Der Beginn einer wunderbaren Beziehung(?)
Die „Barfestspiele“ des Staatstheaters Darmstadt zeigen David Greigs Komödie „Eine Sommernacht“
Helena ist Scheidungsanwältin und unglücklich mit einem verheirateten Mann liiert. Sie befürchtet, schwanger zu sein, und sitzt trübsinnig in einer „angesagten“ Bar bei teurem Weißwein. An einem anderen Tisch sitzt Bob, Gelegenheitskrimineller, der gerade ein gestohlenes Fahrzeug verkauft hat und für seinen Auftraggeber das Geld bar kassiert hat. Unterschiedlicher kann ein Paar kaum sein, und doch entwickelt sich in diesem Falle eine Liebesgeschichte. Es ist der Mittsommernachtstag, und Helen will ihren wankelmütigen Liebhaber und die drohende Schwangerschaft wenigstens an diesem Tag vergessen. So spricht sie kurzerhand frech den trüb vor sich hinstarrenden Bob an, angeblich mit dem Angebot, in ihrer Wohnung wilden, hemmungslosen Sex zu treiben.
Schon hier beginnt das Vexierspiel der verschiedenen Ebenen. Denn die Darsteller – Andreas Vögler als Bob und Ronja Losert als Helena – spielen nicht nur die beiden Figuren des Stücks sondern auch die Darsteller. Das drückt sich in wiederkehrenden Diskussionen über den Wortlaut einzelner Aussagen oder den Ablauf bestimmter Ereignisse aus. Dabei wird jedoch diese Diskussion nicht inhaltlich thematisiert sondern lediglich das eigentliche Geschehen relativiert und damit ironisiert. Die Liebesgeschichte selbst bietet nicht viel Spektakuläres und könnte als solche leicht ins Kitschig-Belanglose abgleiten. Die Diskussionen der Darsteller über die Details der Handlung zeigen immer wieder, dass alles auch ganz anders hätte sein können.
Als zweite Ebene der Ironisierung dient die Musik. Bob spielt Gitarre und singt dazu, wobei nie ganz klar wird, ob der Darsteller dieser Figur das Instrument als weiteres Mittel zur Schaffung der passenden Atmosphäre spielt oder ob Bob selbst damit kurzzeitig aus der Realität flieht. Wenn Helena mitsingt, ist eindeutig Ersteres der Fall, in anderen Szenen zupft Bob die Geige und gibt sentimentale oder rebellische Songs zum Besten.
Man kann sich vorstellen, dass die Beziehung dieser beiden nicht gerade problemlos verläuft. Helena ist sich spätestens nach dem stark alkoholisierten „One Night Stand“ darüber im Klaren, dass es sich hier um eine „mesalliance“ handelt, und leitet eine halbherzige Trennung ein. Einsam, wie sie ist, erhofft sie im Stillen eine heftige emotiionale Reaktion Bobs, die dessen WUnsch nach einer stabilen Beziehung ausdrücken würde. Doch Bob ist viel zu „cool“, als dass er diesem Laufpass mehr als ein trockenes „Okay“ entgegensetzen würde, und trollt sich.
Doch die Dinge entwickeln sich anders als gedacht. Bob wird den großen Bargeldbetrag nicht mehr rechtzeitig bei der Bank los und steht nun mit einer Plastiktüte voller Bargeld am Mittsommernachtstag in der Gegend herum. Helena tritt schwer verkatert als Brautjungfer bei der Hochzeit ihrer Schwester an, ruiniert die Feier jedoch, indem sie sich über ihr Kleid erbricht und sich vor der gesamten Hochzeitsgesellschaft blamiert. Deprimiert bittet sie Bob um kurzen Unterschlupf, und dieser beschließt, das Bargeld für ein richtiges „Mittsommernachtsfest“ zweckzuentfremden, obwohl ihm die Rache des Auftraggebers droht.
