Die deutsche Missionsstation in den Bergen des Zulu-Lands ist über 150 Jahre alt
Sonntag, den 21. Oktober
Zurück ins alte Deutschland
Unser nächstes Ziel heißt Hermannsburg, eine kleine Gemeinde im Zulu-Land nordwestlich von Durban, die Mitte des 19. Jahrhunderts von deutschen Missionaren gegründet wurde. Bei angenehmem, nicht zu warmem Reisewetter verlassen wir St. Lucia und erreichen schnell die Verbindungsstraße N2 nach Süden. Dieser folgen wir entlang der Küste eine Zeitlang, bis wir den Abzweig „Richard’s Bay“ entdecken. Da mittlerweile die Sonne durchgekommen ist, denken wir an ein idyllisches Strandpicknick und biegen ab. Auf der stark befahrenen Straße verkehren hauptsächlich schwere Lastwagen, und bald entdecken wir voraus eine große, stark qualmende Fabrik. Das sieht nicht gerade nach einem romantischen Seebad aus. An der Fabrik teilt sich die Straße an einem großen Knotenpunkt und führt weiter entweder zum Hafen oder zum Strand. Wir ahnen, dass es sich wohl um einen großen kommerziellen Hafen handelt, und wählen den Strand. Doch beim Näherkommen entpuppt sich dieser als eine gigantische Freizeitanlage mit Hotels, weiträumigen Parkplätzen und einem wahren Straßengewirr. Offensichtlich herrscht hier in der Saison Hochbetrieb, jetzt aber wirkt die ganze Anlage eher ausgestorben. Am Strand selbst ist der ebenfall sehr großzügig ausgelegte Parkplatz nur zu einem Bruchteil belegt, Retaurationsbetriebe gibt es so gut wie nicht, und auf dem großen Grill- und Picknickplatz direkt hinter dem Strand verleren sich einige fröstelnde Besucher, denn es weht hier ein frischer Wind vom Meer her.
So verlassen wir diesen zur Zeit nicht sehr gastlichen Ort schnell wieder und setzen unsere Reise nach Süden fort. Kurz vor Stanger verführt uns ein zweiter Abzweig zu einem Ausflug, dieses Mal nach Zinkwazi Beach. Das Wort „Beach“ setzt bei uns andere Assoziationen frei als „Bay“, außerdem sind es nur vier Kilometer bis zum Strand von Zinkwazi. Es entpuppt sich als ein Ferienort für „Besserverdienende“, mit vielen Ferienvillen, in mehreren Etagen am Hang gelegen und alle mit Meerblick und Mauern mit Stacheldraht rundherum. Um diese Zeit sind die Villen jedoch offensichtlich alle leer; die Saison hat noch nicht begonnen. Eine Rundfahrt durch den Ort weist ihn als ausgestorben aus. Wir fragen ein älteres Paar auf einer Bank am Strand nach einem Restaurant und erhalten in dem für uns schwer verständlichen Englisch vieler Südafrikaner eine halbwegs nachvollziehbare Antwort, Wir folgen dem vagen Richtungshinweis und landen schließlich in der verwunschenen „Zinkwazi Lagoon Lodge“, die im tropischen Urwald geradezu aufzugehen scheint. Ein dichtes, hohes Baum- und Pflanzendickicht umgibt einen Holzbau mit großer Terrasse, die den Ausblick durch den Wald auf die Lagune erlaubt. Offensichtlich hat man diese Schneise bewusst aus touristisch-gastronomischen Gründen geschlagen. Ringsum zwitschern und kreischen verschiedenste Vögel, und der Wirt mit seiner stattlichen Gestalt und dem Pferdeschwanz passt in dieses Ambiente wie die berühmte Faust aufs Auge. Nachdem wir unser Essen bestellt haben, kommt er an unseren Tisch und fragt uns freundlich nach unser Herkunft. Als wir uns als Deutsche zu erkennen geben, schaltet er in waschechtes, trockenes Westfälisch um und erzählt uns, dass er der Sohn von eingewanderten Deutschen sei und seit vielen Jahren dieses Restaurant betreibe. Noch ist hier nicht viel los, aber in der Hauptsaison – Dezember und Januar – herrscht hier laut seiner Aussage Hochbetrieb. Neben dem Restaurant gibt es noch vier lauschige Ferienhäuser unterhalb des Restaurants direkt an der Lagune, die weder Krokodile noch Nilpferde beherbergt. Man kann hier also guten Gewissens baden gehen, ohne auf immer im brackigen Wasser der Lagune zu verschwinden.
