Åke Edwardson: „Rotes Meer“

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Kriminalroman aus dem schwedischen Migrantenmilieu

Kommissar Erik Winter hat für seinen Autor in den letzten Jahren schon einige schwierige Fälle in Göteborg gelöst, die ihn meist in die Abgründe der menschlichen Seele und der gesellschaftlichen Zustände führten. Die Frage, warum gerade die Kriminalromane schwedischer Autoren so besonders grausam und hoffnungslos sind, wäre eine eigene Untersuchung wert. Schließlich ist Schweden eines der Länder mit der geringsten kriegerischen Historie, und auch für besonders schwere oder gar grausige Verbrechen ist es nicht bekannt. Doch diese Frage wollen wir hier nicht beantworten.

In dem vorliegenden Fall steht Winter zwei Tage vor dem Mittsommernachtsfest, das in Schweden einen besonderen Status genießt, vor drei Leichen, denen die Mörder in einem einsam gelegenen kleinen Laden in der Nähe einer Migrantensiedlung mit Schrotgewehren buchstäblich die Gesichter aus dem Kopf geschossen haben. Die Identitäten der Toten gewinnen den Forensiker aus Zahnresten, Hautfarben und dem allgemeinen Kontext.

Bei der Befragung der Migranten in der nahegelegenen Siedlung stoßen Winter und seine Kollege auf eine Mauer des Schweigens, die jedoch als Ahnungslosigkeit getarnt wird. Keiner weiß irgendetwas über die Aktivitäten der drei in dem Laden, selbst die nächsten Angehörigen der Opfer zucken in fast überzeugender Manier mit den Schultern. Die Gleichförmigkeit der Ahnungslosigkeit und die Unwahrscheinlichkeit, dass angesichts einer ethnisch so dichten Bevölkerungsstruktur niemand irgendetwas gewusst haben will, weckt bei Winter sofort professionelle Skepsis. Als auch noch die Ehefrau eines der Opfer in derselben Nacht ebenfalls auf grausame Weise ermordet wird, ist ihm klar, dass hier eine Abrechnung stattgefunden hat. Doch worum es dabei ging, will ihm niemand sagen.

Ein Großteil dieses Romans besteht aus den kurzen, fast kryptischen Dialogen zwischen Winter und seinen Kollegen, nur unterbrochen von ergebnislosen Verhören vager Verdächtiger und privaten Intermezzi, die etwas über die persönliche Seite der Ermittler – Familie, Schwächen und Liebhabereien – aussagen.

Das Puzzle der Beziehungen in dem Migrantenviertel gewinnt nur sehr langsam Struktur. Kleinste Unsicherheiten, Versprecher und unfreiwillige Informationen der Befragten erlauben erste Vermutungen, die jedoch bei weitem nicht gesichert sind. Wieder einmal muss das „Bauchgefühl“ bei den Ermittlern vieles richten, und dabei liegen sie in verschiedenen Fällen natürlich auch daneben. Doch langsam engen Winter und seine Kollegen auf Grund dieser kleinen Puzzle-Steine den Kreis der Verdächtigen ein und setzen diese psychologisch unter Druck, um Fehler zu provozieren. Diese geschehen dann auch, doch nicht im spektakulären Maßstab sondern nur marginal. Doch jeder kleine Fehler der Verdächtigen ergänzt das große Puzzle.

Wie in einem nichtlinearen System geschieht aufgrund der tröpfelnden Erkenntnisse lange nichts oder nur wenig. Doch irgendwann rundet sich das Bild bei den Ermittlern zu einem „Sättigungspunkt“, so dass die finale Erkenntnis und der abschließende „Showdown“ plötzlich einsetzen. Die Dinge scheinen fast außer Kontrolle zu geraten, und Winter schließt wieder einmal mit seinem Leben ab, bevor ihn eine dramaturgische Volte des Autors rettet.

Edwardson beleuchtet mit diesem Roman nicht nur die psychologische Seite der Situation einer Mordermittlung und die Befindlichkeit der anfangs buchstäblich im Nebel stochernden Kommissare, sondern er stellt vor allem die hoffnungslose Situation von Migranten in den Mittelpunkt, die nach einer langen, gefahrvollen Flucht aus ihren Heimatländern in ihrer neuen Heimat – hier Schweden – keine Zukunft für sich sehen und mit der Ablehnung der einheimischen Bevölkerung konfrontiert sind. Dass sich in einer solchen Situation kriminelle Strukturen innerhalb der Migrantengruppe herausbilden, erscheint geradezu zwangsläufig. Es trägt zur Glaubwürdigkeit dieses Romans bei, dass Edwardson nicht – wie andere seiner Kollegen – die Migranten zu Opfern mit Heiligenstatus verklärt und die kriminelle Energie allein den Einheimischen zuschreibt. Die reale Welt ist komplexer als die virtuelle der Ideologen, und so verteilt Edwardson die Schuld – so sie denn überhaupt eine ist – gleichermaßen auf Zuwanderer und Einheimische, wobei letztere durchaus auch einige Verantwortung für die Entwicklung in dem Migrantenghetto tragen. Der Roman spielt zwar in Schweden, könnte aber ohne Abstriche in jedem europäischen Land mit größerem Migrantenanteil spielen.

Das Buch ist im Ullstein-Verlag unter der ISBN 978-3-548-60889-3 erschienen, umfasst 363 Seiten und kostet 9,95 Euro.

Frank Raudszus
 

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