Die „Bar-Festspiele“ des Staatstheaters Darmstadt bringen Felicia Zellers Text-Collage „Bier für Frauen“.
Wer unvorbereitet in diese Aufführung geht, in der Hoffnung, einen netten Abend zu verbringen, ist eine Zeitlang irritiert. Die Versuche, den Gesprächen zwischen den drei Personen einen Sinn oder gar eine schlüssige Handlung zu entnehmen, bleiben erfolglos. Erst gegen Ende der Aufführung erschließt sich dem Zuschauer der Sinn. Die Sinnlosigkeit ist sozusagen Programm, nicht eine Schwäche dieses Stücks, falls man es so nennen will.
Zu Beginn sitzen drei junge Leute – Anne Hoffmann, Katharina Uhland und Stefan Schuster – in der Fensternische hinter Vorhängen, bis eine Stimme aus dem Lautsprecher sozusagen Regieanweisungen ausgeben, die jedoch nicht unbedingt auf einen sinnvollen Kontext schließen lassen. Die drei sind im Stil des Prekariats gekleidet – Trainingsanzug, Schlabberhose, enges Top – und stehen erst einmal herum. Da nichts geschieht, überbrücken sie die Zeit mit den üblichen Sprüchen junger Leute à la „Ne, oder..?“ oder „Hallooo?“. Sinnvolle oder – neudeutsch – zielführende Gesprächsthemen ergeben sich nicht; man redet das, was einem gerade in den Sinn kommt. Offensichtlich warten diese drei auf etwas, das den wahren Sinn ihres Daseins ausmacht, und schlagen bis zu diesem Ereignis die Zeit mit verbalem Leerlauf tot. Wenn dann plötzlich ein musikalisches Signal ertönt, reagieren sie wie der berühmte Pawlowsche Hund und eilen spornstreichs zu einer Kamera, vor der sie sich postieren und mit dem schönsten Zahnpasta-Lächeln schöne Welt spielen. Die Tatsache, dass sie während dieses Posierens weiterhin ihren „small talk“ pflegen, zeigt, dass es bei diesem verpflichtenden Auftritt nicht auf Texte sondern nur auf das äußere Erscheinungsbild ankommt, das allerdings die typischen Befindlichkeiten „gut drauf“, „cool“ und „good looking“ ausstrahlen muss – wie bei der bekannten „Becks“-Reklame, die deshalb auch in Stück integriert ist. Sobald der Auftritt beendet ist, sinken die Schultern wieder herab, der gestraffte Körper entspannt sich bis zur Schlaffheit, und die drei kehren an den Platz ihrer internen Reibereien zurück. Diese ergeben sich zwangsläufig, da die drei nicht wissen, worüber sie reden sollen. Sie haben offensichtlich keine schwierigen Probleme außer dem, dass sie sich ihres Hauptproblems nicht bewusst sind. Dieses besteht darin, dass sie wie abgerichtete Hunde gehalten werden, die von Zeit zu Zeit eine kleines Kunststück vorführen müssen. Da sie keine anderen Interessen haben, spüren sie den Mangel nur dumpf. Sie können ihre Unzufriedenheit mangels Weltkenntnis und intellektuellen Formats nicht wahrnehmen oder gar formulieren und drehen sich daher verbal im Kreise. Ihre Gespräche nehmen den Charakter einer intellektuellen Diarrhö an, die sich im Gegensatz zu ihrem physischen Pendant nahezu endlos ausdehnen kann.
Der Aufenthaltsort zwischen den kurzen Auftritten ist das Innere der Bar, das die drei mittels Pantomime zum virtuellen Schwimmbad deklarieren. Dort sind in den Lampen verschiedene Utensilien präpariert, die sie für ihren jeweils nächsten Auftritt benötigen. Das imaginäre Schwimmbad nimmt also die Funktion eines Versuchskäfigs an, wo man für die Versuchstiere ebenfalls kleine Dinge offen oder versteckt anbringt, um bestimmte Reaktionen hervorzurufen. Die drei Protagonisten nehmen diese Anordnungen unreflektiert als gegeben an und bedienen sich ihrer ganz im Sinne der im Hintergrund agierenden Kräfte. Je weiter diese in ihrer Abfolge bald vorhersagbare Situation sich fortsetzt, desto mehr nimmt das Ganze den Charakter einer bewussten, vollständigen Manipulation an. Ohne dass die Autorin dies in dem Text andeuten muss, steht die Mediengesellschaft dahinter, die eine ganze Generation mit dieser eng geführten Versuchsanordnung zu willfährigen Opfern einer weitreichenden und tiefgehenden Manipulationsstrategie macht.
