Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zeigt in der Ausstellung „The Krazy House“ Werke von Rineke Dijkstra

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Bilder über das erwachende Bewusstsein

Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zeigt in der Ausstellung „The Krazy House“ Werke von Rineke Dijkstra

Picassos
Wer im „MMK“ zur Pressekonferenz geht, kann schnell ins Fettnäpfchen treten – wenn er sich nicht auskennt. Als der Rezensent noch vor Beginn der Pressekonferenz von einer Erkundungstour durch die Ausstellung in den Presseraum zurückkam, sah er unter einer Gruppe von Hängelampen mitten im Raum ein größeres, zerknülltes Stück Papier liegen. Preußisch erzogen, wollte er dem ersten Impuls folgen und das Papier in dem nächstbesten Papierkorb entsorgen. Nur die ein wenig spießig anmutende Beflissenheit dieser Aktion ließen ihn davon Abstand nehmen. Ein Glück, denn es handelte sich, wie sich später herausstellte, um ein Teil eines Exponats mit den besagten Lampen. Man denkt automatisch an die Putzfrauen, die einst in New York Joseph Beuys´ mit Butter verschmierte Badewanne säuberten….

Dijkstra: Foto
                  der Bosnierin Almerisa
Auch die Pressekonferenz fiel etwas anders aus als von den anderen Frankfurter Museen gewohnt. Dass die Vortragenden – Direktorin Dr. Gaensheimer und Kurator Gorschlüter – nicht durch Namensschilder kenntlich gemacht wurden, mag nur neue Besucher verwundern; dass jedoch die Direktorin die Ausstellung mit so nichtssagenden Adjektiven wie „wunderbar“ und „toll“ und Adverbien wie „wahnsinnig“ beschrieb, mag vielleicht auf das Sujet der Ausstellung zurückzuführen sein. Es handelt sich nämlich um Videoclips und Fotos von Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsenenleben. Die Niederländerin Rineke Dijkstra, Jahrgang 1959, hat sich lange Zeit mit Videoinstallationen beschäftigt und ist erst kürzlich nach längerer Konzentration auf Fotoarbeiten wieder zu dieser Kunstform zurückgekehrt. In Frankfurt stellt sie jetzt neue Videoclips aus, die sie in den letzten Jahren geschaffen hat.
Im zentralen Raum – der mit dem zerknüllten Papier – begrüßen den Besucher zwei Porträits: das eine stammt von Pablo Picasso, heißt „Weinende Frau“ und wurde dem MMK von der „Tate Sammlung“ für diese Ausstellung als Leihgabe überlassen. Das dazu korresponierende Foto von Rineke Dijkstra zeigt eine junge Engländerin aus einem Liverpooler Club, die eher eine narzisstische Selbstzufriedenheit ausstrahlt. Diese beiden Bilder bauen einen Spannungsbogen auf, der sich über die „Lampeninstallation“ von einer Wand zur anderen erstreckt.

Dijkstra: Videoclip
Ziel der Arbeiten von Rineke Dijkstra ist es, vor allem junge Menschen in ihrem eigenen sozialen Kontext zu zeigen, ohne sie dabei bewusst zu lenken. Dazu hat sie einschlägige Clubs in England – Liverpool – und den Niederlanden besucht und dort ganze Nächte die jungen Leute beobachtet und aufgenommen. Ihr ging es dabei um die Identitätssuche und das Körperverständnis der jungen Menschen. Um die störenden Nebeneinflüsse der Clubs auszublenden, holte sie einzelne junge Leute – meist Mädchen – in einen eigenen Raum mit neutralem Hintergrund, wo  sie nach derselben Musik tanzen konnten. Dijkstra zeigt dabei auch die spontanen Reaktionen und die wachsenden Selbstsicherheit der jungen Leute, die sich anfangs als Schauobjekt fühlen und entsprechende Zurückhaltung zeigen – gehemmte Bewegungen, unsichere Blicke. Doch mit zunehmender Dauer dieses „Vortanzes“ gewinnen die Bewegung an Flüssigkeit und Natürlichkeit, Mimik und Gestik entspannen sich, und am Ende tanzen die jungen Mädchen genauso selbstvergessen, wie sie es üblicherweise in den Clubs tun. Für diese Installation, nach dem gleichnamigen Club „The Krazy House“ genannt, hat das MMK einen eigenen, abgedunkelten Raum mit vier Videoflächen errichtet, auf denen die einzelnen Clips rotierend ablaufen.
Ein anderes Video zeigt ein junges Mädchen mit Zahnspange, das einen bekannten Song mitsingen soll. Anfangs tut sie dies mit gesenkten Augen und kaum geöffneten Lippen, doch von Minute von Minute entspannt sich das Gesicht, der Blick hebt sich und die Lippen öffnen sich zu einem deutlichen und zunehmend akzentuierten Gesang. Die Installtion „The Power House“ zeigt zwei junge Mädchen, die ebenfalls nach gängiger Clubmusik tanzen, wobei die Viedos kunstvoll miteinander verschränkt sind.

Eine andere Arbeit zeigt elf Fotografien eines jungen bosnischen Mädchens, das im Alter von fünf Jahren als Flüchtling in die Niederlande kam. Rineke Dijsktra zeigt in dieser Fotostrecke über etwa siebzehn Jahre, wie sich aus dem kleinen Mädchen im kariert-bosnischen Kleidchen und mit misstrauischem Gesichtsausdruck erst ein halbwüchsiges Mädchen, dann eine junge, selbstbewusste Frau und schließlich eine stolze Mutter entwickelt. Die jeweilige Wohnungsumgebung, die Kleidung und der Gesichtsausdruck verdeutlichen den Entwicklungsprozess, ohne eine Bewertung abzugeben.
Daneben präsentiert Rineke Dijsktra in dieser Ausstellung eine Reihe älterer Fotos von überwiegend jungen Menschen, in denen sie ihre Modelle bewusst frontal aufnimmt, um einerseits den Gesichtsaussdruck unverfälscht, fast nackt, wiederzugeben und jede Spannung aufbauende oder bewusst Ausdruck erzeugende Bildkonzeption zu vermeiden. Gerade durch diese Unmittelbarkeit gewinnen die Fotos an Aussagekraft. Dabei verfolgte Rineke Dijkstra zusammen mit dem Kurator von vornherein das Ziel, ihre Bilder soweit wie möglich in die aktuelle Ausstellungslandschaft des MMK zu integrieren. Ihre Exponate hängen nur selten alleine in einem Raum, sondern korrespondieren mit ähnlichen Werken anderer Künstler, die das jeweilige Sujet ganz anders dargestellt haben. Diese Gegenüberstellung übt einen besonderen Reiz aus und lässt die Bilder buchstäblich sprechen.
Als Dienstleistung für Interessierte bietet das MMK eine „App“ für das Galaxy-Smartphone von Samsung an, die es erlaubt, sich die Ausstellung auch auf dem Handy anzuschauen. Hingehen ist besser!
Die Ausstellung „The Krazy House“ ist vom 23. Februar bis zum 26. Mai 2013 mittwochs von 10 bis 20 Uhr, an allen anderen Wochentagen außer montags (geschlossen) von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Frank Raudszus

 

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