Rainer Hank: „Die Pleiterepublik –
Wie der Schuldenstaat und entmündigt und wie wir uns befreien können“
Eine geharnischtes Plädoyer gegen die Ausgabenwut des Sozialstaates
„Die überschuldeten westlichen Staaten werden nicht umhinkönnen, ihre Rolle zu überdenken. Die Staaten sind überdimensioniert, kosten zu viel und arbeiten nicht besonders gut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Leute dieses Missverhältnis nicht mehr hinnehmen.“
Dieser Satz stammt nicht von dem Autor des Buches, lässt sich aber als dessen Zusammenfassung interpretieren. Er stammt von dem bekannten Wirtschaftswissenschaftler Paul Romer, und Hank zitiert ihn im letzten Kapitel seines Buches, in dem es um die Alternativen zu den heutigen Systemen und um Lösungen der anstehenden Probleme geht. Rainer Hank selbst ist nicht irgendein neoliberaler Autor, der sich mit dem modernen Sozialstaat anlegt und frei draulos polemisiert. Der promovierte Literaturwissenschaftler und Philosoph ist – welch seltene berufliche Laufbahn für einen Geisteswissenschaftler – Leiter der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die Gegner seiner Diagnose und Therapievorschläge für die vor dem finanziellen Kollaps stehenden Staaten der Euro-Zone – um den Kreis der Betroffenen einmal etwas enger einzugrenzen – können ihn nicht als Technokraten und ökonomistischen Betonkopf abtun, sondern müssten sich eigentlich mit seinen Thesen auseinandersetzen.
Doch zur Sache: Hank wollte im Jahr 2008 eigentlich ein Buch über die Entmündigung des Bürgers durch den Wohlfahrtsstaat schreiben. Auf halber Strecke kam die erste Finanzkrise – die „Lehman-Krise“ – dazwischen und änderte alle Pläne. Nach Wiederaufnahme der Arbeiten an dem Buch schloss sich nahtlos die zweite Krise – die „Euro-Krise“ – an und Hank erkannte, dass die Finanzkrise(n) und der Paternalismus des Wohlfahrtsstaates eng zusammenhängen. So wurde ein Buch über Schulden und Entmündigung daraus.
Bereits in der Einleitung bekennt sich Hank zu der ursprünglichen Idee des Liberalismus, der den Staat lediglich als Hüter einer rechtsstaatlichen und sicheren Ordnung sieht und dem Bürger weitestgehende Freiheit bei der Gestaltung seines Lebens lässt – das Risiko des Scheiterns eingeschlossen. Aus schlechten Erfahrungen stellt er am Ende der Einleitung noch einmal fest, dass ein Marktbefürworter nicht gleich ein „Neo-Liberaler“ sein muss (wobei der Begriff „neoliberal“ im Grunde genommen keine Wertung enthält) und dass er nicht den Staat schwächen will; dass ein Kritiker der Mehrheitsdemokratie nicht gegen diese und ein Kritiker des Euros nicht automatisch ein Feind Europas sein muss. Wer die tägliche Presse zur Eurokrise und vor allem die Aussagen der Politiker(!) liest, weiß, dass eine solche Vorbemerkung in einem (euro-)kritischen Buch leider bitter nötig ist. Der Fall Sarrazin hat deutlich gezeigt, dass ein Großteil der Öffentlilchkeit mit Vorverurteilungen einer angeblich politisch inkorrekten Meinung schnell bei der Hand ist.
Im ersten Kapitel beschäftigt sich Hank mit dem Begriff der Freiheit. Dabei bricht er eine Lanze für die von der Linken denunzierte „negative“ Freiheit, die den Grad der Unabhängigkeit von externen Einflüssen darstellt. Für die (linken und rechten!) Vertreter des ungebremsten Sozialstaates gibt es laut Hank nur die „positive“ Freiheit, die gleich ein Ziel beinhaltet, dass jeder zu verfolgen hat. Hank wendet sich nicht gegen Ziele der Gesellschaft, für ihn bildet jedoch die „negative“ Freiheit des Einzelnen die Basis, auf der die Bürger in freier Entscheidung Ziele definieren und verfolgen können. Die alleinige Geltung der „positiven“ Freiheit ist für ihn paternalistische Lenkung, die letztendlich autoritäre wenn nicht totalitäre Züge zeigt. In diesem Zusammenhang verweist er auf Wilhelm von Humbolds liberale Staatsidee und demaskiert letztlich die gegenwärtige Demokratie in den westlichen Ländern als Illusion der aktiven Teilhabe. Der Idee der Freiheit hält er den Gleichheitswahn entgegen, den er ungebremst auf dem Vormarsch sieht.
