Die lange Reise vom Crocodile River nach St. Lucia am Indischen Ozean
Freitag, 19. Oktober
Durch Swaziland an den Indischen Ozean
Heute heißt es früh aufbrechen, denn wir haben nahezu fünfhundert Kilometer vor uns, dazu zwei Grenzübertritte. Mitten in Südafrika liegt das Königtum Swaziland, das es geschafft hat, im System der Stammesvielfalt von Südafrika seine ethnische mit einer nationalen Eigenständigkeit zu verbinden. Das Verhältnis zu Südafrika ist gut, und man nutzt einfachheitshalber die gleiche Währung: den Rand. So erübrigt sich ein Geldwechsel an der Grenze.
Vom Crocodile River sind es nur wenige Kilometer bis Komatipoort, dem letzten größeren südafrikanischen Ort vor der Grenze. Hier herrscht schon früh am Morgen rege Betriebsamkeit. Vor allem fallen die vielen Lastwagen auf, die hier noch einmal tanken oder Waren aufnehmen. Die Weiterfahrt von hier erfordert noch eine Nachfrage an einer Tankstelle, dann geht es auf der R571 nach Süden. Nach kurzer Zeit erreichen wir die Grenze, und die nun einsetzende Prozedur erinnert uns an das Europa der sechziger und siebziger Jahre, nur etwas aufwendiger. Wir müssen drei Grenzposten passieren, Laufzettel in Empfang nehmen und wieder abgeben, Formulare ausfüllen und Fragen beantworten (Wer? Wohin? Warum?). Dazu rücken wir mit dem Auto jeweils ein Stück vor, bis man uns nach Zahlung von fünfzig Rand mit freundlichen Worten nach Swaziland entlässt.
Swaziland präsentiert sich anfangs nicht anders als Südafrika: auch hier fehlt nicht der Hinweis auf die Natur und die wilden Tiere, mit denen man rechnen muss, und die Landschaft ähnelt noch stark der südafrikanischen. Doch bald ändert sich das Bild: die weitgehend sich selbst überlassene Buschlandschaft des nördlichen Südafrika um den Krügerpark herum weicht einer Kulturlandschaft, die deutlich von den Aktivitäten des Menschen gekennzeichnet ist. Zukerrohr ist das Hauptprodukt von Swaziland, und endlose Zuckerrohrfelder prägen die Landschaft. Dazu entdeckt man immer wieder große, schweren braunen Qualm ausstoßende Fabriken, die das Zuckerrohr verarbeiten, und auf den Hauptverbindungsstraßen fahren die Laster mit Rohrzucker bisweilen Kolonne.
Bei der Durchfahrt, die immerhin über zweihundert Kilometer lang ist, fallen zwei Dinge auf: erstens sieht man so gut wie keine Weißen, und zweitens sind die kleinen Orte gepflegter als die in Südafrika. Letzteres liegt daran – wie wir später erfahren -, dass die Menschen seit langem sesshaft sind und Ackerbau betreiben. Deshalb legen sie viel mehr Wert auf die Ausgestaltung ihres Heims und seiner Umgebung als die Zulus mit ihrer Nomaden-Tradition.
Bis zu dem ersten Ort in der Fahranweisung können wir diese noch nachvollziehen, dann jedoch fehlen auf den Verkehrsschildern die Orte, die wir erwarten. Da unsere Karte nur einen groben Maßstab aufweist, zeigen sie die kleinen Orte, die wir durchfahren, nicht und zum Teil auch nicht die angekündigten. So fragen wir in einem kleinen Ort einen Einheimischen nach dem Weg nach Big Bend, unserem nächsten größeren Ziel. Seine Wegbeschreibung zeigt uns, dass wir uns auf einer falschen Straße befinden, und nun geht es über einige kleinere Straßen weiter nach Osten auf die Hauptstraße nach Süden. Auch hier muss man immer auf das Vieh aufpassen, das links und rechts der Straße weidet und diese von Zeit zu Zeit unvermutet überquert.
