Christian Ortner: „Prolokratie“

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Eine Brandrede über unsere Demokratien

Dieses Buch hat das Potential zum Skandal. Wenn der Autor zum Beispiel Deutscher wäre und mit Vornamen Thilo hieße, wäre sicher bereits eione Protestwelle durchs Land gegangen. Die „gemütlichen“ Österreicher jedoch haben offensichtlich noch nicht allergisch auf den Rundumschlag ihres Landsmanns reagiert, der verschiedene Leitungsfunktionen in unterschiedlichen Presseorganen innegehabt hat.

Versuchen wir es an dieser Stelle einmal mit einer anderen Art der Rezension, indem wir mögliche Äußerungen verschiedener politischer Institutionen simulieren. Die konservative Fraktion würde dieses Buch in Deutschland als „wenig hilfreich“ bezeichnen und dem Autor vorwerfen, er untergrabe die Solidarität der Bevölkerung und hetze gegen die Demokratie. Man müsse die Menschen abholen, anstatt sie zu diskriminieren.

Die gemäßigte Linke würde von „politischer Brandstiftung“ reden und den Auor einer selbst ernannten Elite zuordnen, die meint, nach eigenem Gutdünken über die politischen Regeln entscheiden zu können und dabei doch nur die eigenen – natürlich ausschließlich materiallen – Interessen zu verteidigen. Die grüne Fraktion würde ihm Ähnliches vorwerfen, dabei aber noch Beleidigungen von Schwachen und Migranten vorwerfen. Die entschiedene „Linke“ würde dahinter eine „Selbstentlarvung“ des durch und durch undemortatischen Reaktionärs wenn nicht Faschisten erkennen.

All diesen Reaktionen wäre – wie in anderen Fällen bereits erwiesen – gemeinsam, dass keinerlei Behauptungen oder Argumentationen des Buches wiederholt würden, offiziell, da es sich nicht lohne, in Wirklichkeit jedoch, da man befürchtete, die Leser würden eventuell solchen Ausführungen zustimmen. Die offizielle Reaktion auf ein solches Buch setzt sich nicht mit den Inhalten auseinander sondern reflektiert lediglich die bereits vorgefasste Meinung.

Wenn dem so wäre – und es kann noch leicht soweit kommen -, dann stellt sich die Frage nach dem Grund für eine solche Reaktion. Der  liegt eindeutig darin, dass Ortner frontal ein Tabuthema aufgreift, das sich in etwa folgendermaßen umreißen lässt: wie allgemein bekannt, sind die Fähigkeiten des Menschen – Intelligenz, Bildung, Wissen, Fleiß und Selbstdisziplin – nicht gleichmäßig verteilt sondern in Form einer gesellschaftlichen Pyramide. Oben befinden sich nur wenige, während die Mehrheit in der Basis der Pyramide verharrt. Wenn man diese Tatsache mit dem Grundprinzip des Demokratie abgleicht, dass jeder erwachsene Mensch das gleiche Stimmrecht hat, ergeben sich für Politiker klare Konsequenzen. Solange diese Politiker am Gemeinwohl interessiert sind und nur ihrem Gewissen folgen, bleibt das Gesamtsystem einigermaßen stabil. Wenn sie jedoch nur die eigene Karriere im Auge haben, werden sie versuchen, mit allen ihren zur Verfügung stehenden Mitteln die Stimmen des Pyramidensockels zu gewinnen, wo nach der Statistik Mangel an Wissen und politischem Denken herrscht. Dort können der Populismus und im schlimmsten Falle die Demagogie Triumphe feiern.

Ortner sieht die deutschsprachigen Länder – vor allem Österreich und Deutschland – auf dem Weg in diese „Demokratiefalle“. Er zieht hierzu unter anderem das stetig sinkende Niveau der Medien heran, die – wie die populistischen Politiker – dem Konzept des einfachen Erfolgs folgen und ihre Quoten eher durch seichte Unterhaltungsserien als durch sachliche Information steigern. Schon im – übrigens aus ähnlichen Gründen untergegangenen – alten Rom galt die Devise, dem Volk „panem et circenses“ zu bieten, um es ruhigzusteollen. Die „Bewohner“ des unteren Pyramidendrittels folgen natürlich demjenigen, der ihnen die meisten materiellen Wohltaten verspricht, und so hat sich laut Ortner eben der „circulus vitiosus“ ergeben, dessen Ergebnis wir heute in überbordenden Staatsschulden sehen: da die Steuereinkünfte das nötige Geld für die Wahlgeschenke nicht hergeben und man die produktive Schicht nicht beliebig hoch besteuern kann, leiht man sich das Geld von den zukünftigen Generationen, die sich dagegen heute natürlich nicht wehren können.

