Wo Meer und Binnensee sich treffen
Samstag, 20. Oktober
Das Naturparadies von St. Lucia
Dank der Gitter vor Fenster und Türen haben wir nachts keinen ungebetenen Besuch erhalten. Dafür weckt uns die Natur schon früh durch ihre Geräusche: den rauschenden tropischen Regen, die lauthals quarrenden Frösche im Teich, die wie kleine Vögel schreienden Vögel. Im strömenden Regen ziehen wir noch vor dem Frühstück einige Runden durch den kleinen Pool und lassen uns dann von Monica, unserer Wirtin, fürstlich bedienen. Sie ist es dann auch, die uns verschiedene Vorschläge für die Gestaltung des Tages unterbreitet. Eigentlich hatten wir angesichts des strömenden Regens beschlossen, einen „faulen“ Tag einzulegen, aber das Wetter bessert sich nach neun Uhr zusehends, so dass Außenaktivitäten anzuraten sind.
Monica empfiehlt uns eine Bootsfahrt auf dem Binnensee, wo sich Krokodile und Nilpferde tummeln, sowie eine Autofahrt in das Natur- und Tierreservat Cape Vidal. Da die morgendlichen Bootsfahrten bereits ausgebucht sind, beginnen wir mit der Fahrt zum Cape Vidal.
St. Lucia liegt auf einem schmalen Stück Land zwischen Indischem Ozean und Binnensee und bietet damit zwei Wasserzugänge. Nördlich des Ortes beginnt das Naturschutzgebiet, das man gegen eine geringe Gebühr befahren darf. Eine etwa dreißig Kilometer lange, asphaltierte Straße führt durch dieses Gebiet zum Cape Vidal, das jedoch keinen natürlichen Endpunkt einer Landzunge oder Halbinsel darstellt, sondern nur ein leicht vorspringender Punkt an der fast geradlinigen Küstenlinie ist. Von der Strecke zweigen links und rechts sogenannte „Loops“ ab, Sandwege, die in das Gebiet abseits der Straße führen. Höhepunkte dieser Loops im wahrsten Sinne des Wortes sind erhöhte Aussichtspunkte, von denen man einen weiten Blick auf den Binnensee und die davorliegende Ebene genießt.
Natürlich fahren wir jeden Loop ab und sehen dabei auch Tiere, die sich lieber hier als an der Straße aufhalten. Zebras und verschiedene Antilopen-Arten, Gnus und seltene Vögel – sogar Adler! – kann man hier in aller Ruhe betrachten. Da die Straße als Sackgasse angelegt ist – sie führt bis Cape Vidal -, gibt es keinen Durchgangsverkehr. Die Tatsache, dass es am Endpunkt und auch auf der Strecke keine Restauration oder andere Freizeiteinrichtungen gibt, lässt „Spaßbesucher“ gleich außen vor. So befahren an diesem Samstagmorgen auch nur wenige Autos die Stracke.
Nach knapp einer Stunde erreichen wir den Endpunkt am Cape Vidal. Hier öffnet sich das Buschwerk und gibt den Weg frei zu einem breiten Sandstrand, der sich kilometerlang in beiden Richtungen hinzieht. Nur wenige Badegäste haben sich auf dem feinen Sand niedergelassen, und daher herrscht hier eine geradezu feiertägliche Ruhe. Der ausgedehnte Strandspaziergang mit nackten Füßen im warmen Wasser des Indischen Ozeans wird durch keinerlei Zivilisationreste gestört, die an anderen, touristischeren Stränden in nicht geringer Zahl angeschwemmt werden.
Die Rückfahrt wollen wir größtenteils auf der achtzehn Kilometer langen Westloop absolvieren, die gleich hinter Cape Vidal beginnt. Doch nach etwa einem halben Kilometer treffen wir auf eine straßenbreite Pfütze, deren Tiefe sich nicht abchätzen lässt. Ein daneben stehendes Schild, das vor fehlenden Wendemöglichkeiten auf den nächsten achtzehn Kilometern warnt, führt dann zu dem Entschluss, auf diesen Loop zu verzichten, da wir keinen Geländewagen fahren. Eigentlich schade.
