Die Frankfurter Kunsthalle Schirn eröffnet eine umfassende Retrospektive des zeitgenössischen Künstlers Jeff Koons

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Hommage an einen Lebenden

Die Frankfurter Kunsthalle Schirn eröffnet eine umfassende Retrospektive des zeitgenössischen Künstlers Jeff Koons


Der US-Amerikaner Jeff Koons bewegt die Gemüter der Kunstsinnigen in der westlichen Welt schon seit Jahrzehnten. Der Endfünfziger aus New York provoziert die Kunstwelt durch seinen geradezu unbeschwerten Fotorealismus und seine Vermengung von Trivialität und sogenannter „hoher Kunst“. Nicht zuletzt der Verzicht auf eine eindeutige (gesellschafts)politische Aussage verweist ihn nach Ansicht verschiedener Kunstexperten in die Gefilde der Trivialität, wenn nicht des Kitsches. An dieser schnellen – und vernichtend gemeinten – Einordnung lässt sich die Verunsicherung ablesen, die er mit seinen Werken auslöst. Nach einem halben Jahrhundert engagierter Stellungnahme der darstellenden Kunst zu politischen Ereignissen und Verhältnissen weckte diese gegen den „politisch korrekten Strich“ gebürstete Kunstauffassung offensichtlich Ressentiments der kunstkritischen Öffentlichkeit. Die Kunsthalle Schirn setzt sich über diese Auffassung hinweg, indem sie Jeff Koons nicht nur mit einer umfangreichen Ausstellung würdigt, sondern ihm darüber hinaus in der Pressekonferenz auch noch die Gelegenheit gab, zu seinem Werk Stellung zu beziehen.

Entsprechend gut war die Pressekonferenz besucht – dieses Mal direkt in der Ausstellungshalle inmitten der Werke des Künstlers.. Am Podium wartete bereits eine Schar von Fotografen, um die Hauptperson des Tages im Bild festzuhalten. Neben ihm saßen außer dem Schirndirektor Max Hollein und dem Kurator Matthias Ulrich noch der Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, Professor Semmelroth, Professor Brinkmann vom Liebighauses sowie Dr. Joachim Pissaro vom Hunter College in new York. Ein internationales und interdisziplinäres Podium also.
Das Besondere an dieser Ausstellung ist die Verteilung auf zwei Standorte. dabei zeigt die Kunsthalle Schirn die vornehmlich großformatigen Bilder Jeff Koons, während das Liebieghaus am Main-Ufer seine Skulpturen ausstellt. Dabei hat man bewusst darauf verzichtet, für Jeff Koons Skulpturen eigene Räume zuz reservieren, und stattdessen die Werke in die bestehende Skulpturensammlung integriert. Das soll einen Spannungsbogen zwischen den Skulpturen verschiedener Epochen, angefangen bei der Antike, und denen von Jeff Koons schaffen.

Jeff Koons
                  und Ilona Staller als Bourgeois, 1991
Die Ausführungen des Kurators Matthias Ulrich sowie die abschließenden Worte des Künstlers selbst nahmen bewusst Bezug auf den Vorwurf der Trivialität, wobei Jeff Koons in seinen englischen Vortrag gezielt den Begriff „Kitsch“ einflocht. Ulrich sah in der künstlerischen Verarbeitung trivialer Objekte und Themen eine Weiterentwicklung der „ready made“-Philosophie von Marcel Duchamp, und Jeff Koons nahm den Kitsch-Begriff offensiv auf und erklärte ihn als einen wesentlichen Teil des Kunstbetriebs.

Jeff Koons arbeitet mit einem ausgefeilten Fotorealismus, der jedoch nur im Detail die Textur der Realität wiedergibt. Die Komposition der Bilder dagegen löst die Formen auf und vermischt sie mit anderen – ebenfalls fotorealistisch verfassten – Kontexten. Konsumartikel bilden ein wesentliches Element seiner Malerei, wobei Nahrungsmittel wie Bagels und Maiskörner mit erotischen Details vermischt werden. Die Erotik ist für ihn – nicht verwunderlich – ein wesentlicher Aspekt der Konsumwelt. So werden denn auch weibliche Formen nur in Andeutungen, Farben und Assoziationen in die Bilder eingebracht. Die Erotik ist hier lediglich ironischer Verweis und weit entfernt von Pornografie oder sexistischer Darstellung. Letzterer Hat Jeff Koons allerdings einen eigenen Teil der Ausstellung unter dem Titel „Made in Heaven“ gewidmet, in denen er eindeutige erotische Akte mit der ehemaligen Pornodarstellerin und heutigen Ehefrau Ilona Staller abbildet.

Die anderen Teile der Ausstelung „Jeff Koons. The Painter“ in der Schirn tragen Titel wie „Popeye“ – eine Verarbeitung der berühmten Comic-Figur – und „Hulk Elvis“, bei der eine affenartige Science-Fiction-Figur im Mittelpunkt steht. Die neuesten Gemälde sind mit „Antiquity“ übertitelt und stellen fotorealistische antike Statuen in einem skizzenhaften Strich-Kontext dar. Prägend für alle Werke Jeff Koons ist die Konstellation scheinbar inkommensurabler Elemente wie weiblicher Brüste und Bagles oder appetitanregende Lebensmittel (Schlagsahne mit Kirsche) und Comic-Figuren. Allen Elementen der Bilder ist das Glatte, Perfekte eigen, das sie aus der Alltagswelt in einen septisch reinen Raum verweist, der die Illusion der Unverletzlichkeit und der Naivität erzeugt. Jeff Koons´ Bilderwelt wirkt vordergündig lustig und auf kindliche Betrachtung abgestellt. Doch diese Unbeschwertheit entlarvt sich gerade wegen ihrer vordergründigen Perfektion und der Abwesenheit jeglicher Probleme selbst als Scheinwelt und reine Ironie.

