Keine Klamotte ohne Kalauer

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Aart Veder (Emanuel Striese, Theaterdirektor), Matthias Kleinert (Martin Gollwitz), Sonja Mustoff (Rosa, Dienstmädchen bei Gollwitz)

Die Komödie „Der Raub der Sabinerinnen“ im Staatstheater Darmstadt ergibt nur als Ergänzung zum „Theatermacher“ Sinn.

Eígentlich gehört diese Rezension in die gemeinsame Betrachtung eines selbstreferentiellen Theaterabends. In einem Doppelabend hatte Schauspieldirektor Martin Apelt zwei Antipoden des „Theaters über das Theater“ zusammengestellt: Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ und eben diese Komödie der Brüder Paul und Franz von Schönthan. Dabei trennen beide Stücke genau einhundert Jahre: Thomas Bernhard schrieb seine Theatertirade im Jahr 1984, als die bürgerliche Auffassung vom Theater durch die 68er-Generation ins Wanken geraten war, während die beiden österreichischen Brüder im Jahr 1884 die bürgerliche Lebensart mit eher grobkörnigem Humor und ohne großes gesellschaftliches Kritikpotential aufs Korn nahmen. Die k.u.k.- bzw. Wilhelminische Welt schienen noch in Ordnung, und das komödiantische Theater diente in erster Linie der schenkelklopfenden Unterhaltung, was per se nicht zu verurteilen ist. So entstand ein Stück, das sich in erster Linie mit den üblichen Verwechslungen und ansonsten mit maßvoller Verulkung bürgerlicher Peinlichkeiten beschäftigt.
Katharina Uhland (Marianne, seine Frau), Gerd K. Wölfle (Karl Gross), Karin Klein (Friederike, seine Frau)Der ehrenwerte Professor Gollwitz hat als Student einst das Theaterstück „Der Raub der Sabinerinnen“ verfasst, es jedoch nie veröffentlicht. Was heute einem Professor zumindest den Status eines C-Prominenten und ein wenig Presse einbringen würde, galt damals als Peinlichkeit, da die Schauspielerei – und damit auch die Komödienschreiberei – einen eher niederen sozialen Rang einnahm. So liest er es in einer schwachen Stunde während der Urlaubs seiner gestrengen Gattin auch nur der Haushälterin vor, die sich ob der rührseligen Geschichte kaum der Tränen enthalten kann. Wie es das Schicksal will, entdeckt ausgerechnet der Direktor eines Schmierentheaters, der dringend nach Stoff für seine Truppe sucht, das Manuskript, als er bei dem Professor wegen eines eventuellen Theaterbesuchs antichambriert. Mit geradezu professioneller Überredungskunst gelingt es ihm, die Aufführungsrechte zu ergattern, und macht sich umgehend ans Werk. Der sich geschmeichelt fühlende Professor widersetzt sich nur zaghaft, und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Obwohl die „Frau Professor“ auf keinen Fall davon wissen darf, stiehlt sich die Kunde über die Aufführung doch langsam ins Haus. Dazu kommt noch der mit einem Sprachfehler behaftete Schauspieler Sterneck als ehemaliger Kommilitone von Gollwitzens Schwiergersohn ins Haus und verliebt sich prompt in dessen jüngere Tochter, die schnell alles weiß und ihre eigenen Pläne verfolgt. Natürlich kommt die Ehefrau samt älterer, verheirateter Tochter früher aus dem Urlaub zurück, und das Chaos einer typischen Verwechslungskomödie beginnt. Am Ende geht zwar alles gut aus, aber bis dahin werden alle Stereotype des Boulevardtheaters durchgespielt. Dazu zählen in diesem Fall – in Abwandlung einer typisch männlichen Domäne – auch zwei betrunkene Frauen, die in einer ausgedehnten Szene über die Bühne torkeln und so richtig „die Sau rauslassen“, was im Jahr 1884 richtig befreiend und geradezu provozierend gewirkt haben mag aber heute natürlich ein wenig an Originalität eingebüßt hat.