So ziehen die beiden los und hauen das Geld auf den Kopf, anfangs noch schwer verkatert von der heißen Nacht, dann langsam auftauend. Die teuersten Weine, Hummer in teuren Restaurants und japanischer Fesselsex gehören ebenso zum Programm wie Straßenmusik. Liebe spielt keine Rolle, und beide vermeiden peinlich jegliche emotionale Annäherung. Doch der Zuschauer erkennt schnell die Brüchigkeit der Seelen hinter der selbstsicheren, abgeklärten Fassade. Kurze Blicke, ein Zucken in den Mundwinkeln, gelegentliche Zeichen der Frustration und der Sehnsucht zeigen, dass sich beide im Grunde genommen mehr wünschen, es aber nicht zu äußern wagen. So tanzen sie buchstäblich um den heißen Brei der Liebe herum und wagen lange nicht, sich ihn einzuverleiben. Als moderne Menschen können sie natürlich klar zwischen Sex und Liebe unterscheiden und erklären sich das immer wieder gegenseiotig.
Wenn dann einmal einer der beiden einen zaghaften Vorstoß unternimmt, weicht der andere fast erschrocken zurück. Als Bob, die Gitarre in der Hand, scheinbar cool und beiläufig einen gemeinsamen Spaziergang vorschlägt, weicht Helena fast panisch auf die vernüftige Spur aus, die für eine engere Beziehung keine Zukunft sieht. In Wirklichkeit ist sie nur verwirrt und traut der Sache nicht. Doch auch sie zieht sich nur scheinbar zurück. Nach einem fast geschäftsmäßigen Abschied mit der Floskel „Man sieht sich“ taucht sie unter einem Vorwand wieder auf, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen. So geht es bis zum Ende des Stückes, wobei die Kreise, die beide umeinander ziehen, immer enger werden. Natürlich begleiten sie diese Annäherungen mit abgeklärt-ironischen Redewendungen oder mit flotten Liedern zur Gitarre, die sie wie einen Schutzpanzer um sich legen. Doch dieser Panzer wird immer dünner, und am Ende kommt es dann tatsächlich zu einem gemeinsamen Spaziergang. Den Rest kann sich der Zuschauer dann selbst zusammenreimen.
Ronja Losert und Andreas Vögler spielen dieses so grundverschiedene Paar unter der Regie von Judith Kuhnert mit viel Witz und Improvisationstalent, wobei sie bewusst die Trennung zwischen fiktiver Person und Darsteller verschwimmen lassen. Sie erscheinen gleichzeitig als Paar, das langsam zueinander findet, wie auch als zwei junge Leute, die aus Spaß ein solches Paar nachspielen und sich dabei köstlich amüsieren. Letztlich widerspricht sich das ja auch nicht, denn auch im „richtigen“ Leben kann man sich den Beginn einer Beziehung als den spielerischen Versuch einer solchen vorstellen. Der hat für beide den Vorteil, dass man sich jederzeit ohne Gesichtsverlust zurückziehen kann, sollte der andere nicht darauf anspringen. Man wollte ja nur spielen!
Neben der anrührenden Geschichte dieser beiden einsamen jungen Leute, die sich schwer tun mit Beziehungen, enthält dieses Stück auch viele Slapstick-Situationen, die so manchen Lacher ernten, entweder, wenn die beiden auf der Bar mit kunstvollen Körperverdrehungen japanischen „Bondage-Sex“ darstellen oder wenn Bobs krimineller Auftraggeber beim Racheversuch an seinem betrügerischen Komplizen vom Herzinfakt dahingerafft wird. Dabei müssen die beiden Darsteller öfter schnell die Rollen wechseln, Andreas Vögler mal als greinender kleiner Junge und mal als heulende Braut auftreten oder Ronja Losert den prolligen Ganoven geben.
Das Publikum in der ausverkauften Bar dankte den beiden Darstellern für diese temperamentvolle Stunde mit kräftigem Beifall.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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