Vergiss den Traum von greifbarem Glück…
Das Staatstheater Darmstadt inszeniert Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“
Künstler aller Epochen haben ihr Verhältnis zu den Frauen – oder „der Frau“ – gerne inszeniert und dramatisiert. Ob diese übersteigerte Sichtweise auf einen angeborenen Narzissmus der kreativen Geister zurückzuführen ist, sei dahingestellt. Richard Wagner unter anderem im „Tannhäuser“ sah im „Weib“ die große verführerische Ablenkung vom Eigentlichen, und selbst Goethe sieht die Frau – Helena – im „Faust II“ durchaus ambivalent. Dabei waren beide dem anderen Geschlecht in der Praxis alles andere als abgeneigt. Doch Künstler sahen und sehen sich oft als Priester der Kunst, die nur eine Geliebte kennen, nämlich eben diese Kunst. Da wird die echte Geliebte aus Fleisch und Blut schnell zur gefährlichen, ja fast diabolischen Konkurrentin.
Jacques Offenbach hat das Verhältnis des Künstlers zu den Frauen in den Mittelpunkt seiner komischen Oper „Hoffmanns Erzählungen“ gestellt. Nun darf man zwar annehmen, dass es ihm in erster Linie um einen zündenden Stoff ging, der dem Publikum gefiel und es in Scharen ins Theater lockte, doch die sich in mehreren Varianten wiederholende, geradezu insistierende Aussage lässt darauf schließen, dass er dabei auch viel über sein eigenes Verhältnis zu Kunst und Erotik preisgab.
In der Rahmenhandlung lässt er den Dichter (E.T.A.) Hoffmann in einem Pariser Gasthaus einen Abend mit Freunden verbringen. Hoffmann wartet auf das Ende der Opernvorstellung, in der Stella, eine einst von ihm heiß geliebte Sängerin, auftritt. Zu reichlichem Genuss von Wein erzählt Hoffmann den Anwesenden drei Geschichten über verschiedene Frauentypen, die er alle in Stella vereint sieht: die Puppe, die Künstlerin und die Kurtisane. Diese Trinität kommt natürlich nicht von ungefähr daher sondern spiegelt die Ambivalenz des Frauenbildes ganzer Männergenerationen, das man unter anderem auch mit der Doppelbezeichnung „Heilige und Hure“ zusammenfasst. Männer erhoben und erheben geliebte Frauen gerne in den Stand einer unbefleckten Heiligen – siehe auch das Bild der „Heiligen Maria“ – und beb(t)en angesichts deren Sexualität vor Begierde und Befürchtung gleichermaßen. Jacques Offenbach hat sich bei der Handlung – naheliegenderweise – aus dem reichen literarischen Werk E.T.A. Hoffmanns bedient. Dessen romantisch-magischen Geschichten eignen sich besonders für die künstlerische Gestaltung des schwierigen Verhältnisses zwischen Künstler und Weib. Hoffmanns Erzählungen – hier „Der Sandmann“, „Rat Krespel“ und „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht“ – leben von ihrer gesteigerten Surrealität, die sich auch am Ende nie in realistisches Wohlgefallen auflöst. Es bleibt stets ein dunkles Geheimnis, das sich nicht erklären lässt. Darüber hinaus tritt in fast jeder dieser Geschichten ein undurchschaubarer Vertreter des Bösen auf, der alle Pläne der Menschen – meist des nichts ahnenden Künstlers – durchkreuzt und ihn zu Fall bringt. Diese Dunkelmänner sind der Nachhall des Goetheschen Mephisto, nur aus der fast zynischen Klarheit der Aufklärung in die furchteinflößende Mehrdeutigkeit der Romantik gewendet.
Die Puppe – hier Olympia“ – steht für die reine Äußerlichkeit der schönen Frau, die Männerherzen bewegt und ihre Hirne vernebelt. Der zwielichtige Dr. Coppelius dreht Hoffmann auch prompt eine rosarote Brille an, durch die dieser alles in seiner Wunschgestalt sieht. Als einziger aller Anwesenden erkennt er nicht, dass Olympia nur eine Puppe ist, bis Coppelius sie aus kommerzieller Rache zerstört – und ihn damit fast auch.