Die nicht zu bestreitende Gefahr dieser Bilder liegt darin, dass der Betrachter durch die handwerkliche Perfektion und die scheinbare „Schönheit“ der Formen zu einer rein farbästhetischen Sichtweise verführt werden und die Bilder schlicht als „schön“ bewerten könnte, so wie auch die Werbung nur mit „schönen“ Menschen, Speisen und Dekors arbeitet, um den Betrachter positiv zu stimmen. Doch im Gegensatz zur Werbung bricht Koons die dort affirmative weil „stimmige“ Konstellation immer wieder durch die Inkommensurabilität der miteinander verwobenen Elemente auf und entzieht dem Betrachter damit die Berechtigung zum Wohlfühlen.

Im Liebieg-Haus südlich des Mains stehen die Skulpturen von Jeff Koons. Sie sind in die bestehenden Dauerausstellungen integriert, als ob sie dazu gehörten. Natürlich fallen sie optisch aus dem Rahmen und irritieren den Besucher im ersten Augenblick, doch einige ähneln den historischen Skulpturen auf eine Weise, dass man sie diesen durchaus zurechnen könnte. Dazu gehören zum Beispiel die goldenen Spiegel in barocker Formgebung, die nur durch den neuen Glanz des Goldes aus dem Rahmen fallen. Andere Skulpturen sind thematisch an die jeweilige Umgebung angepasst. So hängt eine überdimensionale Katze in einem blauen Schlupfsack zwischen historischen Büsten aus Holz und anderen Materialien. Allen ist die Einbettung der Büste in einen artifiziellen Unterbau gemeinsam.
Die Skulpturen von Jeff Koons leben von der Täuschung der Oberfläche. Viele basieren auf der Vorlage von vereinfachten Gummitieren, wie sie Kinder im Schwimmbad oder zum Spielen benutzen. Bei Jeff Koons sind sie jedoch aus Aluminium gerfertigt, das er noch einer speziellen Oberflächenbehandlung unterzogen hat, so dass die Skulpturen tatsächlich wie Gummipuppen aussehen. Sogar die typischen Falten an Nähten sind täuschend echt nachgeahmt worden, und man ist versucht, den Daumentest auf die Echtheit der Oberfläche durchzuführen. In bestimmten Fällen lehrt die Physik, dass es sich nicht um Gummitiere handeln kann, so bei den Affenpuppen, die untereinander hängen und nur locker mit Händen und Füßen verzahnt sind. Am untersten Affen hängt ein Gartenstuhl, der Gummiaffen sicherlich unnatürlich in die Länge ziehen würde.

Eine andere Skulptur zeigt Jeff Koons und seine Ehefrau Ilona Staller als idealisierte Doppelbüste im Stil des 18. Jahrhunderts, die wie aus Alabaster gefertigt erscheint. Eine besonders beziehungsreiche Skulptur stellt eine nackte Frau in einer Badewanne dar, die erschreckt auf einen Schnorchel schaut, der vor ihr auftaucht. Hinter dieser Skulptur sieht man ein historisches Relief mit einer Madonna, die aus den Wolken ihren männlichen Verehren auf Erden huldvoll die Hand reicht.
Dazwischen ist eine Reihe von Gegenständen des Alltags plaziert, die aus leichtem Metall zu sein scheinen, sondern jedoch aus vollem Edelstahl gefertigt sind. Nach Aussagen des Wachpersonals wiegen diese Gegenstände das Zehnfache und mehr des imitierten Gegenstandes. Hier liegt die Täuschung weniger in der Oberfläche als im Gewicht.
Die Täuschung zieht sich durch die Skulpturen wie ein Motto. Mal ist sie hintergründig, im ersten Moment gar nicht erkennbar, dann wieder augenfällig, so wenn Comicfiguren in grellen Farben die Haltung klassischer Statuen annehmen. Dann drücken sie blanke Ironie aus und spielen mit dem Begriff der Kultur und ihren scheinbar zeitlosen Werten. Auf der anderen Seite zeigt Jeff Koons, nicht zuletzt durch die perfekte, täuschende Oberflächenbearbeitung, den Kultcharakter heutiger Konsumgüter. Auch der Eros spielt eine wichtige Rolle, lugt er doch an vielen Stellen offen oder versteckt aus den Skulpturen hervor. Kultur wird zur Ware, wie man beim Auktionshaus Sotheby deutlich erkennen kann, ebenso wie die Erotik, die in Werbung und Konsumgütern längst verdinglicht worden ist. Andererseits erhalten Konsumgüter und Erotik – ebenfalls durch die allgegenwärtige Werbung – Kultstatus und werden zu zentralen Topoi der heutigen Gesellschaft.

Die Ausrichter dieser Skulpturen-Ausstellung haben es geschafft, durch die Integration der Konns-Skulpturen in die bestehenden Sammlungen ein Spannungsfeld zu schaffen, das die zweitausendjährige Kultur der bildenden Künste mit der Moderne konfrontiert und damit zum Nachdenken über Vergangenheit und Gegenwart anzuregen.
Die Ausstellung ist vom 20. Juni bis zum 23. September 2012 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 22 Uhr geöffnet.

Frank Raudszus

 

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