Das Rheingau-Musik-Festival präsentiert in einem Freiluftkonzert „Nachtmusiken“ von Mozart

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Mozartnacht ohne „Kleine Nachtmusik“  

Das Rheingau-Musik-Festival präsentiert in einem Freiluftkonzert „Nachtmusiken“ von Mozart
Jeder an Musik auch nur rudimentär interessierte Zeitgenosse kennt Wolfgang Amadeus Mozarts „Kleine Nachtmusik“. Dieses wohl meistgespielte Stück der klassischen „E-Musik“ ist geradezu  zum Markenzeichen dieser Musikgattung geronnen. Da verwunderte es natürlich ein wenig, dass es in dem Programmheft für das Freiluftkonzert „Mozarts große Nachtmusiken“ im Kreuzgang des Klosters Eberbach am 4. Juli nicht aufgeführt war. Spötter könnten nun sagen, dass eine „Kleine Nachtmusik“ nichts bei „Großen Nachtmusiken“ zu suchen habe, aber die Veranstalter boten eine seriösere Erklärung: da dieser Programmpunkt schon seit Jahren ein fester Bestandteil des Musikfestivals sei, habe man alle Nachtmusiken Mozarts bereits zweimal und öfter gehört, und so müsse man die Kategorie weiter fassen, um keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Mozart war als Namensgeber weitgehend geblieben, aber da man als Solist und Dirigent des „Irish Chamber Orchestras“ den deutschen Klarinettisten Jörg Widmann hatte gewinnen können, boten sich zwei Programmpunkte geradezu zwingend an; erstens Mozarts Klarinettenkonzert A-Dur (KV 622), und zweitens eigene Stücke des Solisten, Dirigenten und Komponisten Widmann. So geschah es denn auch.

Am Beginn des Abends stand allerdings der Namensgeber, und zwar mit „Adagio und Fuge c-Moll, KV 546“ aus dem Jahr 1788, als sich Mozarts intensiv mit der Musik der Bach-Familie auseinandersetzte. Nach dem fast düsteren Adagio (c-Moll!) setzt nahezu übergangslos die Fuge mit einem drängenden Thema ein, das sich in der typischen Fugenverzahnung bis zum Ende durchzieht. Dabei verlässt Mozart mehr als einmal den damals üblichen Tonraum und spielt mit den Dissonanzen benachbarter Töne. Durch diese gewagten Harmonien erhält die Komposition nicht nur den Charakter einer viel moderneren Musikepoche, sondern auch etwas Kompromissloses und Schicksalhaftes. Das Chamber Orchestra intonierte vor allem den Fugenteil mit ausgeprägter Transparenz und steigerte durch diese schlanke Interpretation die harmonischen Schärfen noch.

Als zweites Stück dirigierte Widmann seine eigene Komposition „Ikarische Klage“, die den Ikarus-Mythos in Musik umsetzt. Bei diesem ging es darum, weder den Göttern (der Sonne) noch der Unterwelt (der Erde) zu nahe zu kommen, sondern den idealen Mittelweg für ein gelungenes Leben zu finden. Zu Beginn deuten höchste Geigenlagen, verhalten gespielt, die Sphärenmusik des Himmels an, dagegen setzen dann die Bässe das „Brummen“ der Erde. Die Lockungen dieser beiden Enden des menschlichen Erfahrungsraumes schwellen auf und wieder ab, und schließlich setzen die Bratschen mit einer Mittellage ein und übernehmen zunehmend die Führung. Ein expressives Solo der Violine übernimmt noch einmal die Führung – der Moment, in dem Ikarus der Sonne zu nahe kommt -, den Schluss bildet jedoch wieder der Gesang der Bratschen.

Dieses Stück erforderte nicht nur wegen der freien Metrik höchste Konzentration vom Orchester, sondern auch wegen der komplexen Klangfarben und der schwierigen Übergänge. Doch es gelang dem Ensemble, den Grundtenor dieses uralten Mythos überzeugend in Klänge umzusetzen.

Als erster Höhepunkt vor der Pause folgte dann Mozarts Klarinettenkonzert mit Jörg Widmann als Solist. Über das Werk selbst braucht man wegen seines hohen Bekanntheitsgrades nicht mehr viel zu sagen. Leider wird es oftmals als Filmmusik zu „Jenseits von Afrika“ identifiziert, was zwar nicht falsch ist, die Verhältnisse jedoch auf den Kopf stellt.

Widmann und das Orchester nahmen bereits den ersten Satz frisch und zupackend. Im weiteren Verlauf betonte Widmann jedoch den liedhaften Gestus und verzichtete zugunsten einer eher introvertierten Interpretation auf ein zu „strahlendes“ Solo . Der zweite Satz bestach durch seine in sich geschlossene, schlichte Lyrik, die Widmann ohne jede Effekthascherei überzeugend zum Ausdruck brachte. Der dritte Satz lebte vor allem von seinem tänzerischen Charakter. Auch hier  wurde das Orchester seinem Namen als „Chamber“-Orchestra gerecht, indem es – zusammen mit dem Solisten – den kammermusikalischen Charakter des Werkes hervorhob. Das wird nämlich  wegen seiner Beliebtheit von größeren Orchestern und in großen Sälen gerne mit sinfonischem Einschlag präsentiert. Widmann holte es in die Ebene der Konzerte zu Mozarts Lebzeiten zurück, als kleine Ensembles vor begrenzten Auditorien zu spielen pflegten.

Nach der Pause kam noch einmal Jörg Widmann als Klarinettist und Komponist zu Wort. Er trug seine „Fantasie für Klarinette solo“ vor, die er als neunzehnjähriger Student aus Liebe zu seinem Instrument komponiert hatte. Hier zeigt er alles, was die Klarienette kann, und spart auch nicht an klanglichen oder humoristischen Effekten. Dabei muten dann manche Sequenzen wie Vogelstimmen an. Eine Amsel auf dem Dach der Basilika ließ sich dadurch inspirieren und trat zu einem Wettsingen mit Widman an, das so manchem Zuhörer ein Lächeln auf die Lippen zauberte und die volle Konzentration des Solisten erforderte.

Zum Abschluss präsentierte das Orchester unter der Leitung Jörg Widmanns Mozarts Sinfonie Nr. 40 in g-Moll (KV 550). Auch hier stand wieder der kammermusikalische Aspekt im Vordergrund, obwohl es sich um eine Sinfonie handelte. Die Beschränkung auf ein kleineres Orchester hat den Vorteil, dass die einzelnen Stimmen deutlicher zum Tragen kommen und generell ein schlanker Klangkörper entsteht. Der erste Satz kam leicht und federnd daher, nicht so drohend und bedeutungsschwanger wie oftmals bei größeren Orchestern. Den zweiten Satz – ein Andante – nahm Widmann schneller als man es gewohnt ist, und verlieh ihm damit einen drängenden statt getragenen Charakter. Das Menuett des dritten Satzes kam extrem schnell. Auch hier wollte Widmann wohl auf den eigentlichen Charakter des Werkes hinweisen, das in einer Phase entstand, als das Publikum Mozarts musikalischer Entwicklung nicht mehr folgen konnte und ihm davonlief. So wurde aus dem tänzerischen Menuett ein getriebenes. Den letzten Satz nahm Widmann dann geradezu federnd und energisch, bisweilen fast tänzerisch, arbeitete aber die langsame Steigerung und die verschiedenen Variationen des Thema zum Schluss dieses langen Satzes energisch und konsequent heraus.

Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete trotz der kühlen Witterung im nächtlichen Kreuzgang lang anhaltenden Beifall.

Frank Raudszus

 

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