Das Städel-Museum präsentiert in der Ausstellung „Freiheit des Sehens“ Grafiken aus dem eigenen Bestand

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Feder, Bleistift, Pinselstrich

Das Städel-Museum präsentiert in der Ausstellung „Freiheit des Sehens“ Grafiken aus dem eigenen Bestand

Die grafische Sammlung des Frankfurter Städel-Museums verfügt über rund dreitausend Grafiken. Wegen der Lichtempfindlichkeit vor allem der Bleistiftzeichnungen und der Aquarelle befinden sich diese Werke die meiste Zeit unter „Dunkelverschluss“. Bei Daueraushängung würden sie dramatisch an Qualität verlieren.

Wilhelm Busch
Während des Umbaus fanden auch keinerlei Einzelausstellungen zu diesem Thema statt, sodass es jetzt, nach dem erfolgreichen Abschluss des Erweiterungsbaus, Zeit wurde, diese Palette wieder einmal der Öffentlichkeit vorzustellen. Natürlich ist es aus räumlichen und organisatorischen Gründen nicht möglich, den gesamten Bestand zu zeigen, und so stand die Kuratorin, Frau Dr. von Manstein, vor der undankbaren Aufgaben, aus diesen dreitausend Werken etwa einhundert auszuwählen. Jede Entscheidung für eine bestimmte Grafik war damit automatisch eine Absage an – statistisch – neunundzwanzig andere. Man kann sich gut vorstellen, wie die Kuratorin durch die vorhandenen Grafiken ging und wie schwer es ihr fiel, aus welchen Gründen auch immer die Mehrzahl der Werke zur Seite zu legen.

Die Ausstellung beschränkt sich auf deutsche Grafiken aus dem 19. Jahrhundert, und damit reduzierte sich die Auswahl um ein beträchtliches Maß. Die Beschränkung auf ein Thema erleichtert die Aufgabe, weil man so die Selektion aus thematischen Gründen und ohne Wertung vornehmen kann.
Die Kuratorin hat das 19. Jahrhundert bewusst als Bezugszeitraum ausgewählt, da es voller Brüche und politisch-gesellschaftlicher Neuorientierungen ist. Es beginnt mit dem abgeklärten Klassizismus der späten Weimarer Zeit, geht über zur seelenvollen Romantik, verfällt dann in einen hautnahen Naturalismus, der schließlich in den desillusionerenden Realismus der beginnenden Moderne mündet. Hinter diesen schnellen Wechseln der Kunststile stehen historische Entwicklungen, die sich in den Kürzeln Napoleon, Restauration, Biedermeier, 1848, Industrialisierung, Reichsgründung und Kaiserreich niederschlagen. Die Jahrhunderte davor kannten zwar auch den mehr oder minder permanenten Kriegszustand, doch die gesellschaftliche Strukturen änderten sich nicht auf ähnlich rapide Weise.

Franz Kobell
Die Exponate stammen samt und sonders aus den eigenen Beständen des Städels und reichen teilweise noch in die Zeit des Gründers Johann Friedrich Städel zurück, so zum Beispiel die umfangreiche Werksammlung von Franz Kobell. Städels Nachfolger, darunter Johann David Passavant, bauten die grafische Sammlung stetig aus.

Die Ausstellung ist nach Themengruppen organisiert. Gleich am Anfang begrüßen Landschaftszeichnungen und -aquarelle den Besucher. Darunter ist auch eine Wiesenlandschaft von Wilhelm Busch, den so mancher vielleicht nur als frühen „Comic-Zeichner“ kennt („Max und Moritz“). An diese Facette des großen Ironikers und Satirikers erinnert die kolorierte Bilderserie „Der Floh“, die jedoch aufgrund der mittlerweile vergangenen Zeit bereits leider schon etwas ausgeblichen ist. Andere Themengruppen gelten dem Porträt oder religiösen Szenen. Bei letzteren spielen wiederum die sogenanten „Nazarener“ eine Rolle, zu denen u. a. Philipp Veit und Peter von Cormelius gehörten. Auch die Illustration von Literatur und Theater stellen eine eigene Themengruppe dar. Darunter fallen die „Faust“-Illustrationen von Peter Cornelius und die bereits erwähnte „Floh“-Serie von Wilhelm Busch.

Adolph Menzel:
Das spätere 19. Jahrhudnert ist dann mit Adolph Menzel, Lovis Corinth und Max Liebermann vertreten, um nur einige zu nennen. Hier schlägt die naturalistische Zeichnung dann schon in eine abstrahierte Darstellung des Ausdrucks um, worin man teilweise schon einen Vorläufer des Expressionismus sehen kann. Die darstellende Kunst musste sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend mit der neuen Technik der Fotografie auseinandersetzen, die teilweise als Konkurrenz, teilweise als Herausforderung und Anregung aufgefasst wurde. Aus dieser Reibung entstand einerseits die fotografische Zeichnung bzw. Malerei, die versuchte, den Detailreichtum der Fotografie nachzuahmen, andererseits die bewusste Abkehr von der naturgetrauen Darstellung der Wirklichkeit zugunsten einer Betonung einer hinter der nackten Realität beheimateten „Wahrheit“.

Beim Betrachten der einzelnen Werke fällt immer wieder auf, welche Stimmung sich auch ohne Farben nur mit den verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten des Bleistifts erzielen lässt. In der Beschränkung auf Grautöne aller Schattierungen zeigt sich der wahre Meister, der mit seinem Bleistift das Blau des Himmels genauso wie das Grün der Bäume oder die Farbe der menschlichen Haut suggerieren kann.
Die Sammlung ist 8. März bis zum 28. Mai 2012 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bi 21 Uhr geöffnet.

Frank Raudszus

 

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