Borkum und die deutsche Unfreundlichkeit
Eine Entdeckungsreise durch die Nordsee-Insel Borkum
Wie ein großes Spiegelei ruht die Insel Borkum in der Nordsee. So wie das Eiweiß großflächig das Eigelb umschließt, schmiegen sich großartige Strände und Dünengürtel um das Inselgrün. Hier lässt sich entspannt Urlaub machen. Stundenlang kann man am Strand entlang spazieren und die jodhaltige Nordseeluft inhalieren. Zu warm wird es einem selten, da immer eine frische Meeresbrise weht. Wer trotzdem ein Abkühlungsbedürfnis verspürt, hat immer die Möglichkeit, ein erfrischendes Bad im gut gesalzenen Meer zu nehmen. Danach geht’s zu Fuß auf festem Untergrund oder im seichten Wasser weiter – so weit die Füße tragen. Bei Ebbe sind die Möglichkeiten für Wanderfreunde schier endlos. Man läuft und läuft entspannt in die Weite und vergisst völlig die Zeit, gibt sich dem schieren Vergnügen des Laufrhythmus‘ hin, bis man endlich das Ende des Strandes erreicht. Schaut man zurück, kann man kaum Glauben, welche Strecke man zurückgelegt hat und wie schnell zwei Stunden vergehen können.
Genauso genussvoll wie das Laufen ist das Radfahren auf der Insel. Vielfältige Radwege schlängeln sich als Strandpromenade oder als verwunschene, befestigte Dünenwege kreuz und quer über die Insel. Immer wieder locken Cafés, Imbissbuden oder Gartenwirtschaften zur Einkehr. Doch Vorsicht! Bitte keine Sonderwünsche äußern; immer schön der brave, zahlende Gast bleiben, der nicht aufmuckt, sonst gibt’s schon mal eine erzieherische Maßnahme, die sich gewaschen hat. So geschehen in einem Café in den Dünen mit weit auf die See blickender Aussichtsterrasse und empfehlenswertem, selbstgebackenen Kuchen. Uns war der Tee ein wenig zu stark, und so baten wir um etwas heißes Wasser zur Verdünnung. Da schoss in vollem Brass die Chefin selbst an unseren Tisch und hielt uns lautstark einen Vortrag über das Teetrinken: dass es doch uns obliege, den Tee nicht zu lange ziehen zu lassen (er hatte exakt vier Minuten gezogen) und rechtzeitig den Teebeutel herauszunehmen; das mache sie nicht mit. Ausnahmsweise erhielten wir nach der Zurechtweisung noch etwas heißes Wasser, aber nur dieses eine Mal. Tja, was kann man da machen? Nicht mehr hingehen; keinen Tee mehr trinken; auf Kaffee umsteigen – aber, wenn der dann auch zu stark ist?
Wie gesagt, auf Sonderwünsche der Gäste ist man auf Borkum nicht eingestellt. Im Hotel fragten wir nach dem „Borkum-Magazin“ mit dem Veranstaltungskalender, weil wir unseren Aufenthalt ein wenig vorplanen wollten. Immerhin hatten wir ja ordentlich Kurtaxe gezahlt. Die Antwort der Rezeptionistin war ein doppeltes, barsches „Nein“, begleitet von genervten Blicken. Es gab übrigens auch keine Auskunft, wo man das Heft erhalten konnte. Das Gespräch war einfach beendet.