Die Künstlerin – hier Antonie – steht für die hochsensible Frau, die vor allem die Literatur der Romantik prägte und bei emotionaler Aufwallung gerne in Ohnmacht fiel. Diese Sensibilität ist dem vermeintlich robusten Mann fremd und unheimlich. Bei Antonie verbindet sich höchste Intensität des Gesangs mit Todesnähe. Der symbolische Zusammenhang zwischen künstlerischer Perfektion und Tod ist nicht zu übersehen und reflektiert einmal mehr die fast schon narzisstische Nabelschau des Künstlers, der sich und seine Kunst in letzter Konsequenz transzendiert. Dass in dieser Geschichte Antonie durch den Gesang stirbt, ist dramaturgisch zwingend und rettet den Künstler wieder einmal vor den Fesseln der Bindung.
Die Kurtisane – hier Giulietta – stellt die Macht ihrer Sexualität in den Vordergrund und ängstigt damit nicht nur den Künstler, sondern vor allem den Mann in ihm. Hoffmann kann Giuliettas so souveränem wie zielgerichteten Umgang mit ihrer erotischen Wirkung nur durch das Eingeständnis „wahrer“ Liebe begegnen, ohne zu merken, dass er gerade damit ihr Geschäft befördert. Skepsis diesem „Vollblutweib“ gegenüber wäre für ihn gleichbedeutend mit ihrem Verlust, und davor hat er Angst. Also läuft er in das für kühle Beobachter deutlich sichtbar von ihr aufgestellte Messer und wird von ihr nach Strich und Faden über den Tisch gezogen. Auch hier taucht natürlich wieder der Vertreter der dunklen Macht auf, der nicht nur dem Schlemihl – ja, auch Chamissos Held findet sich hier ein! – den Schatten geraubt hat, sondern ihn sogar durch Hoffmann umbringen lässt und dabei Hoffmann noch sein Spiegelbild raubt – beides mit gezielter Hilfe durch Giulietta. In dieser Szene kommt die Angst der Männer vor der – vermeintlich – berechnenden Art erotisch attraktiver Frauen am deutlichsten zum Ausdruck.
John Dew verzichtet bewusst auf ein weitgehend an die jeweilige Geschichte angepasstes Bühnenbild, da diese nur Geschichten seien, die Hoffmann im Gasthaus erzählt. So bleibt es von Anfang bis Ende bei dem von Heinz Balthes rustikal-biedermeierlich ausgestalteten Gasthaus-Ambiente, und auch die Kostüme der jeweils anderen Personen bleiben gleich, müssen doch die Gasthaus-Besucher als imaginierte Protagonisten der jeweiligen Erzählung herhalten. Hoffmann richtet seine Erzählung sozusagen an dem vorhandenen Personentableau des Gasthauses aus. So spielt Andreas Wagner die Rolle des Nathanael und des Spalanzani ebenso im Kostüm eines Corps-Studenten wie Oleksandr Prytolyuk die des Hermann und des Schlemihl. Olafur Sigurdson spielt gleich vier Rollen im selben Abendanzug: die des Lindorf aus der Rahmenhandlung – der zieht am Ende mit Stella vor dem so düpierten wie betrunkenen Hoffmann ab – und die der drei dunklen Herrn Coppelius, Mirakel und Dapertutto aus den jeweiligen Erzählungen. Ähnlich geht es Peter Koppelmann, der vier unterschiedliche Bedienstete in immer demselbem Kostüm spielt und auch damit für eine gewisse Kontinuität der Rolle(n) sorgt.
Da ist es nur logisch, dass John Dew auch die weiblichen Hauptrolle(n) von einer einzigen Sängerin spielen lässt. Adréana Kraschewski spielt nicht nur die Stella, sondern tritt nacheinander auch als Puppe Olympia, Sängerin Antonie und Kurtisane Giulietta auf – stets im dunkelblauen Kleid einer „Königin der Nacht“. Dabei lässt John Dew die gerade Verblichene – Olympia bzw. Antonie – zu Beginn der nächsten Szene buchstäblich wiederauferstehen, um damit das Imaginäre dieser Figuren zu betonen. Gerade haben noch Spalanzani und Cochenille versucht, die von Coppelius zerstückelte Puppe Olympia wieder zusammenzubauen, da erhebt sich diese aus ihren Händen als Antonie zu neuem Leben. Die zweite weibliche Rolle ist die der Muse, die Hoffmann vor der Enge einer erotischen Bindung bewahren will und sich deswegen in die Gestalt von Hoffmanns Freund Niklas verwandelt. Sie begleitet ihn durch all seine Affären und rettet ihn jedesmal rechtzeitig vor dem Verderben.