Da man uns eingeschärft hat, spätestens bis fünf Uhr nachmittags in der nächsten Lodge zu sein, brechen wir nach einem kurzen Mittagessen und einem abschließendem Foto mit dem Chef auf. Bei Stanger verlassen wir die N2 und beginnen den langen Aufstieg in die Berge. Anfangs zieht sich die Straße zwischen den Erhebungen eines gemäßigten Hügellands hinauf, dann werden die Hänge langsam schroffer, die Täler tiefer und die Dörfer einsamer und schlichter. Dazu ziehen schwarze Wolken vom Meer auf, denen wir uns von unten immer weiter nähern. Diese Landschaft nennt man den Tugela-Canyon, weil er von dem gleichnamigen Fluss über Jahrtausende in die Landschaft gegraben wurde, Je höher wir kommen, desto großartiger wird die Landschaft. Schroffe Felsmassive erheben sich über ebenso weite wie tiefe Täler, die Berge scheinen buchstäblich aus der Landschaft herausgestanzt zu sein. Das Wetter verleiht dem Ganzen noch einen urweltlichen oder endzeitlichen Charakter: schwer hängen die grau-schwarzen Regenwolken über den Bergkuppen und verdecken sie, zunehmender Regen prasselt in Schauern auf Straße und Auto. Das macht das Fahren nicht einfacher, und die zahlreichen „potholes“ in der Straße verschärfen die Situation noch. Dieser englische Begriff für Schlaglöcher trifft den Nagel wirklich auf den Punkt. Zeitweise muss man wilde Slalomlinien fahren, um sich nicht das Auto zu ruinieren.
Als wir endlich auf der Hochebene ankommen, herrscht hier eine Mischung aus Regen und Nebel. Doch wir finden unsere Lodge „Morgenthau“ genau gegenüber dem Missionsdorf Hermannsburg ohne Probleme und finden dort eine einstöckige Kolonialvilla in einem weitläufigen, gepflegten Garten vor. Die Besitzerin empfängt uns ausgesprochen herzlich und führt uns in ein liebevoll eingerichtetes Privathaus, in dem wir uns nicht wie zahlende Gäste sondern wie Freunde des Hauses vorkommen.
Das Abendessen nehmen wir mit zwei anderen Paaren ein, und schnell bildet sich eine familiäre Atmosphäre, die zu zwanglosen, angeregten Gesprächen führt. Nach dem Abendessen setzt sich die Gastgeberin zu uns und erzählt uns von dem Land und den Leuten. Sie ist selbst Urahnin der ersten Missionare und hat schließlich dieses Haus übernommen, das in Kolonialzeiten einmal ein Kurhotel war und die heißen Quellen in dieser Zeit für medizinische Anwendungen nutzte.
Am nächsten Morgen besuchen wir die deutsche Schule von Hermannsburg. Diese Privatschule bietet Schülern den Unterricht vom Kindergarten bis zum Abitur und befindet sich in privater Trägerschaft. Das Anwesen macht einen außerordentlich gepflegten Eindruck und bietet neben dem normalen Schulunterricht Sportarten wir Reiten – auf schuleigenen Pferden – und die Ausbildung an Musikinstrumenten. Obwohl die Gebühren für Unterricht und angeschlossenes Internat für südafrikanische Verhältnisse recht hoch sind, ist die Schule so gut wie ausgebucht. Das bedeutet natürlich, dass hauptsächlich Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft ihre Kinder hierher schicken; die normale Landbevölkerung kann sich das nicht leisten. Allerdings stehen für begabte Kinder ohne begüterte Eltern Stipendien zur Verfügung.
