Das Erwachen der künstlerischen Freiheit
Das Städel-Museum huldigt in der Ausstellung „Schönheit und Revolution“ dem Klassizismus
Das 18. Jahrhundert war eine der bewegtesten Epochen in den letzten zweitausend Jahren. Die kriegerischen Ereignisse bewegten sich zwar – im Gegensatz zum 17. Jahrhundert des Dreißigjäjrigen Krieges – in „normalen“ Grenzen, die Umbrüche waren jedoch spektakulärer: in Nordamerika entstand 1776 der erste demokratische Staat moderner Prägung, und den alten Kontinent erschütterte zum Ende des Jahrhunderts die französische Revolution, nach der nichts mehr war wie vorher. Das Ganze hatte natürlich nicht nur Auswirkungen auf die Kunst in allen Spielarten, sondern man sieht bereits die Vorahnungen in den künstlerischen Entwicklungen während des Jahrhunderts. Jean-Jacques Rousseau, der die Revolution um ein Jahr verpasste, hatte die ideellen Grundlagen gelegt, und viele Künstler folgten ihm – bewusst oder unbewusst. In der Musik hatte sich schon Joseph Haydn vorsichtig vom Diktat der Kirche und des Hofs gelöst, Mozart komponierte nach seinem eigenen Gusto (und machte sich damit nicht nur Freunde) und Beethoven schließlich war der eigenständige Künstler par excellence. In der Literatur war Goethe der herausragende Vertreter einer Epoche, die ihre Wurzeln in der Antike suchte. Weimar war sozusagen die Wiege des Klassizismus.
In der darstellenden Kunst hatte sich ebenfalls ein unstillbarer Drang nach Echtheit und Wahrhaftigkeit entwickelt. Bis dahin lebten die Maler oder Bildhauer weitgehend von Auftragswerken – Porträts – reicher Gönner oder religiösen Werken für die Kirche. Die eigenen künstlerischen Ambitionen mussten dahinter zurückstehen. In ihrer Sehnsucht nach Authentizität und künstlerischer Würde entdeckten die Künstler die Antike wieder, zum zweiten Mal nach der Renaissance. Die griechischen und römischen Skulpturen galten ihnen als Maßstab für Schönheit und Ausgewogenheit, und mit diesem Vorbild konnten sie der traurigen Gegenwart der höfischen Auftragskunst zumindest im heimischen Atelier entgehen. Und mit der zunehmenden Artikulation der Aufklärung konnten sie sich mit ihren neuen künstlerischen Ansätzen auch mutiger in der Öffentlichkeit bewegen. Einer der wichtigsten Vertreter des Klassizismus in der bildenden Kunst war Johann Joachim Winckelmann, der die Antike anfangs aus dem Geist der Archäologie neu entdeckte und daraus die kunsthistorische Epoche des Klassizismus begründete.
Spätere Generationen rümpften jedoch gerne die Nase über die angeblich akademische Steifheit des Klassizismus, suchte er doch seine Vorbilder in der Vergangenheit. Die Hochromantik mit ihrer Übersteigerung des Individuums und ihrer existenziellen Sehnsucht konnte ebensowenig mit der Rückbesinnung auf die antike Ästehtik anfangen wie der sozialkritische Naturalismus oder gar der politisch motivierte Expressionismus. Das Städel-Museum räumt jetzt mit diesen lieb gewordenen Vorurteilen auf und präsentiert in der Ausstellung eine Reihe von Künstlern des 18. Jahrhunderts, die alle aus dem Geist der Antike arbeiteten. Dabei haben bekannte Museen wie die Eremitage aus St. Petersburg und das Thorvaldsen Museum aus Kopenhagen großzügigerweise Leihgaben zur Verfügung gestellt.
Die Ausstellung gliedert sich in drei Bereiche: die erste ist der Stadt Rom gewidmet, die den Mittelpunkt der klassizistischen Epoche bildete. Das kam natürlich nicht von ungefähr, denn hier standen oder vielmehr lagen die meisten Überreste der Antike. Mancher wird fragen, warum nicht Griechenland als gelobtes Land der Antiken-Renaissance entdeckt wurde. Das liegt wohl vor allem daran, dass Griechenland bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zum osmanischen Reich gehörte und daher für Europäer schwer zugänglich war. Viele Künstler dürften wegen der jahrhundertelangen Abtrennung des Landes auch gar nicht gewusst haben, dass die meisten der römischen Kunstwerke Kopien griechischer Originale gewesen waren. Dazu mehr in der Ausstellung „Zurück zur Klassik“ des Liebieg-Hauses. So hielt man sich an das leichter erreichbare Rom und etablierte dort das Mekka des Klassizismus.