Die Durchgängigkeit der Szene und der Personen führt zu dramaturgischer Dichte und Stringenz. Da die Erzählungen konsequent als Teil der Rahmenhandlung gedeutet werden, verliert sich die Inszenierung nicht in ausschweifender Illustration der einzelnen Erzählungen, sondern schält aus ihnen nur den gemeinsamen Kern heraus: die unterschiedlichen Sichtweisen des Künstlers auf die Frau und die Angst, sich in der Bindung an sie zu verlieren. Auch die dramaturgische Gestaltung der einzelnen Erzählungen – abgesehen von Konstanz der Bühne und der Kostüme – verlässt nie den einmal gesetzten Rahmen und verweist damit immer wieder auf die Ausgangsposition. John Dews Inszenierung erhält dadurch eine Qualität über die eines breiten romantischen Musikpanoramas hinaus und vermittelt einen Eindruck von der Sicht der Künstler des 19. Jahrhunderts auf sich und ihr Verhältnis zur Welt und speziell zu den Frauen.
Die Darsteller zeigen durchweg ansprechende bis beeindruckende Leistungen, allen voran Adréana Kraschewski in ihren vier Rollen als Stella, Olympia, Antonie und Giulietta. Allein die künstlich abgehackten Koloraturen der Olympia stellen schon einen Höhepunkt dar und sind nicht nur gesangstechnisch höchst anspruchsvoll, sondern erfordern daneben auch einige gestische und mimische Anstrengung. Adréana Kraschewski gelingt es in dieser Szene, das Groteske der Puppe auszudrücken, ohne deswegen ins Platt-Vordergründige abzugleiten. Ihre lyrischen Fähigkeiten kann sie als Antonie überzeugend unter Beweis stellen, und bei der Giulietta kommen dann ihre dramatischen Vorzüge zum Tragen. Die Vielfalt der vier Rollen stellt einer Sängerin eine einzigartige Ausdrucksbandbreite zur Verfügung, und Adréana Kraschewski schöpft diese Möglichkeiten in vollen Zügen aus. Neben ihr überzeugt Wolfgang Schwaninger als Hoffmann, hat jedoch naturgemäß ein wesentlich begrenzteres Repertoire, da er im Grunde genommen immer den selben Typ Mann – verliebt und ein wenig hilflos – zu spielen und zu singen hat. Doch das tut er glaubwürdig und mit sicherer Stimme.
Olafur Sigurdarson wirkt als dubioser Dunkelmann fast ein wenig zu bieder und sympathisch. Ein bisschen mehr an diabolischem Wesen würde dieser Rolle guttun, aber das hat wohl auch mit der durch und durch sympathischen Physiognomie des Sängers zu tun. Peter Koppelmann gibt die diversen Bediensteten als Mischung aus Slapstick und Tolpatschigkeit und deckt damit den humorvollen Part der Inszenierung ab. Thomas Mehnert setzt mit seinem markanten Bass in den Rollen des Luther und vor allem des Rats Crespel Akzente, und Andreas Wagner sowie Oleksandr Prytolyuk füllen die Rollen von Nathanael bzw. Spalanzani sowie Hermann bzw. Schlemihl mit professioneller Routine aus.
Das Orchester des Staatstheaters stand bei der zweiten Aufführung unter der Leitung von Elias Grandy. Zusammen mit dem Chor des Staatstheaters sorgten sie für die nötige akustische Fülle und taten das wie immer mit viel Frische und Präzision, ohne deswegen in einen forschen Operettenstil zu verfallen. Die Musik intonierte die Bühnenhandlung stets einen Hauch gesammelter und ernster als erwartet, und das war gut so.
Das Publikum zeigte sich mehr als angetan und dankte dem gesamten Ensemble durch kräftigen Beifall, der vor allem den beiden Hauptdarstellern Adréana Kraschewski und Wolfgang Schwaninger galt.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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