Auch beim Abendessen kann es unangenehm werden. Dank eines Tipps anderer Gäste hatten wir einen Tisch in einem Restaurant reservieren lassen, das für seine gute Küche bekannt ist. Der Nachmittag auf der Insel war im strömenden Regen und bei eiskalten Winden nicht gerade ein Vergnügen gewesen. Beim Regenspaziergang wurden wir kalt durchnässt und mussten im Hotel erst einmal heiß duschen, um wieder warm zu werden. Abends rauschte der Regen immer noch, und der Wind heulte ums Hotel, so dass wir ein Taxi zum Restaurant bestellen mussten. Dort angekommen, fanden wir eine angenehme Atmosphäre vor – richtig heimelig war es. Die Bedienung führte uns an unseren Tisch, wo wir Platz nahmen und uns auf ein genüssliches Menü mit einer Flasche Wein freuten. Doch nichts tat sich. Die Bedienung – übrigens die Chefin – deckte abgegessene Tische ab, räumte auf, wischte ab, deckte neu ein und plauderte auch ein wenig mit anderen Gästen. Uns bot sie weder einen Aperitif an noch reichte sie uns die Speisekarte. Nach zehn Minuten, als kein Ende der Aufräumaktion in Sicht war, wagten wir es, selbständig die. Speisekarte zu holen. So konnten wir uns wenigstens lesenderweise auf ein schönes Mahl einstimmen und die Zeit überbrücken. Und siehe da: die junge Frau unterbrach tatsächlich ihr geschäftiges Hin- und Hergeräume, um an unseren Tisch zu eilen und einen verbalen Gewitterregen auf uns niederprasseln zu lassen: so gehe das nicht; es obliege ihr, die Speisekarten auszuteilen; da seien wir wohl im falschen Lokal; so könnten wir nicht miteinander ins Geschäft kommen. Dann verließ sie uns und ignorierte uns bis auf Weiteres.
Normalerweise war das so unverschämt, dass man das Lokal verlassen hätte. Doch der strömende Regen und mangelnde gastronomische Alternativen in der Nähe zwangen uns, geduldig sitzen zu bleiben und zu warten, was passieren würde. Nach einer Viertelstunde hatte sich die Dame besonnen, kam wieder an den Tisch, murmelte etwas von einer Bedienung, die auch mal ihre Tage haben könne, und nahm tatsächlich unsere Bestellung auf. Es wurde schließlich doch noch ein kulinarischer Abend. Die Küche war wirklich sehr gut, und unsere Bedienung/Chefin war schließlich doch noch bemüht, für „gut Wetter“ zu sorgen und uns vom kalten Nordseewetter draußen abzulenken.
Gut gestärkt kämpften wir uns zu später Stunde wieder in Richtung Hotel. Der Regen wusch die letzten Narben des Abends ab, und ein vorgeheiztes Hotelzimmer mit warmen Federbetten tröstete uns bis zum nächsten Morgen. Der ließ wieder die Sonne vom Himmel lachen und lockte uns in die Dünen, wo wir uns genüsslich dem Lesespaß hingeben konnten.
Die Naturschönheiten der Insel Borkum sind unumstritten. Der Erholungswert ist hervorragend. Die Freundlichkeit in der Gastronomie jedoch könnte durchaus noch verbessert werden. Freundlichkeit kostet nichts und ist eine hervorragende Geschäftsidee, um Kundschaft an sich zu binden.
Drei Besonderheiten sind noch erwähnenswert: am Strand von Borkum begegnen dem Spaziergänger immer wieder feine runde. Spitzendeckchen, die dunkelrot gesäumt sind. Bildschön anzusehen in trockenem Zustand, ist diese Sorte Feuerquellen bei Berührung während des Badens alles andere als angenehm. Auch die dunkelblauen Anemonen, die im Wasser ihre Blüten entfalten, sind unangenehme Quallen, denen man besser aus dem Wege geht. Die hektisch umherrennenden Vögel in Lachmövengröße mit knallroten Schnäbeln sind Austernfischer, die hier ihren kulinarischen Anspruch auf frische Austern leider aufgeben mussten und mit dicken, schwarzen Wattwürmern vorlieb nehmen müssen. Das originellste aber ist die Tabaksorte „Borkumriff“, die weltweit vertrieben wird. Zwar gibt es vor Borkum das gefährliche Riff, das schon so manchem Schiff zum Verhängnis geworden ist, aber Tabak wird – bisher jedenfalls – auf Borkum nicht angebaut. Ob sich beim Genuss dieses Tabaks das Gefühl des Untergangs oder das Gefühl überlebt zu haben einstellt, bleibt dem Raucher selbst überlassen.
Barbara Raudszus
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