Das St. Petersburger Mariinsky-Ballett verabschiedet sich mit einer „Ballett-Gala“ aus Darmstadt

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Die
Drei Mal Perfektion zum Abschied

Das St. Petersburger Mariinsky-Ballett verabschiedet sich mit einer „Ballett-Gala“ aus Darmstadt
Zum Ende der „Woche des klassischen Balletts“ in Darmstadt bot das Mariinsky-Ballett nach „Schwanensee“ und „Dornröschen“ noch einmal eine Gala-Vorführung. Am Freitag Abend standen drei unterschiedlilche Produktionen auf dem Programm: Den Anfang machte die Choreographie „Scotch Symphony“ von George Balanchine aus dem Jahr 1952, dann folgte Emil Faskis moderne Choreographie „Simple Things“ von 2010, und zum Schluss griff die Mariinsky-Truppe noch einmal zurück zu den Anfängen des klassischen Balletts und zeigte Auszüge aus der „Dornröschen“-Produktion des Franzosen Marius Petipa aus dem Jahr 1881. Mit diesen drei Choreographien spannte das Ballett aus St. Petersburg einen Bogen von einhundertdreißig Jahren und vermittelte damit dem Publikum einen Eindruck von der Entwicklung dieser Kunstrichtung.

In „Scotch Symphony“ hat George Balanchine die „Schottische Sinfonie“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy tänzerisch interpretiert. Da in einer Sinfonie das Orchester selbst im Mittelpunkt steht und solistische Einlagen – wenn überhaupt – nur aus dem Orchesterkörper kommen, hat Balanchine ebenfalls die Tänzer und Tänzerinnen als homogene Gruppe in den Vordergrund gestellt. Zu einem – wie bei den St. Petersburgern üblich – traditionellen Hintergrundbild, das allerdings eine für Schottland viel zu liebliche und fruchtbare Landschaft zeigt, tanzt eine Gruppe aus Männern in schottischen Kostümen – karierter Rock und eigenwillilge Mützen – allein oder zusammen mit jungen Frauen in luftigen weißen Kleidern. Die Tanzfiguren regelmäßig aufgebaut, rechtwinklig und fast ein wenig militärisch. Das Geordnete, Durchdachte verweist auf die Struktur der Sinfonie, die noch deutlich klassische Züge aufweist. Die Themen und deren nachvollziehbare Durchführung schlagen sich in den getanzten Figuren nieder. Um diese streckenweise etwas statische Choreographie aufzulockern, führt Balanchine eine Liebesgeschichte ein, bei der ein junger Mann eine junge Frau entdeckt und sich zu ihr hingezogen fühlt. Doch die schottischen Männer stellen sich ihm immer wieder entgegen und sorgen dafür, dass die verbindung nicht zu schnell zustandekommt sondern einem strengen Ritual folgt. Natürlich endet diese Beziehung glücklich und insgesamt vier Solo-Tänzer erhalten die Gelegenheit, ihr Können zu zeigen. Die Choreografie zeichnet sich vor allem durch die Perfektion der Figuren sowohl der Gruppe als auch der Solisten aus. Die Geschichte dazu ist jedoch eher schematisch, und daher baut sich auch keine Spannung auf. Man genießt diese Produktion allein wegen ihrer tänzerischen und ästhetischen Wirkung.

Dagegen setzt die Choreographie „Simple Things“ von Emil Faski ganz andere Akzente. Zu einer Musik des zeitgenössischen finnischen Komponisten Arvo Pärt lässt Faski erst eine Gruppe von dunkel gekleideten Tänzern mit dem Rücken zum Publikum auftreten. Die Bühne besteht lediglich aus einem schwach erleuchteten Viereck ohne ablenkende Gestaltungselemente. Pärts Musik besteht aus drei kurzen Werken. „Silouans Song“ für Streichorchester, „Cantus im Memoriam Benjamin Britten“ für Glocke und Streichorchester und „Spiegel im Spiegel“ für Streichinstrument mit Klavier. Die Musik übt durch ihre Sparsamkeit und ihren weitgehenden Verzicht auf expressive Effekte eine intensive Sogwirkung aus. Faski hat dazu langsame aber akzentuierte Bewegungsfolgen entwickelt, die zeitweise Zeitlupenaufnahmen ähneln. Höchste Konzentration und Körperbeherrschung sind nötig, um Geschmeidigkeit und Spannung gleichzeitig aufrecht zu erhalten. Eine Solo-Tänzerin tritt mit der Gruppe in Beziehung und wird von dieser schließlich in einer Art Huldigung in die Höhe gehoben und zu einer in die Ferne weisenden Figur stilisiert. Man kann hinter dieser Choreographie Anklänge an Strawinskys „Sacre du printemps“ sehen, wenn auch die Musik ganz anders geartet ist. Diese zeichnet sich vor allem durch ihre gespannte Introvertiertheit aus, und die Darsteller setzen die Stimmung der Musik kongenial in Bewegungen um. Eine sparsame und punktuell intensivierte Beleuchtung verstärkt die Wirkung der Choreographie noch. Bis zum Schluss lässt die Spannung nicht nach, obwohl es zu keinerlei expressiven oder gar eruptiven Klängen oder Bewegungen kommt. Die Spannung ergibt sich aus dem Inneren der Musik und der Tänzer. Viel spontaner Beifall.
Den Abschluss dieser Gala bildete eine Auswahl aus der frühen „Dornröschen“-Chroeografie. Hier konnte man am besten erkennen, welchen Unterhaltungs- und Belehrungsauftrag das Ballett EAnde des 19. Jahrhunderts hatte. In einer „Nummernrevue“ folgt ein Auftritt dem nächsten. Die Kostüme und Tänze wechseln ständig, und es geht offensichtlich nur darum, dem Publikum die ganze Palette von Kostümen, folkloristischen Elementen und tänzerischen Figuren zu zeigen. Weder die einzelnen Auftritte noch das Ganze verfoplgen irgendeinen interpretatorischen Sinn. Auch bei dieser Auswahl spielt das dahinterstehende Märchen keine andere Rolle als die eines Trägers für farbenprächtige Szenen. Man kann sich aber gut vorstellen, dass die damaligen Zuschauer, deren Alltag ansonsten keine medialen An- und Aufregungen bot, begeistert waren. Denn fürs Auge wird hier tatsächllich sehr viel geboten. Farbenprächtige Kostüme und immer wieder neue Abfolgen von Tanzfiguren – in der Gruppe oder von Solisten. Wer noch nicht vom Virus des modernden (Tanz-)Theaters infiziert ist, genießt hier ganz naiv die hohe Schule der Körpersprache, ohne dahinter psychische oder gesellschaftliche Probleme zu wittern. In einer solchen Auswahl fehlt natürlich der Spannungsbogen der gesamten Geschichte, aber darauf kann man auch einmal verzichten, wenn dem Auge soviel Ästhetik und Perfektion geboten wird.
Das Publikum zeigte sich auch hier wieder begeistert und verabschiedete die Truppe aus St. Petersburg mit viel Beifall. Hausherr John Dew ließ es sich nicht nehmen, die Abschiedsworte selbst zu sprechen und sie von eienr Dolmetscherin für das aufgereihte Ballet-Ensemble übersetzen zu lassen. Nur das „Spaciba bolschoj“ – „Großen Dank“ – brachte er selbst in Russisch dar.
Frank Raudszus

 

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