Es grünt so grün der Evergreen
Das Staatstheater Wiesbaden gastiert mit dem Musical „My Fair Lady“ in Darmstadt
Es gibt Musicals, die kommen und gehen, und es gibt solche, die ewig zu leben scheinen, Zu letzteren gehört zweifellos Alan Lerners und Frederick Loewes „My Fair Lady“. Der Erfolg dieses Musicals liegt sicher auch an der Textvorlage, denn die besteht nicht nur aus dem uralten Mythos von Pygmalion, sondern vor allem aus dem gleichnamigen Theaterstück des großen britischen Satirikers George Bernard Shaw.
In „Pygmalion“ aktualisiert er den alten Mythos, bei dem sich der Bildhauer Pygmalion derart in seine selbstgeschaffene Statue verliebt, dass diese zum Schluss zum Leben erwacht. Shaw lässt anstelle der antiken Götter den snobistischen Sprachwissenschaftler Higgins ein ungebildetes Blumenmädchen von der Straße in einem halben Jahr zu einer sprachgewandten jungen Frau ausbilden, die auf allen öffentlichen Veranstaltungen mithalten kann. Dabei gilt seine satirische Kritik natürlich weniger dem arroganten Professor als vielmehr der englischen Gesellschaft, die außer korrekter Aussprache keine weiteren intellektuellen Leistungen zu bieten hat. Dass am Schluss das sprachlich gut ausgebildete Mädchen und der Professor „sich kriegen“, ist eine Zutat des Musical-Drehbuchs und ein Zugeständnis an das Publikum.
Iris Gerath-Prein hat in Wiesbaden die Handlung aus dem frühen 20. Jahrhundert in unsere heutige Zeit verlegt. Gleich zu Beginn zeigen sich die Passanten auf der Straße als eine bunte Mischung aus Vertretern der heutigen Großstadt-Jugend mit Baseball-Mützen – falsch und richtig herum -, nummerierten Fußballer-Trikots und Dreiviertelhosen. Professor Higgins´ Wohnung besteht nicht mehr aus einer holzgetäfelten Bibliothek sondern aus einem modernen „living room“, der durch eine Glaswand den Blick auf ein Designerbüro freigibt. Die Rennbahn von Ascot erscheint hier als eine Reihe von grünen Hecken, von denen aus die Zuschauer dem Rennen auf der Galoppbahn folgen können, und die Wohnung von Higgins´ Mutter ist ein angedeuteter Wintergarten mit ein paar Blumen.
Ansonsten folgt die Inszenierung der Eindeutschung aus den frühen sechziger Jahren. Die Schauspieler sprechen Berliner Dialekt, da eine Verlagerung in eine andere Mundart völlig neue Songtexte erfordert hätte. Es gibt genau genommen auch keinen Grund, die sprachliche Ausrichtung des Musicals zu ändern, da der Witz der Dialoge und der Lieder auch heute noch frisch wie bei der Uraufführung ist. Geht man davon aus, dass sich das Publikum in zehn Jahren merklich erneuert, findet diese Inszenierung jedes Mal aufnahmewillige Ohren.
Die Regie hat jedoch Einiges im Ablauf geändert. So werden die unaufhörlichen Sprechübungen bei halbabgedunkelter Bühne über Lautsprecher ins Publikum getragen und vermitteln so einen Eindruck von der großen Mühe, einem einfachen Blumenmädchen die Kniffe der Hochsprache beizubringen. Darüber hinaus dehnt die Regisseurin aus denselben Gründen die Übungszeit mit verschiedenen Szenen aus, so dass es einige Zeit dauert, bis Higgins den Satz „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn“ mit dem Ausruf „Mein Gott, jetzt hat sie´s“ kommentieren kann. Auch betont Iris Gerath-Prein die selbstgefällige Gefühlskälte des Professors, der in Eliza Doolittle keine Frau mit Gefühlen sondern nur ein wissenschaftliches Objekt sieht, das man nach erfolgreicher Bearbeitung weglegt. Üblicherweise wird diese kritische Seite von Shaws Theaterstück in den Musical-Inszenierungen marginalisiert, weil man mit einigen Recht annimmt, das Musical-Publikum sei an Problemdiskussionen nicht interessiert. Auf Kosten der Gesamtlänge der Inszenierung arbeitet sie die enstprechenden Szenen – so zwischen Higgins und Oberst Pickering – konsequent heraus, um die Herrenmenschen-Mentalität des Professors zu zeigen. Obwohl Oberst Pickering überlicherweise als Ehrenmann und Mensch mit Manieren gegen Higgins positioniert wird, hat bei Iris Gerath-Prein auch er seine chauvinistischen Allüren.
