Der Kampf zwischen dem Autor und Stephen Hawkins um die Rettung der Quantenmechanik
Vor zwei Jahren nahm das CERN in Genf einen neuen Beschleuniger in Betrieb, mit dem die Struktur der Materie – der Aufbau der Atomkerne – tiefer untersucht werden sollte. Durch den Zusammenstoß hochenergetischer Teilchen ließen sich unter anderem auch „Schwarze Löcher“ erzeugen. Das führte umgehend zu Protesten aus der Bevölkerung bis hin zu Klagen auf Einstweilige Verfügungen gegen den Betrieb der Anlage. Die Befürchtungen gingen dahin, dass diese Schwarzen Löcher unkontrollierbar seien und die gesamte Erde (warum nicht gar Sonnensystem und Universum??) verschlingen würden. Das zeigt den großen Graben des Miss- und Unverständnisses zwischen der heutigen Physik und dem Normalbürger und liegt nicht zuletzt an reißerischer Literatur aus dem Bereich der Science-Fiction, die gern mit diesen schaurigen Bildern spielt. Dem (naturwissenschaftlich) durchschnittlich gebildeten Zeitgenossen war nicht zu vermitteln, dass ein Schwarzes Loch in erster Linie ein mathematisches Konstrukt (mit konkretem Hintergrund) ist, das sich nicht automatisch in einen Materie verschlingenden Moloch verwandelt. Glücklicherweise wiesen die Gerichte die Klage ab, und das CERN konnte den Beschleuniger in Betrieb nehmen.
Was also ist ein „Schwarzes Loch“? Wenn ein Stern wie die Sonne all seinen Wasserstoff in Helium umgewandelt hat – diese Kernfusion liefert übrigens das für uns lebenswichtige Licht und die Wärme -, fällt er in sich zusammen, da die der Gravitation entgegenwirkenden Eruptionen entfallen. Durch die Gravitation werden erst die Atome und dann die Kerne zusammengedrückt. Da bereits der Atomkern nur einen winzigen Bruchteil des Volumens des Atoms ausmacht – der Rest ist Vakuum – und auch die Kerne wiederum weitgehend aus „Nichts“ bestehen, existiert in der Materie ein unvorstellbares Reservoir an leerem Raum, der bei einem „Schwarzen Loch“ infolge der wachsenden Gravitation durch die winzigen, nicht mehr komprimierbaren Elementarteilchen ausgefüllt wird. Dabei ergibt sich ein sich selbst verstärkender Prozess, bei dem die Gravitation umso größer wird, je kleiner der Raum für die Materie wird. Dadurch zieht der schrumpfende Stern immer mehr Materie aus dem Umfeld an, die vorher noch in stabilen Bahnen um den Stern kreisten. So werden auch unsere Planeten dereinst in das „Schwarze Loch“ der Sonne stürzen.
Da man aus naheliegenden Gründen ein schwarzes Loch nicht in der Praxis erforschen kann, muss man sich auf theoretische Konzepte und mathematische Berechnungen stützen. Im Zuge dieser Arbeiten hat man zum Beispiel schon früh erkannt, dass jedes Schwarze Loch einen sogenannten „Horizont“ besitzt. Alle Materie – allgemeiner spricht man von Information -, die sich außerhalb dieses Horizonts befindet, kann der Anziehung theoretisch entfliehen; hinter dem Horizont würde diese Flucht jedoch die Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit erfordern, was laut Einsteins Relativitätstheorie nicht möglich ist.
An dieser Stelle kommt der berühmte Physiker Stephen Hawkins ins Spiel. Der durch eine seltene Muskellähmung von normaler Kommunikation weitgehend ausgeschlossene Physiker gilt als einer der genialsten Köpfe in der modernen Physik, wobei in letzter Zeit nicht mehr viel von ihm zu hören ist, da die forschreitende Lähmung seiner Muskulatur auch die letzten, ausgefeiltesten Techniken zur Kommunikation ad absurdum geführt hat. Stephen Hawkins stellte im Jahr 1983 im Rahmen eines Vortrages die im ersten Augenblick nahezu unverfängliche Behauptung auf, dass jegliche Information (Materie, Energie), die in ein Schwarzes Loch fällt, für immer und ewig verloren ist. Das hängt mit der „Verdunstung“ von Schwarzen Löchern zusammen, die auf der Quantenfluktuation auf dem Horizont eines Schwarzen Lochs beruht und die Hawkins selbst kurz vorher prognostiziert und bewiesen hatte. Dass die in das Schwarze Loch gefallene Information in der „Verdunstungsmenge“ enthalten sein könnte, hielt er aus verschiedenen physikalischen und logischen Gründen für unmöglich.