Für das Publikum bringt das Stück so manche komische oder eher groteske Situation mit sich. Denn die drei fühlen sich in ihrer physischen und psychischen Abhängigkeit von den vorgegebenen Abläufen nicht wohl und drücken dies durch Schübe von Aggression und Unsicherheit aus. Da jeder in seiner Unsicherheit allein ist und sie den anderen nicht zeigen will, lauert man auf jede Schwäche bei den anderen und beutet sie im Sinne eines permanenten Mobbings gnadenlos aus. Alle drei stehen unter dem Zwang „cool“ zu sein und ja keine entblößenden Gefühle zu zeigen. Gespräche über Sex oder Alkohol werden so zu verbalen Leistungsschauen oder Demonstration der eigenen Abgeklärtheit. Die Schwächen der anderen zu entlarven und zu verhöhnen stärkt das eigene Selbstbewusstsein, und so können entweder die beiden Frauen über den gerade abwesenden Mann ablästern oder – wenn dieser da ist – sich gegenseitig bei Gelegenheit in Grund und Boden zicken, bis die andere in Tränen ausbricht. Das ist dann allerdings ein Zeichen elementarer Schwäche, die nur durch einen Gegenangriff zu kompensieren ist.
Die drei spielen die typischen Konstellationen zwischen Männern und Frauen durch. Der junge Mann (Stefan Schuster) versucht, sich gegenüber den beiden Frauen keine Blöße zu geben und Streit mit ihnen aus dem Wege zu gehen. Intuitiv weiß er, das er gegen zwei Frauen nicht viel ausrichten kann. Die beiden Frauen wiederum teilen sich die Rollen: Anne Hoffmann gibt die etwas Einfältige, die so manches nicht versteht, immer wieder in die Isolation gerät und dieser durch forsche Sprüche zu entkommen sucht. Katharina Uhland dagegen kennt die Schwächen ihrer Mitstreiterin sehr genau und zielt mit ihren verbalen Schlägen stets genau in diese Kerbe, wobei ihre Stimme schneidend-kalte Schärfe annehmen kann. Alle drei sind trotz ihrer nach außen gekehrten „Coolness“ todunglücklich und wünschen sich ein festes Bezugssystem, das ihrem Dasein einen Sinn verleiht. Das können sie in dem Käfig des täglichen Show-Allerleis jedoch weder definieren noch gar finden. So bleibt neben der latenten Aggression und einer lauernden Abwehrhaltung nur die Tünche einer vordergründigen Abgeklärtheit, die sich in konfektionierten Sprüchen zeigt. Bis zum Ende dieser einstündigen Aufführung zeigt sich in dem Binnenverhältnis dieser drei Figuren keine Entwicklung, „und wenn sie nicht gestorben sind, dann klopfen sie noch heute Sprüche“.
Anna Hoffmann, Katharina Uhland und Stefan Schuster bringen diese drei Stereotypen überzeugend auf die Bühne und lassen sie buchstäblich lebendig werden. Man kennt all die Sprüche und Übersprunghandlungen, und teilweise verliert man das Gefühl, in einer Theateraufführung zu sein, derart beiläufig und realistisch geht es zwischen den dreien zu. Auch den Raum nutzen sie extensiv und mit viel Geschick, wodurch nicht nur alle in der Bar verteilten Zuschauer in den Genuss der Nähe kommen sondern was auch der Spannung des ansonsten doch einförmig wiederkehrenden Handlungsablaufs gut tut.
Am Ende dieser Aufführung verneigen sich die drei Darsteller vor viel Beifall, und als Zuschauer nimmt man sich vor, künftig pfleglicher mit Worten und Gedanken umzugehen.
Frank Raudszus
Weitere Aufführungen am 19. 2. sowie am 16. und 22.3.2012
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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