Im zweiten Kapitel kommt er auf den staatlichen Paternalismus zu sprechen, den er als zwangsweise Beglückung von oben bezeichnet. Aus der Sicht der Wohlfahrtspolitik und der ihnen nahestehenden (Sozial-)Forschung ist der Mensch ein Bündel widerstreitender Interessen und daher unfähig, sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Also muss der Stadt zum Wohle seiner Bürger intervenieren. Die Bürger richten sich in dieser „Rundumbetreuung“ ein und geben ihre Handlungsfreiheit dafür hin. Den Gleichheitswahn schreibt er einem tiefsitzenden Neideffekt in Europa und besonders in Deutschland zu. Umfragen zufolge würde sich die Mehrheit der Bevölkerung mit absolut weniger Einkommen zufriedengeben, wenn dafür die anderen nicht mehr hätten. Statusdenken und gesellschaftlicher Vergleich sind wichtiger als faktisches Wohlergehen. Auch auf die bekannten Indizes des „Wohlbefindens“ kommt er zu sprechen, u. a. den „Happiness Index“. Diese messen den Zufriedenheitsgrad der Bevölkerung unabhängig von der materiellen Situation. In späteren Kapiteln verdeutlicht Hank, dass die ausgabefreudigsten Wohlfahrsstaaten in der Rangliste dieser „Wohlfühl-Indizes“ auf hinteren Plätzen stehen.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Geschichte des Wohlfahrtsstaates, der schon lange vor Bismarck begann. England führte Anfang des 19. Jahrhunderts ein allgemeines Grundeinkpommen ein, um die Armut zu lindern. Als Folge suchten sich die Bezieher dieser Unterstützung keine Arbeit mehr, versanken in Lethargie und endeten in der Kriminalität. Eine schonungslose Analyse der Verhältnisse führte zu einem drastischen Umschwenken der englischen Sozialpolitik! Hank wartet auch mit der erstaunlichen Hypothese auf, dass der Wohlfahrtsstaat erst die Ellbogengesellschaft schaffe, die ja üblicherweise dem (Finanz-)Kapitalismus zugeschrieben wird. Demnach sind die größten Feinde des Mindestlohnes und anderer Sozialhilfen die Einkommensschichten unmittelbar über diesem Niveau. Außerdem führt der vom Staat induzierte Anspruch auf Unterstützung zu einer rücksichtslose Ausnutzung dieser Rechte, ohne mit irgendwelchen Pflichten in Verbindung gebracht zu werden. Auch die sich weitende Schere der Einkommen führt Hank zumindest zum Teil auf sachliche Gründe zurück: da die statistischen Erhebungen nur Haushalte betreffen (im anderen Falle wären all die gerne angeführten Zahnarztfrauen mittellos!), kommt hier der Partnerwahleffekt zum Tragen: Rechtsanwalt heiratet Ärztin. Im Wohlfahrtsstaat heutiger Prägung fehlt laut Hank die Korrelation zwischen Einnahmen und Ausgaben. Der Staat bietet nicht kostentransparente Dienste an, sondern ein Füllhorn an unkoordinierten Wahlgeschenken ohne für den Bürger nachvollziehbaren Wert. Hank sieht den Sozialstaat als „Geschäft auf Gegenseitigkeit zwischen Bürgern und Banditen (Politikern)“.
Ein ganzes Kapitel widmet Hank den Schulden(staaten) und damit der Eurokrise. Er weist nach, dass der Euro Kredite vor allem für die schlecht wirtschaftenden Länder verbilligte, was zu einer ungezügelten Schuldenmentalität führte. Vorher bremsten die währungsbezogenen Kreditkosten eine allzu schnelle Schuldenexpansion. Auch hier führt er wieder einen Exkurs in die Historie, dieses Mal in sein ureigenes Spezialgebiet, die Literatur. Anhand von Shakespeares´“Der Kaufmann von Venedig“ verdeutlicht er das Wesen und den Sinn von Krediten und Zinsen und verweist dabei vor allem auf die Relativität und inhärente Unsicherheit nahezu aller Sicherheiten. Bei den Staatsanleihen unterscheidet er „vollsouveräne“ und „subsouveräne“ Typen. Erstere sind unmittelbar an eine eigene, „souveräne“ Währung gebunden, letztere an eine „gemeinsame“. Deshalb stehen hoch verschuldete Länder wie die USA, Großbritannien und Japan am Anleihemarkt derzeit besser da als Italien oder Spanien, von anderen ganz zu schweigen. Hank sieht ein Europa der individuellen (National-)Staaten mit eigenen Währungen nicht als Bedrohung des Weltfriedens, sondern als effizientere und zukunftsfähige Alternative zu einem sozialistisch-zentralisiertem Europa mit Direktiven aus Brüssel. Für ihn wird Europa auch ohne Euro überleben – und nicht schlechter leben als mit. Sarrazin lässt grüßen.