Nach einer längeren Fahrt erreichen wir schließlich Big Bend. Der Ort kündigt sich schon aus einiger Entfernung durch hohe, schwarz qualmende Schornsteine an. Von allen Seiten kommen große Laster mit Zuckerrohr zur Fabrik und wirbeln beim Abladen große Mengen gelblichen Staubes auf, so dass wir etwa fünfzig Meter wie durch gelben Nebel fahren. Dahinter beginnt der Ort, und da eine Pause und eine Erfrischung anstehen, biegen wir in die Hügel des Ortes ab und suchen ein Café oder eine ähnliche Einrichtung. Das erweist sich jedoch als recht schwierig, denn wir finden nur einen Supermarkt, eine Tankstelle und einen Markt für Einheimische vor. Dann jedoch entdecken wir die Einfahrt zu einem „Country Club“ mit einer großen, gepflegten Grünfläche. Beim Näherkommen stellen wir fest, dass es sich dabei um einen kleinen Golfplatz mit zwei oder drei Löchern handelt. Das Clubhaus steht offensichtlich auch Gästen offen, und so gönnen wir uns ein ausgedehntes Mittagessen. Nicht jeder kann erzählen, dass er in Swaziland in einem Golfclub „standesgemäß“ zu Mittag gegessen hat.
Nach dieser ausgiebigen Pause geht es noch einige Kilometer nach Süden, bis wir die langwierige Prozedur des Grenzübertritts zum zweiten Mal über uns ergehen lassen. Diese Mal kommen noch einige Schikanen dazu, aber nicht von Seiten der freundlichen Beamten sondern von der Verkehrsführung. Wie zu Zeiten der DDR-Grenze muss man von Station zu Station gewunden Wegen folgen, so dass man schließlich den Überblick verliert. Bei dieser Grenzkontrolle hat man das Gefühl, dass zwischen den Ländern Spannungen bestehen oder dass es Grund für Schmuggelaktivitäten gibt. Denn selbst den Kofferraum will der Grenzbeamte sehen und räumt ein wenig zwischen den Koffern umher.
Doch schließlich befinden wir uns wieder ohne weitere Probleme in Südafrika und können die letzte Etappe antreten. Nun beginnt es jedoch zu regnen, was die Fahrt nicht gerade entspannter gestaltet. Darüber hinaus nimmt der Verkehr deutlich zu, wohl, weil wir uns der Großstadt Durban nähern. Der Regen nimmt weiter zu, die Scheibenwischer arbeiten auf höchster Stufe, und die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos spiegeln sich in der nassen Straße. Wir sind froh, als wir endlich Mtubatuba erreichen, wo wir die Hauptstraße verlassen können. Nun geht es auf einer weniger befahrenen Straße noch etwa fünfzig Kilometer nach Osten zur Küste. Kurz nach sechs Uhr abends, später als ursprünglich geplant, erreichen wir die Brücke über den Binnensee und kurz danach, nach einer unfreiwilligen Rundfahrt durch die Ortsmitte, unser Ziel, das Gästehaus „Avalone“. Bei immer noch strömendem Regen begrüßt uns unsere neue Gastgeberin in dem gemütlich und großzügig eingerichteten Gästehaus und zeigt uns den tropischen Garten mit Schwimmbad und Koi-Teichen. Hier fühlt man sich wie in den Urwald versetzt. Ringsum hohe tropische Pflanzen, dazu die seltsamsten Geräusche von Vögeln und anderen Tieren. Türen und Fenster der Zimmer sind vergittert, um nächtlichen Besuch von Affen zu verhindern, und vom abendlichen Spaziergang in den nicht weit entfernten Ortskern rät uns die Wirtin ab, da man nachts im Ort auf wilde Tier unterschiedlichster Provenienz stoßen kann, angeblich sogar Nilpferde, Nashörner und Leoparden. So fahren wir denn die kurze Strecke mit dem Auto und genießen das Angebot des führenden Fischrestaurants im Ort, dem „Ocean Basket“.
Morgen werden wir uns die Naturreservate von St. Lucia ansehen.
Frank Raudszus
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