Doch wir werden für diese Einschränkung reich belohnt. Nach etwa einem Kilometer sehen wir auf der Straße zwei Autos am Straßenrand halten, was meist auf eine Sehenswürdigkeit hinweist. als wir hinter ihnen halten, sehen wir den Grund: zwei ausgewachsene Nashörner grasen friedlich unmittelbar neben der Straße, also nur wenige Meter von unserem Auto entfernt. Das eine Nashorn, mit einem besonders langen Horn ausgestattet, lässt sich durch die haltenden Wagen nicht im mindesten irritieren, das andere jedoch hebt den Kopf und kommt bis an den Straßenrand auf die Autos zu, sie frontal anstarrend. Eingedenk der zumindest potentiellen Aggressivität dieser Tiere erzeugt diese Haltung ein flaues Gefühl im Magen, aber feige wollen wir auch nicht sein, zumal die anderen Autos sich nicht vom Fleck rühren. Mehr als zehn Minuten halten wir so dicht an den beiden großen Tieren aus, dann verleiht uns das weitere Tagesprogramm das Alibi weiterzufahren. Auf der weiteren Rückfahrt sehen wir noch eine ganze Anzahl von Tieren, doch keins dieser Treffen ist vergleichbar spannend.
Dafür liefert der „Dung Beatle“ eine eher humoristische Einlage. Plötzlich rollt eine Kugel in der Größe einer Apfelsine über die Straße. Später hören wir, dass es sich dabei um eine besondere Spezies handelt. Der Käfer packt die Eier des Weibchens in Elefantendung ein und rollt diesen solange über den Sandboden, bis sich eine feste Kugel aus Dung und Sand gebildet hat. Diese Kugel vergräbt das Käferpaar dann gemeinsam im Erdboden. Wenn die Jungen aus den Eiern schlüpfen, ernähren sie sich von dem Dung in der Kugel, bis nur noch eine harte Sandhülle übrig ist. Was wir gesehen haben, war der Transport bzw. die Herstellung der Dungkugel.
Nach einer ausgiebigen Fischmahlzeit im „Ocean Basket“ geht es kurz vor vier Uhr nachmittags zur Bootsanlegestelle am Ende der Hauptstraße. Dort besteigen wir mit anderen Gästen ein breites Ausflugsboot mit zwei Außenbordern und einem erhöhten Aussichtsdeck. Schon vor dem Ablegen sehen wir auf dem Wasser lange Holzstücke, die nur an wenigen Stellen knapp aus dem Wasser ragen. Schnell klärt man uns auf, dass es sich dabei um Krokodile handelt, von denen nur die Nasenlöcher und die Augen sowie vielleicht einige der Schwanzrippen aus dem Wasser ragen. Sie gleiten entweder langsam vorwärts oder liegen still und lauern auf Beute.
Kaum haben wir abgelegt, entdecken wir rechts und links unseres Kurses weitere Krokodile, die uns bald einen Eindruck von der Population vermitteln. Dazu kommen Herden von Nilpferden in der Nähe des Ufers, von denen wir ebenfalls nur die Köpfe sehen, selten einmal ein Stück des mächtigen Rumpfes. Aufmerksam beäugen sie das vorbeifahrende oder gar haltende Boot, ob hier etwa ein Gefahr drohe. Sicherheitshalber tauchen sie bei unserer Annäherung ab und kommen an einer anderen Stelle wieder an die Oberfläche. Eine größere Herde tut sich am Schilf des Ufers gütlich und steigt dazu halb aus dem Wasser, so dass man jetzt die mächtigen Körper bestaunen kann. An einer anderen Stelle fährt unser Boot in das Schilf hinein. Dort sehen wir am Strand ein riesiges Krokodil liegen, das sich aber in keiner Weise von uns in seiner Nachmittagsruhe stören lässt.
Insgesamt gibt es in diesem großen Reservat 1200 Krokodile und 800 Nilpferde. Da ist es nicht ratsam, irgendwo zu nahe ans Ufer zu gehen. Es könnte das letzte Mal gewesen sein.
Da von Süden eine schwarze Regenwand heraufzieht, dreht der Bootsführer um und tritt mit erhöhter Geschwindigkeit die Rückfahrt an. Dabei beobachten wir noch einmal viele Nilpferde und Krokodile. Letztere zeigen allerdings lediglich ihre schmale Überwasser-Silhouette.
Am Bootsanleger hat mittlerweile eine Gruppe junger Männer in altafrikanischer Stammeskleidung – kurzer Fellrock, Fellpuschel an Armen und Beinen sowie Kopfshmuck – Stellung bezogen und wartet dort mit Kriegstänzen zu Trommelklängen auf. Natürlich lassen sich die aussteigenden Bootsgäste nicht lumpen und werfen kräftig Geld in den hingehaltenen Teller.
Diesen ereignisreichen Tag mit „Natur und Tier satt“ beschließen wir wieder im „Ocean Basket“, wo wir schon als Stammgäste begrüßt werden.
Morgen geht es dann weiter ins Binnenland nach Hermannsburg.
Frank Raudszus
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