdentriebs“ gemeint ist. Die Gäste eines solchen Kreuzfahrtschiffs sind für ihn wie eine große Herde, die all den Verführungs- und Verwöhnungskünsten der Besatzung erliegt. Überhaupt ist das organisierte Nichtstun für ihn geradezu unvorstellbar. Zwar gibt es an Bord eine Unzahl von Freizeitbetätigungen aller Art, aber sie haben alle Zerstreuungscharakter und dürfen auf keinen Fall zu irgendeiner Anstrengung führen. Oberstes Gebot der Organisatoren ist es, den Gästen jegliche Selbstverantwortung abzunehmen. Mit der Einschiffung geben die Gäste sozusagen auch die Verantwortung für ihr eigenes Leben ab. Wallace zeigt dies an Kleinigkeiten wie beim Essen, wenn jeder Teller sofort abgeräumt wird, wenn der Gast sich nur kurz vom Stuhl erhebt; oder dass das Zimmer jedes Mal aufgeräumt wird, sobald der Gast nur kurz das Zimmer verlässt.
Er selbst versucht, die Massenverwöhnung immer wieder zu konterkarieren, indem er etwa an gemeinschaftlichen Aktivitäten wie Ausflügen nicht teilnimmt oder halbe Tage in seiner Kabine verbringt. Auch handelt er sich unausgesprochene Kritik ein, wenn er den „Dresscode“ nicht beachtet oder kritische Fragen an die Schiffsoffiziere stellt. Dabei haben diese Fragen stets den Zweck, die gelackte, „perfekte“ Oberfläche des Betriebs aufzubrechen oder zumindest anzukratzen. Dass ihm dies nicht gelingt, liegt auf der Hand, denn die Gäste nehmen die Perfektion als selbstverständlichen Teil der bezahlten Dienstleistung, und die Verantwortlichen der Schiffsführung wollen diesen Eindruck auf jeden Fall aufrecht erhalten. Das Ganze erscheint David Foster Wallca wie eine große Barbie-Welt, obwohl er diesen Begriff nicht benutzt. Fast wie eine Figur aus Kafkas Romanen rennt er gegen die rundum gelackte und unfehlbare Luxusmauer an, ohne sie auch nur ankratzen zu können. Er wird von Offizieren wie von Gästen einfach höfliuch ignoriert, wenn er am Idealbild des perfekten Luxusurlaubs kratzt.
Ein wiederkehrendes Thema ist bei ihm das Essen und die Reaktion der Gäste darauf. Selbst die zugegeben perfekteste Mahlzeit findet noch Nörgler und Beckmesser, vor allem unter den Frauen, und die kindische Egozentrik feiert vor allem beim abendlichen Dinner mit seiner Zwangsgesellschaft wahre Triumphe. Ein anderes Faszinosum sind für ihn die Landausflüge, wenn eine Herde von Hunderten betuchter Amerikaner die Armut in karibischen Hafenstädten wie ein malerisches Theaterstück bestaunt.
Wallace schreckt auch vor der Schilderung eigener Niederlagen nicht zurück, etwa wenn er beim Tontaubenschießen auf dem Achterdeck als einziger nichts trifft und sich den mitleidigen Blicken junger Oberschichtsöhne ausgesetzt sieht; oder wenn er beim großen Dinner statt des obligatorischen Smokings ein T-Shirt mit Smokingaufdruck trägt. Peinlich! Oder wenn er in der Bibliothek beim Schach gegen ein neunjähriges Mädchen unter den scharfen Augen der ehrgeizigen Mutter in wenigen Zügen verliert. Überhaupt fasziniert ihn als Literat die Bibliothek, da dort mehr oder weniger nur Bildbände und Puzzlespiele ausliegen.
Doch auch Erfolgserlebnisse kann er melden. So schlägt er den Bordchampion im Tischtennis – gleichzeitig DJ in der Bord-Disko – mehrere Male deutlich. Dazu muss man wissen, dass David Fostrer Wallace neben seiner intellektuellen Begabung auch eine sportliche aufweisen konnte, die ihn in höhere Ränge der Tennisliga führte.
Eine Besonderheit dieses Buches sind die Fußnoten. Man könnte Wallace als den „König der Fußnoten“ bezeichnen, denn auf jeder Seite fällt mindestens eine kürzere oder längere Fußnote an, wobei Wallace das Kunststück fertigbringt, in seinen Fußnoten weitere „Fuß-Fußnoten“ zu generieren. Allein die Fußnoten bilden schon ein eigenes literarisches Werk.
Wer mit dem Gedanken spielt, an einer Kreuzfahrt teilzunehmen, sollte sich auf jeden Fall vorher dieses Buch zu Gemüte führen. Vielleicht kommt er oder sie dann auf eine andere Urlaubsidee.
Das Buch „Schercklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich““ ist im Mare-Verlag unter der ISBN 978-3-86648-147-1 erschienen, umfasst 207 Seiten und kostet 20 .
Frank Raudszus
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