Raritäten des Grafik-Kabinetts
Das Städel-Museum zeigt in einer Sonderausstellung Grafiken von Raffael
Grafiken alle Art – zum Beispiel Zeichnungen oder Pastelle – leiden unter dem Licht. Deshalb würden Dauerausstellungen solcher Werke schnell zu deren Zerstörung führen. Die meiste Zeit fristen sie ein Leben in dunklen Schubladen, wohlverwahrt in dicken Mappen. Doch hin und wieder dürfen sie ans Licht, um sich der Öffentlichkeit zu zeigen. Denn der dauernde Verschluss von Kunstwerken zu ihrem eigenen Schutz ist gleichbedeutend mit ihrer Zerstörung.
Der Renaissance-Künstler Raffael da Urbino, kurz Raffael genannt, lebte von 1483 bis 1520 und ist als Maler und Architekt berühmt geworden. Sein wohl bekanntestes Gemälde ist die Sixtinische Madonna und sein wichtigstes architektonisches Werk der Petersdom. Für seine vielen Madonnen- und Heiligenbilder sowie die obligatorischen Kreuzigungs- und Geschichtsszenen fertigte er – wie damals üblich – zahlreiche Skizzen in verschiédenen Techniken, so zum Beispiel mit dem Silberstift, der besonders markante Linien ermöglichte.
In der Frühzeit der Raffael-Verehrung lag der Schwerpunkt auf den Gemälden, die Zeichnungen interessierten wegen ihres Skizzencharakters weniger. Erst die Engländer brachten dieser Kunstform ein besonderes Interesse entgegen und sammelten schon früh Zeichnungen verschiedener Künstler. In Deutschland nimmt das Städel-Museum in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein, da es mit elf Raffael-Zeichnungen über den größten Bestand verfügt. Diese Tatsache ist dem ersten „Inspektor“ des Städel-Museums, Johann David Passavant (1787-1861), zu verdanken, der als überzeugter Nazarener nicht nur bereits früh eine Leidenschaft für Raffael entwickelte, sondern auch gezielt dessen Zeichnungen aufkaufte. Dabei ging er bisweilen nach dem „Bauchgefühl“ vor und erwarb scheinbar unbedeutende Zeichnungen von angeblichen Schülern Raffaels. In mindestens einem Fall stellte sich dieser Kauf später als ein „Volltreffer“ heraus, da man die Zeichnung aufgrund entsprechender Forschungen unbezweifelbar Raffael zuschreiben konnte.
Da die elf eigenen Zeichnungen für eine eigene Ausstellung etwas mager gewesen wären, hat sich das Städel in den letzten Jahren intensiv um Leihgaben internationaler Museen und Sammler bemüht. Angesichts der Tatsache, dass Zeichnungen besonders empfindlich sind, ist es als großer Erfolg zu werten, dass letztlich 37 Leihgaben zustande kamen, wodurch sich der gesamte Ausstellungsumfang auf 48 Grafiken beläuft. Das spricht für die hohe Reputation, die das Städel-Museum weltweit genießt. Um diese Sammlung zusammenzustellen, ist Kurator Dr. Joachim Jacoby unermüdlich durch die halbe Welt gereist, unter anderem nach Los Angeles zum Getty-Museum.
Die Ausstellung ist in vier Themenbereiche untergliedert. Der erste besteht aus Skizzen zur Muttergottes mit Jesuskind, der zweite befasst sich hauptsächlich mit der Darstellung abstrakter Begriffe wie Philosophie oder Dichtkunst. In der dritten Abteilung sieht man zeichnerische Entwürfe zu geschichtlichen Szenen, die einen Handlungszusammenhang darstellen, so etwa den Kindermord zu Bethlehem oder das Treffen zwischen Papst Leo I. und dem Hunnenkönig Attila. Die vierte Abteilung schließlich widmet sich den Entwürfen zur Ausgestaltung der „Cappella Chigi“ in der Kirche Santa Maria della Pace.
Um die dynamische Seiten vor allem der Historienbilder und der Fresken zu untermalen, haben die Kuratoren die strenge rechtwinklige Anordnung der Wände durch den Aufbau zusätzlicher Wände aufgelockert. Die schräg in den Raum ragenden und weiter führenden Wände spiegeln die zielgerichtete Entwicklung der einzelnen Skizzen und erlauben auch spezielle Durchblicke auf korrespondierende Zeichnungen.
Die Ausstellung ist vom 7. November bis zum 3. Februar 2013 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 21 Uhr geöffnet. Frank Raudszus
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