Wilder Tanz ums goldene „Burn Out“
Das TanzTheater des Staatstheaters Darmstadt zeigt Mei Hong Lins neue Produktion „Lala auf der Couch“
Das moderne Tanztheater ist ein Hochleistungssport und demzufolge sind die aktiven Karrieren der Tänzer und Tänzerinnen zeitlich deutlich bemessen. Das führt zu höchsten Leistungsanforderungen der Darsteller an sich selbst, um die kurze Zeit optimal zu nutzen, und kann zu „Burn Out“-Symptomen führen. Insofern hatte Mei Hong Lin. die Leiterin des Darmstädter Staatstheaters, instinktiv das richtige Thema für ihre neue Choreographie ausgewählt, konnte ihre Truppe doch zum Teil das eigene Schicksal auf die Bühne bringen.
Vordergründig geht es bei „Lala auf der Couch“ zwar nicht um die Bühnenbranche, aber die Welt der Mode unterscheidet sich in punkto Verrücktheit, Überspanntheit und Präsenz nicht sehr vom Theaterbetrieb (wenn man den Berichten aus dem Theaterleben glauben darf). In der neuen Choreographie geht es um Lala, die erfolgreiche Chefredakteurin eines Modemagazins, die das tägliche Chaos und die allfälligen Intrigen nur dank eiserner Disziplin und großer Durchsetzungskraft durchsteht, schließlich aber dem Dauerstress ihren Tribut in Form eines „Burn Out“ zollen muss. Dem Psychiater Dr. Rosenthal erzählt sie nur widerstrebend ihre Träume, doch dieser entlockt ihr langsam aber sicher ihre Ängste und verschütteten Traumata. Der Titel „Lala auf der Couch“ ist insofern doppeldeutig, als man „Lala“ auch als das ambivalente Reden auf der Couch des Psychiaters interpretieren kann, vor allem, wenn die regelmäßigen Sitzungen beim Seelendoktor als schick und Zeichen des beruflichen Erfolges gelten.
Lala also erzählt Rosenthal ihre Träume, in denen sie eher eine begehrte „femme fatale“ als eine knallharte Geschäftsfrau ist, oder in denen sie kurz vor der eigenen Hochzeit in Panik flieht. In einem anderen Traum steht sie vor Gericht, wird zum Tode verurteilt und hingerichtet. Diese Träume werden begleitet durch Erinnerungen an Kindheit und Jugend, die Dr. Rosenthal Stück für Stück aus ihr herausholt. Dabei kommen schmerzliche Erinnerungen an eine gescheiterte Beziehung und an die spannungsreiche Beziehung ihrer Eltern ans Tageslicht. Auch ihre derzeitige Beziehung zu einem verheirateten Mann kommt auf den Tisch und dessen unerwarteter Heiratsantrag.
Nicht genug dieser aufwühlenden Erinnerungen, steht Lala auch in der Redaktion vor neuen Herausforderungen. Der Auftritt des Mode-Idols „Clooney“ – Ähnlichkeiten mit lebenden Peprsonen sind durchaus nicht zufällig – zu einem Foto-Shooting versetzt die gesamte Redaktion in Ekstase und Chaos, so dass Lala mit harter Hand durchgreifen muss. Wenig später stellt ein Mitarbeiter öffentlich ihre Kompetenz in Frage und bläst zum Aufstand. Nur mit Mühe kann Lala die Angriffe parieren, was ihrer labilen Psyche nicht gerade zugute kommt.
Am Ende steht dann aber ein „Happy End“. Lala erkennt die Bürden, die sie seit ihrer Jugend mit sich herumschleppt, und kann befreit der Zukunft entgegengehen. Insofern passt das Stück in die Vorweihnachtszeit, weil es trotz aller psychischen Bürden am Ende Optimisimus verbreitet und dem „Burn Out“ auch ein Augenzwinkern schenkt.
Mei Hong Lin hat diese Choreographie eher wie eine Tanz-Oper oder ein Schauspiel ohne Sprache inszeniert. Im Gegensatz zu anderen Choreographien werden hier nicht nur Befindlichkeiten verhandelt und tänzerisch dargestellt, sondern Mei Hong Lin erzählt eine weitgehend nachvollziehbare Geschichte mit Anfang und Ende. Dass man aufgrund der getanzten Szenen das Programmheft benötigt, um die Geschichte zu verstehen, ist verständlich und dem Tanztheaterbesucher geläufig.
Mei Hong Lin etabliert das Stück auf drei Ebenen. Auf der von Dirk Hofacker gestalteten Bühne ist vorne ein großer Rundbogen aufgebaut. Ohne die Einführung vor der Vorstellung würde jedoch nur ein Gynäkologe darin eine Gebärmutter erkennen, die die unbewusste Sehnsucht des Menschen nach der Rückkehr in den schützenden Mutterbauch ausdrücken soll. Dieser vordere Teil der Bühne ist stets gut ausgeleuchtet und betont damit die Realität, die sich auch in der puristischen, fast nackten Ausstattung rund um den Bogen ausdrückt. Die Wand dahinter hebt sich von Zeit zu Zeit, wenn Lala von ihren Träumen oder Erinnerungen erzählt. Dann verdunkelt sich die Vorderbühne, und im Hintergrund senken sich große Blätter oder Stelen, die an Baumstämme erinnern, aus dem Bühnenhimmel herab. Darunter tanzen Lalas „alter egos“, einmal als Traumbild in einem roten Kleid – Lala trägt in der „Realität“ einen roten Hosenanzug -, das andere Mal als kleines Mädchen in einem blau-grauen Kostüm. Die anderen Figuren in Traum und Erinnerung unterscheiden sich ebenfalls durch die Bjanka Ursulov kreiierten Kostüme. Während die Träume sich durch farbenfrohe Kostüme ankündigen, kommen die Erinnerungen in durchweg blassen Farben – meist blau-grau – daher, so verblasst, wie Erinnerungen halt sind. Eine besondere Figur stellt dabei Blue dar, der imaginäre Freund der kindlichen Lala. Psychologische Studien haben angeblich bewiesen, dass ein Drittel aller Kinder einen virtuellen Freund haben, dem sie alle Sorgen erzählen und von dem sie sich beschützt fühlen. In „Lala auf der Couch“ heißt dieser Freund Blue und zeichnet sich durch ein Fantasiekostüm aus, wie es sich nur kleine Mädchen ausdenken können. Er begleitet die kleine Lala im Spannungsfeld zwischen Vater und Mutter auf Schritt und Tritt, was in bewegenden Paar-Figuren zum Ausdruck kommt.