Diese konsequente Schuldenpolitik zeitigt nach Ortner noch andere Folgen, die man schwerlich bestreiten kann: je mehr Wohltaten die Politiker unter das Volk streuen, desto mehr Büger schwenken in das lukrative Lager der Nehmer über, so dass der Prozentsatz, der die Werte erarbeitet, immer geringer wird. Das endet laut Ortner entweder in weiter steigenden Schuldenbergen und immer höheren Zinslasten oder in absurd hohen Steuern für die (noch) arbeitende Bevölkerung. Am Ende steht erst die äußere oder innere Emigration der Leistungsträger – Auswanderung oder Arbeitsverweigerung – und anschließend der Staatsbankrott.

Ortner steht mit diesen Ansichten nicht allein. Neben ihm haben Rainer Hank in „Die Pleiterepublik“ und Thilo Sarrazin in „Europa braucht den Euro nicht“ in anderen aber ähnlichen Zusammenhängen auf diese fatale Entwicklung hingewiesen. Daneben zitiert er noch eine ganze Reihe weiterer Wissenschaftler aus mehreren Epochen, die alle mehr oder minder auf die populistische Schwäche der Demokratie hingewiesen haben. Bereits Platon und Aristoteles wiesen nach Ortners Recherchen auf den fragwürdigen Charakter von Mehrheitsentscheidungen bei komplexen Themen hin. Vor allem, wenn unpopuläre Maßnahmen erforderlich sind, lassen die sich in einem demokratischen System nur sehr schwer und dann nur bei Gefahr des Machtverlustes durchsetzen.

Ortner sucht in seiner kleinen Philippika auch nach Auswegen. Natürlich sieht er weder in der Monarchie noch in der Diktatur eine Alternative – zu letzterer hat ja auch Österreich sein Scherflein beigetragen. Eine demokratisch legitimierte Änderung des Wahlgesetzes, die zum Beispiel das Wahlrecht an Steuerzahlungen binden würde, sieht er – neben den grundrechtlichen Aspekten – als illusorisch an, da die Mehrheit sich das Wahlrecht nie selbst nehmen würde. Bliebe nur die Einführung einer zweiten Gesetzgebungskammer, die auf der Basis eines nachgewiesenen Sachwissens etabliert wäre und nicht der Wiederwahl durch die Mehrheit der Wähler unterläge. Doch wie das funktionieren soll, sagt er nicht, da jede solche Einrichtung eine elementare Verletzung des demokratischen Konzepts darstellen würde. Allerdings verweist er auf andere Länder, bei denen nicht die demokratische Teilnahme sondern das wirschaftliche Wohlergehen der Bevölkerung im Vordergrund steht und die außerordentliche Erfolge aufzuweisen haben. Darunter zählt er neben dem pseudo-kommunistischen China auch „nur“ autoritäre Staaten wie Singapur oder Indonesien. Ortner fordert jedoch nicht die Einführung solcher politischen Systeme, einerseits, weil er sich auch nicht mit ihnen identifizieren kann, andererseits, weil er die Umsetzung als unmöglich betrachtet. Dagegen zitiert er ehemalige Regierungsmitglieder aus Neuseeland, die aufgrund einschlägiger eigener Erfahrungen die Erkenntnis gewonnen haben, dass einschneidende und wirksame Reformen nur nach einem vollständigen Staatsbankrott möglich sind. Warten wir´s zusammen mit Christian Ortner ab!

Das Buch „Prolokratie“ von Christian Ortner ist im Verlag edition a unter der ISBN 978-3-99001-047-1 erschienen, umfasst 91 Seiten und kostet 14,90 €.

Frank Raudszus

 

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