Die Regie legt außerordentlich großen Wert auf gute Artikulation, was zur Folge hat, das nicht nur die Dialoge sondern auch die Liedtexte sehr gut zu verstehen sind, ohne dass dies auf Kosten des Tempos oder der darstellerischen Dichte gehen würde. Generell bewegen sich die Darsteller sehr gut und machen dadurch aus diesem Musical ein Theaterstück mit Musik und Gesang. Die hohe Betonung einer glaubwürdigen Zeichnung der Charaktere lässt das Musical lebendiger und realitätsnäher wirken als so manche Version, die sich auf die Präsentation der eingängigen Lieder beschränkt.
Nicht nur die Sprechszenen sind dramaturgisch sorgfältig aufgebaut und bringen die jeweilige Botschaft deutlich zum Ausdruck, sondern auch die Lieder selbst werden freier gesungen als üblich. Dazu setzen die Sänger winzige Verzögerungen gegenüber der vorgegebenen Metrik ein, die das jeweilige Lied eher zu einem individuellen Sprechtext werden lassen, anstatt ihn als „Schlager“ herunterzusingen. Das geschieht natürlich alles im Rahmen der vorgegebenen musikalischen Vorlage und bedeutet nicht, dass die Regie das Stück musikalisch oder gar inhaltlich umdeutet. Sie nutzt nur die vorhandenen Freiräume soweit wie irgend möglich.
Die sängerischen und schauspielerischen Leistungen sind durchweg beeindruckend. Annette Luig ist eine temperamentvolle Eliza, die sich sowohl im Berliner Gassenjargon als auch im vornehmen Ton auskennt und später eine so reizende wie leidende Figur abgibt. Ihr zur Seite steht ein ebenso überzeugender Dirk Schäfer, der dem Professor Higgins eine gewisse jungenhafte Leichigkeit gepaart mit einer gehörigen Portion Oberschicht-Snobismus verleiht. Gerade die Mischung aus sympathischen und negativen Charakterzügen lassen ihn zu einer lebendigen Person werden und nicht im Klischee verharren. Daneben zeichnen sich noch Armin Dillenberger als schlitzohriger Alfred Doolittle, Wolfgang Vater als Oberst Pickering und Helga L. Schoon als Haushälterin Pierce aus. Rosemarie Schubert sorgt als Higgins´Mutter für ein weiteres weibliches Gegengewicht, und Reinhold Schreyer-Morlock schmilzt als Freddy vor Eliza dahin.
Der Chor spielt dazu mal die Straßengesellschaft um Alfred Doolitlle, mal die Ballgesellschaft am Hofe, und sorgt damit für viel Leben auf der Bühne. Das Orchester spielt in kleiner Musicalbesetzung auf und begleitet die Szenen und Befindlichkeiten der Protagonisten mit entsprechenden Harmonien und Melodien.
Das Publikum im ausverkauften Großen Haus fand großes Gefallen an dieser Inszenierung und dankte dem Ensemble mit lang anhaltendem Beifall.
Weitere Aufführungen am 21. April sowie am 15. und 26. Mai.
Frank Raudszus
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