Im letzten Kapitel kommt Hank auf die Idee des Wirtschaftswissenschaftlers Paul Romer (s. oben) zu sprechen, neue Staaten aus dem Boden zu stampfen, sogenannte „Charter Cities“. Die Erkenntnis, dass historisch gewachsene (Wohlfahrts-)Demokratien auswahltaktischen Gründen nicht mehr reformfähig sind, hat Romer auf die Idee gebracht, auf speziell dazu „angemieteten“ Flächen Kleinstaaten nach einem vernünftigen, effizienten Muster wie etwa Hongkong oder Singapur zu schaffen. Honduras hat ihm bereits eine Fläche angeboten, was ihm umgehend bei der internationalen Linken und den Wohlfahrtsstaat-Verfechtern den Ruf eines „Neo-Kolonisators“ eingebracht hat. In diesem Zusammenhang verweist Hank auf Hegels Kritik an der Staatskritik, dass diese anmaßend und lächerlich sei. Schließlich – so Hegel – müsse man das bestehende Staatsmodell als einzig mögliche Grundlage aller Betrachtungen akzeptieren und höchstens an punktuelle Verbesserungen denken. Hank widerspricht dieser von Romers Gegnern freudig aufgegriffenen Kritik eines so großen (und akzeptierten) Geistes und sieht den radikalen Neuanfang auf der Basis einer „tabula rasa“ nicht nur als attraktives Denkmodell sondern auch als Alternative („last resort“?) in einer verfahrenen Situation.
In der heutigen Mehrheitsdemokratie entscheidet laut Hank eine Mehrheit aus Transferempfängern (Rentner, Arbeitslose, Unterschicht, etc.) über die Verteilung der Einkommen einer Leistungselite. Das stellt Hank ohne Polemik als reines Faktum dar, auch wenn er wohl nach statistischen Regeln zu der zahlenden Oberschicht gehören dürfte. Die Polemik liegt dabei in den Fakten, gesteht sie der zahlenden Minderheit doch kaum eine Abwehrmöglichkeit zu, es sei denn die der Auswanderung. Hank fordert, dass der Staat sich mehr als Club betrachten solle, der für seine Leistungen nachvollziehbare (und weitgehend zugeordnete) Beiträge(Steuern) einzieht, die von den Mitgliedern gemeinschaftlich in Form direkter Demokratie festgelegt werden. Die heutige Staatsquote von 40 bis 60 Prozent des BIP (Deutschland 45%) müsse zurückgeführt werden auf unter 30 Prozent, wie sie etwa Australien oder Neuseeland aufweisen. Das Sozialwesen solle von einer Objektförderung (Kitas, Museen, Altersheime…) auf eine Subjektförderung umstellen, bei der den Bürgern mehr Geld zur freien und selbstverantwortlichen Verfügung belassen werde. Dabei müsse man bewusst auch Fehlverwendung – Flachbildschirm statt Kindergarten – in Kauf nehmen, denn die Freiheit des Einzelnen sei grundsätzlich höher einzuschätzen als die Gefahr des individuellen Scheiterns. Auch die auf uns zukommenden Probleme der Demographie hält Hank für beherrschbar, wenn man die Lebensarbeitszeit dynamisch an die Lebenserwartung anpasse, statt die „Rente 67“ wieder zurückdrehen zu wollen. Das Gesundheitssystem ist für Hank die größte und ungerechteste Baustelle. Dieses intransparente „Vollkasko“-System diene nur der Ärzte-Lobby und der Pharmaindustrie, die den Bürgern alles verkaufen könnten, da diese nicht die einzelne Rechnung sähen und ihren Krankenkassenbeitrag in Form einer Zwangsabgabe leisten müssten. Das fördere letztlich den „moral hazard“, d. h. das Bestreben, soviel wie möglich, zumindest aber den eingezahlten Beitrag, wieder aus dem System herauszuholen. Auch hier fordert er die Umstellung auf flexible Tarife mit unterschiedlicher, frei wählbarer Risikoabdeckung und die Entwicklung des Patienten zum selbständig denkenden und entscheidenden Gesundheitskunden.
Abschließend stellt Rainer Hank vier grundlegende Prinzipien für ein effizientes und langfristig tragfähiges Gemeinswesen vor:
Jeder haftet für sich selbst (no bail-out) „Ex post“ statt „ex ante“: nicht alle denkbaren Probleme vorab identifizieren und lösen (unmöglich), sondern angesichts einer aktuell aufkommenden Problemlage vernünftig reagieren. „Crowding out“: Rückverlagerung vieler – wenn nicht der meisten – staatlichen Aktivitäten auf die Bürger, denen man viel mehr zutrauen könne als die Politik glaubt (und möchte). Subjekt- statt Objektförderung (s. o.)
Mit diesen vier Forderungen wird sich Rainer Hank bei den zahlreichen Vertretern des Wohlfahrtsstaates viele Feinde machen, und wenn die Politiker nicht längst gerlernt hätten, unbequeme Wortmeldungen einfach zu ignorieren, wäre ihm ein Sarrazin-Schicksal sicher. Doch die Politik hat aus dem Sarrazin-Fall gelernt und wird Rainer Hank leider in der Versenkung der Nichtbeachtung verschwinden lassen. Dabei könnte man soviel von ihm lernen, denn das Buch bringt nicht nur viel sachliche, historische und theoretische informationen, sondern ist dabei auch noch unterhaltsam geschrieben. Der persönliche, engagierte Stil, der einer tiefen Frustration eines Liberalen im positiven Sinn des Wortes über die gegenwärtige Situation entspringt, macht dieses Buch zu einer spannenden Lektüre.
Das Buch ist im Blessing-Verlag unter der ISBN 978-3-89667-421-0 erschienen, umfasst 445 Seiten und kostet 19,95 Euro.
Frank Raudszus
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