Der zweite Bereich ist der Wiedergabe mythologischer und historischer Themen gewidmet. Die Antike galt nicht nur ästhetisch als Vorbild sondern auch moralisch (das Sklaventum bei den Griechen hatte man wohl schlicht vergessen). Man setzte die Schönheit der Statuen mit der Reinheit der antiken Seelen gleich und bemühte sich, diese vermeintliche Tugend der Vorfahren wieder zu beleben. Das konnte natürlich auch zu politischen Reibereien führen, wenn jemand die Assoziation zur zeitgenössischen Unmoral – früher war immer alles besser! – zu dick auftrug.
Die Darstellung der Emotionen wird im dritten Bereich thematisiert. Darüber wurde im 18. Jahrhundert heftig diskutiert. So pries noch Lessing die gebändigten Emotionen der Laokoon-Gruppe, während andere Künstler des Klassizismus wie Thomas Banks oder Johann Heinrich Füssli die Gefühlswelt ihrer Protagonisten geradezu expressionistisch darstellten.
Die Ausstellung ist geradezu spektakulär und mit viel Sinn für sinnliche Ästhetik aufgebaut. Im Treppenhaus zum ersten Teil der Ausstellung begrüßt den Besucher ein raumhohes Bild der Göttin Hebe von Antonio Canova. Diese Statue sieht man dann beim Betreten der Ausstellung in Natura und in doppelter Ausfertigung. Links von Canova, mit vergoldetem Geschirr für den ewige Jugend stiftenden Nektar, rechts von dem Dänen Thorvaldsen. Die beiden Versionen zeigen zwei völlig verschiedene Interpretationen dieser Figur: Canova interpretiert sie als leicht, schwebend und freundlich dem Betrachter zugewandt, Thorvaldsen als in sich ruhend und nach unten blickend. Hier spiegeln sich natürlich auch die unterschiedlichen Temperamente der Künstler – mediterran und nordisch.
Beim weiteren Durchstreifen der Ausstellung trifft man auf die unterschiedlichsten Gemälde und auch immer wieder Skulpturen, durchweg Gipsabdrücke der Originale aus Rom. Gerade die Verbindung von Gemälde und Skulptur vermittelt einen besonders intensiven Eindruck dieser Epoche. Die Bilder decken ein breites Spektrum der Darstellungen und der dahinter stehenden Mentalität sowie künstlerischen Ausrichtung ab und überraschen immer wieder mit ihrer Realitätsnähe, selbst bei den mythischen Stoffen. Die Künstler haben ihren Figuren nicht nur menschliche Gesichter sondern auch entsprechende Gefühlslagen mitgegeben, so dass man sich in Tragik, Grausamkeit oder Schmerz einzelner historischer oder mythologischer Szenen gut hineinversetzen kann.
Besondere Bilder sind in langen Sichtachsen angeordnet. So sieht man den „Tod Marats“ gleich beim Betreten des zweiten Teils der Ausstellung von einer entfernten Stirnwand mit dramatischer Geste heraus leuchten. Im selben Raum ist dieses Sujet von einem anderen Künstler des Klassizismus in fast identischer Pose noch einmal dargestellt worden. Beide Bilder stellen Marat als einen Revolutionär dar, der noch im Tode edle und verzeihende Gesichtszüge zeigt, und sind damit Zeugen einer engen geistigen Verwandschaft zwischen Künstlern und Revolutionären.
Wer diese Ausstellung besucht, sollte sich unbedingt auch die verwandte Ausstellung „Zurück zur Klassik“ im Liebieghaus ansehen, da beide aufeinander abgestimmt sind. Wer jedoch dazu keine Zeit hat, wird auch aus dieser Ausstellung alleine sehr viel mitnehmen und anschließend mit dem Klassizismus mehr als das Abkupfern antiker Ideale verbinden.
Die Ausstellung „Schönheit und Revolution“ ist vom 19. Februar bis zum 26. Mai 2013 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 21 Uhr geöffnet.
Frank Raudszus
No comments yet.