Mit einer jungen Praktikantin aus Jena besuchen wir einen typischen lokalen , einem kleinen Ort wenige Kilometer entfernt. Hier werden dreißig bis vierzig Kinder von einer einzigen jungen Frau Kraft in sehr einfachen Verhältnissen betreut, ein Vergleich mit deutschen Kindergärten verbietet sich von vornherein. Dennoch machen die Kinder einen sehr fröhlichen und gesunden Eindruck. Von Überbehütung kann man hier wahrhaftig nicht reden, und das scheint den Kleinen sehr gut zu bekommen. Man lässt sie einfach ihren Bewegungstrieb ausleben, soweit möglich in frischer Luft.
Schon einmal in Kranskop, müssen wir natürlich noch auf den gleichnamigen Berg. Das ist angesichts der Wegverhältnisse nicht einfach und erfordert wegen der Unebenheit der festgefahrenen Sandstraße Schrittgeschwindigkeit und weniger. Doch schließlich stehen wir oben und genießen einen überwältigenden Blick über die Berglandschaft, mehrere Täler und den eigentlichen Berg, der sich vor uns wie ein Kopf bis in die Wolkendecke erhebt. Durch die Täler weit unten zieht der Fluss Tugela und schimmert bis zu uns hoch. An einem Berghang gegenüber zieht sich eine lange Straße hin, die man die „Zuma Road“ nennt, da sie allein zu dem Zweck gebaut wurde, das neu gebaute Haus von Präsident Zuma, der von hier kommt, an das Verkehrsnetz anzuschließen. Haus und Straße haben knapp eine Milliarde Euro gekostet, und Südafrika hat eine Arbeitslosenquote von über vierzig Prozent.
Am Nachmittag unternehmen wir noch eine Fahrt zu den heißen Quellen von Lilani. Glücklicherweise kennen wir dicht die Straßensituation, sonst hätten wir die Fahrt vielleicht nicht angetreten. Durch dichten Nebel krauchen wir die Straße auf dem Hochland entlang, mühsam Schlaglöchern und entgegenkommenden Zuckerrohrlastern ausweichend. Schließlich geht es auf einem gewundenen Sandweg hinunter in einer urweltliches Seitental. Da der Weg in dem Zielort als Sackgasse endet, müssen wir nicht mit viel Gegenverkehr rechnen, was die Fahrt etwas einfacher macht, da der Weg über lange Strecken für zwei Fahrzeuge zu eng ist. Dafür überqueren kleine Bäche den Weg, größere und kleinere Steine sowie Erdbrocken behindern die Fahrt, und schließlich stehen wir vor einem Bagger, der gerade einen großen Erdrutsch von der Straße geräumt hat. Doch an der Räumstelle erinnert der Weg eher an eine Motorcross-Strecke als an einen Fahrweg für PKWs. Mit Schrittgeschwindigkeit, viel Gefühl für die Unebenheiten und etwas Glück meistern wir diese kritische Situation und erreichen schließlich, vorbei an vielen kleinen Zulu-Siedlungen mit den typischen Rundhäusern für die Geister der Ahnen unser Ziel Lilani. Dort spendet eine heiße Quelle schwefelhaltiges Wasser, das man in Naturbecken geführt hat. Hier kann man sich in zwei Becken unterschiedlicher Temperatur von der Anspannung der Autofahrt erholen, was wir auch ausgiebig tun.
Nach einer längeren Badesitzung im wohlig warmen Wasser geht es dann allerdings über den selben Schreckenspfad wieder zurück zu Lodge. Auf der Rückfahrt kommt er uns jedoch wesentlich harmloser vor, und so dauert die Rückfahrt bei weitem nicht so lange wie die Herfahrt. Unvergessen aber bleiben neben den kleinen fahrtechnischen Aufregungen einerseits die eindrucksvolle Landschaft dieses Tals mit seinen steilen, an vielen Stellen bereits abrutschenden Hängen und andererseits die Zuludörfer mit ihren primitiven Behausungen, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Zwischen ihnen sieht man die Zulu-Bevölkerung arbeiten oder die Zeit totschlagen. Die Frauen tragen oft noch die traditionelle Zulu-Kleidung und sind meist mit Haushalt- oder Gartenarbeit beschäftigt, während vor allem die jungen Männer, in Jeans und modischen Jacken, in Ermangelung entsprechender Arbeitsstellen darauf warten, dass der Tag herumgeht.
Morgen geht es dann weiter nach Ballito ans Meer.
Frank Raudszus
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