Karin Klein (Friederike, seine Frau), Matthias Kleinert (Martin Gollwitz), Katharina Uhland (Marianne, seine Frau), Andreas Vögler (Dr. Neumeister, Arzt)Doch das ist in dieser Inszenierung nicht so wichtig. Dramaturg Martin Apelt geht es nicht darum, dieser Komödie irgendeine psychologische, gesellschaftliche oder gar politische Botschaft zu entlocken. Er setzt das Stück gezielt als Gegenentwurf zu Bernhards „Theatermacher“ ein. Die Orthogonalität beider Stücke ist mehr als deutlich: wo Bernhard einen langen Monolog mit wenig Handlung und viel gesellschaftlicher Sprengkraft ausstattet, da bieten die Schönthan-Brüder eine sich überstürzende Handlung mit knappen Dialogen und wenig Aussagekraft an; wo Bernhard jeden Ansatz von Humor ins Bösartige wendet, verwandeln seine Landsleute jeglichen Anflug von Bösartigkeit – die einzige Quelle dafür ist hier Gollwitz` Ehefrau – ins Harmlos-Humoristische; und wo Bernhards Stück einen geradezu körperlichen Hass auf die angeblich inhärente Verlogenheit des Theaterbetriebs ausspeit, ist bei den Schönthans selbst der unbegabteste Theatermensch noch von der Liebe zu seinem Beruf durchdrungen. Die beiden Stücke stehen für die Misanthropie und die Philantropie gegenüber der Kunst der Mimen.
Unter diesem Aspekt gewinnt auch die Inszenierung dieser Komödie einige Logik. Die Zeit ist der aus Bernhards „Theatermacher“ angeglichen, irgendwo in den 70er oder 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, also zu Lebzeiten Bernhards. Die Frauen stochern in engen, farbenfreudigen Kostümen über die Bühne und tragen hochtoupierte Frisuren, die Männer – vor allem Gollwitz und Striese – profilieren sich mit „künstlerischen“ weil gewollt unkonventionellen Haartrachten. Nur das alt-bürgerliche Mobiliar erinnert entfernt an das 19. Jahrhundert.
Soweit die Umgebung. Um gar nicht erst den Verdacht eines gewollten Tiefgangs entstehen zu lassen, inszeniert Regisseur Hermann Schein das Stück als temporeiche Klamotte des Typs „linke Tür zu, rechte Tür auf“. Auch den Kalauern gesteht er ein Lebensrecht zu und gewährt ihnen in den Dialogen ausreichend Raum. Hier ist keine Person wirklich ernst zu nehmen, alle erfüllen lediglich eine Funktion in der an Situationskomik reichen Handlung, und jegliche Art des sprachlichen Witzes feiert fröhliche Urständ. Zu den „todsicheren“ Lachern gehört der Sprachfehler des jungen Schauspielers ebenso wie der sächsische Dialekt des Theaterdirektors. Das Dienstmädchen lässt Schein als Reverenz an das Publikum im hessischen Tonfall reden. Die Ehefrau ist so exaltiert wie nur eine Ehefrau des Boulevard-Theaters sein kann, und der Professor selbst ist ein Paradebeispiel für den stets vor seiner Frau sich fürchtenden Ehemann, der die Kontrolle über die Geschehnisse schnell verloren hat.

Die Zuschauer geben bald den Versuch auf, dem Stück eine Aussage zu entnehmen, und der ein oder andere verlässt sogar vorzeitig die Aufführung. Das mag jedoch an einem grundlegenden Missverständnis liegen: viele Besucher verbinden den Titel „Der Theatermacher“ mit ernstem, ja schwerem Kunstgenuss und mögen die für Bernhards Stück gerechtfertigte Erwartungshaltung auf die Schönthan-Komödie übertragen haben. Dabei haben sie offensichtlich den Sinn des Abends nicht ganz verstanden, der ja gerade darin besteht, zwei archetypische Theaterstücke über das Theater nebeneinander zu stellen und daraus eine Quintessenz des Selbstverständnisses des Theater- und Kulturbetriebs zu ziehen. Der Witz dieses Theaterabends liegt eben nicht in Bruscons bösartigen Bonmots oder den k.u.k.-Kalauern sondern in der Gegenüberstellung dieser beiden „Selbstauskünfte“ des Theaters über eine zeitliche Spanne von hundert Jahren. Da gerinnt die Klamotte aus dem Jahr 1884 zu einer durchaus aussagekräftigen Beschreibung des Kulturverständnisses einer Epoche, und die Kalauer gewinnen in ihrer Harmlosigkeit sogar eine gewisse Liebenswürdigkeit.
Die Darsteller können sich in diesem Stück richtig austoben. Allen voran sind hier die Frauen zu nennen. Karin Klein gibt die zickige Ehefrau mit allen Facetten dieses Typus und liefert sich in der Alkoholszene einen längeren Schlagabtausch mit Katharina Uhland, die als ihre Tochter Marianne schon gut die Zicken einer Ehefrau gelernt hat und im gespielten Sektrausch mehr und mehr die Hemmungen verliert. Gerd K. Wölfle als berlinernder Weingroßhändler Groß sieht sich plötzlich zwei weiblichen Wesen ausgeliefert, die sein bodenständig-chauvinistisches Weltbild arg ins Wanken bringen. Anne Hoffmann spielt die jüngere Tochter Paula als Mischung aus kindlichem Teenager und erwachender Frau, die schon genau weiß, was und wen sie will, und Sonja Mustoff gibt das Dienstmädchen Rosa als pragmatisches aber auch rühseliges Wesen. Bei den Männern kann sich vor allem Aart Veder als sächsisch schwadronierender und durch das Leben lavierender Theaterdirektor Striese profilieren. Matthias Kleinert muss sich dieses Mal mit der etwas zurückgenommenen Rolle des von den Ereignissen überforderten Professors begnügen – nachdem er schon im „Theatermacher“ nur wenige Worte reden durfte -, während Andreas Vögler dessen Schwiegersohn als jugendlichen Draufgänger gibt. Simon Köslich schließlich muss über die ganze Spieldauer den schwierigen Sprachfehler aufrecht erhalten, was ihm jedoch hervorragend gelingt.
Dass der Schlussbeifall eher freundlich als begeistert ausfiel, lag wohl mehr an der fortgeschrittenen Zeit. Schließlich dauert der gesamte Theaterabend über vier Stunden und endet erst nach elf Uhr. Potentiellen Besuchern dieses Doppelabends sei geraten, die zweite Hälfte als Entspannung nach Bernhards bösen Bemerkungen zu nehmen und die Slapstick-Szenen einfach mit unbefangenem Lachen zu genießen.
Frank Raudszus

Weiter Aufführungen:
* 29.1. sowie 4.,11. und 18. 2.2012

Alle Fotos © Barbara Aumüller

 

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