Die Musik zu dieser Choreograpie hat Serge Weber geschrieben, der schon die Musik für „Ulrike Meinhof“ und „Romeo und Julia“ komponiert hat. Die Musik besteht aus verschiedenen Collagen, die vorwiegend die Hektik bei einem Modemagazin – bzw. in Stress erzeugenden Branchen – sowie das Durcheinander in Lalas Psyche widerspiegeln. Die Musik strotzt geradezu vor Dynamik und enthält neben synthetischen Elementen auch Rock-Einlagen oder sogar Zitate klassischer Musik. So erklingt bei der Erinnerung an Lalas problematischen Vater wie ein Menetekel zwei Mal je einer der ersten Akkorde aus der Ouvertüre zu Mozarts „Don Giovanni“. Die Musik spart auch nicht an Extremen hinsichtlich Harmonien und Lautstärke, um die Zerrissenheit der Protagonistin zu kennzeichnen. Dennoch – oder gerade deswegen – ist sie ein wesentlicher Pluspunkt in dieser komplexen Choreographie, die eine Leitschiene benötigt, um sich dem Zuschauer zu vermitteln und die tänzerischen Figuren glaubwürdig zu unterlegen.
Mei Hong Lin spart auch nicht an humoristischen Elementen. Sie verleiht jeder Figur einen eigenen Charakter, ohne dabei in billige Klischees zu verfallen. Der von Wout Geers hervorragend interpretierte Psychoanalytiker kommt als Mischung aus Krake und Schlange daher und erinnert zeitweise ein wenig an die Bewegungen von Boris Karloff als Graf Dracula. Seine schleichenden, saugenden Bewegungen bebildern seine analytischen Gänge durch Lalas Psyche mehr als anschaulich. Auch der Konkurrent Oscar (Celedonio Indalecio Moreno Fuentes) gewinnt ein fast diabolisches Profil, wenn er sich in den Zweikampf mit Lala begibt – und ihn verliert. Andere wieder stellen die verschiedenen Designer und Art Directors dar, die vor Eitelkeit und Extrovertiertheit geradezu strotzen, was sich teilweise auch in grotesken Kostümen niederschlägt. Lalas persönliche Assistentin Rachel (Sabra Johnson) wiederum kommt mit dicker Brille, eifrig-bemühter Energie und engem Rock auf die Bühne und verteidigt ihre Chefin mit Zähnen und Klauen. Die Vielzahl der Figuren – die ganze Tanztheater-Truppe mit siebzehn Tänzern und Tänzerinnen tritt hier an – führt bisweilen zu Verwirrung; das wirkt sich jedoch nicht negativ aus, da es im Tanztheater sowieso nicht um die intellektuelle Durchdringung eines Problemes sondern um die Darstellung der Gefühle, Ängste und Sehnsüchte geht.
In der Hauptrolle der realen Lala brilliert Andressa Miyazato sowohl durch starkes Gebärdenspiel als auch durch körperliche Leistungen. es ist schon bewundernswert, wie sie das Rund des Bogens hinaufläuft und sich dann mit größter Leichtigkeit in einen hohen Ausschnitt des Bogens hinaufschwingt. Das hat streckenweise schon akrobatischen Charakter, ist aber stets mit Eleganz verbunden. Auch Lalas Leiden auf der Couch des Psychiaters und ihr innerer Widerstand gegen die Aufdeckung ihrer Vergangenheit bringt Andressa Miyazato überzeugend zum Ausdruck. Als ihr „alter ego“ im Traum tanzt Mireia González Fernández mit viel Anmut und erotischem Einschlag und spiegelt damit Lalas heimliche Wünsche wider. Rie Akiyama dagegen tanzt die kindliche Lala im kurzen, blass-blauen Kleidchen mit viel Gespür für die Nöte eines Kindes, das die emotionalen Erdbeben in der Ehe ihrer Eltern erleben muss. Ihr zur Seite steht Christopher Basile als „stiller Freund“ Blue mit viel Sinn für das Märchenhafte, Fantastische dieser Figur.
Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, wollte man die teilweise mehrfachen Rollen aller Mitglieder der Tanztruppe schildern. Die bereits vorgestellten Darsteller sollen hier als Stellvertreter für die gesamte Truppe stehen, die eine wirklich bestaunenswerte Leistung – sowohl tänzerisch-akrobatisch als auch schauspielerisch – darbietet. Man merkt allen Beteiligten an, mit welch großem Spaß sie diese Groteske des Geschäfts, des Geistes und der Seele aufführen.
Das Publikum zeigte sich beeindruckt von dieser Leistung und spendete langen, zeitweise rhythmischen Beifall.
Frank Raudszus
Die nächsten Vorstellungen finden am 26. und 29. Dezember sowie am 13., 19. und 26. Januar statt
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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