Leonard Susskind, selbst Quantentheoritiker (er war in seinem ersten Leben Klempner!), sah die ungeheuerlichen Konsequenzen aus dieser Behauptung selbst erst im zweiten Blick. Hawkins Behauptung verletzte die grundlegenden Gesetze der Physik, die da besagen, dass die Summe der Energie (Information wird hier mit Energie gleichgesetzt) immer gleich bleibt. Bei Hawkins verschwindet sie jedoch, was zu gravierenden Folgen wie Erhöhung der Entropie und ungeheurer Aufheizung des Universums führen müsste. Die gesamte Quantenphysik und damit ein Grundpfeiler der modernen Physik schien in Gefahr. Entweder musste man die gesamte Physik umschreiben oder aber Hawkins widerlegen.
Dabei trat ein Problem ganz anderer Art auf: wegen seiner unbestrittenen Genialität und seiner einzigartigen Erkrankung genoss (und genießt) Hawkins in der internationalen Physikszene einen Sonder- ja, fast Kultstatus, der nahezu jegliche elementare Kritik an seinen Aussagen im Keim erstickt(e). Laut Susskind begegnen viele Physiker Hawkins wie die Jünger dem Messias. Das machte eine nüchterne Diskussion in der Öffentlichkeit sehr schwierig, da die meisten Physiker den Skeptikern nicht zuhörten. Dazu kam noch die alte Rivalität der konkurrierenden weil nicht „kompatiblen“ Glaubensfelder der Relativitätstheorie und der Quantentheorie. Einstein, einst „Erfinder“ und später erklärter Gegner der Quantentheorie, hatte selbst die Grundlage für diesen Krieg der Theorien gelegt.
Susskind, der selbst in Stanford Physik lehrt, beschreibt in dem vorliegenden Buch eben diese Auseinandersetzung mit Hawkins und dessen Anhängern über das Paradoxon des Inormationsverlustes in Schwarzen Löchern. Dabei spricht er in erster Linie fachfremde Leser an, um ihnen das Wesen der heutigen „Grenzland“-Physik nahezubringen. Er verzichtet weitgehend auf mathematische Formeln und versucht, die abstrakten Konzepte – „Krümmung der Raumzeit“, Singularitäten, Stringtheorien – durch einfache Analoga aus der bekannten dreidimensionalen Welt zu erklären. Das stößt natürlich an Grenzen, da diese Analoga am Ende stets das Wesen des zu Erklärenden verschleiern und ungewollt trivialisieren. Susskind ist sich dieses Problems bewusst und weist des Öfteren bewusst auf die Gefahren der Vereinfachung hin, doch für ein erstes, näherungsweises Verständnis scheinen sie ihm unerlässlich. Seine eigene tastende Suche nach einem stichhaltigen Gegenbeweis veranschaulicht er dadurch, dass er durch die verschiedenen Theorien der heutigen Physik geht und überall nach einem Hinweis auf die Lösung des Problems sucht. Das fordert von dem Leser einerseits ein hohes Maß an Verständnis für außerordentllich „kontraintuitive“ Verhältnisse, andererseits zeigt es die Unsicherheit selbst führender Experten bei diesen Grenzgebieten der modernen Physik auf authentische Weise.
Neben diesem Gang durch die moderne Physik schildert Susskind auch die Beteiligten dieser Auseinandersetzung und lässt dabei die führenden Physiker als Menschen unterschiedlicher Couleur mit diversen Marotten und ganz eigenen Charaktereigenschaften lebendig werden. Dabei zieht er vor jedem seiner Kollegen achtungsvoll den Hut und betont ihre großartigen menschlichen Fähigkeiten. Bisweilen wirken diese Verklärungen zwar ein wenig aufgesetzt, doch die ehrliche Absicht lässt sich nicht verkennen. Susskind will in seinem „Kriegsbuch“ offensichtlich vermeiden, ungewollt irgendwelche Feindbilder aufzubauen.
Die menschlichen Abschweifungen und Anekdoten verleihen dem Buch durchaus höhere Lesbarkeit und einen gewissen Unterhaltungswert, obwohl sie zu dem eigentlichen Thema wenig beitragen. Die Nachvollziehbarkeit von Susskinds Ausführungen leidet ein wenig darunter, dass er durch zu viele Theorien und Hypothesen streifen muss, als dass diese für den Durchschnittsleser noch auf einen Nenner zu bringen wären. Ob nun Relativitätstheorie oder Quantenfeldtheorie, ob Stringtheorie oder Holographie, ob Kosmologie oder Teilchenphysik: alles hängt irgendwie zusammen und lässt einen großen Überbau erahnen, doch wie dieser aussieht, weiß letztlich niemand, auch die Physiker nicht; denn noch immer ist die Dualität von „Teilchen und/oder Welle“ nicht abschließend geklärt, obwohl Susskind auch hierzu erhellende Aussagen trifft. Am Ende beweist er denn auch, dass Hawkins unrecht hatte und dass die in einem Schwarzen Loch „verschwundene“ Informatiion bei dessen Verdunstung durchaus wieder „herauskommt“. Zu beschreiben wie er dies beweist, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Interessierte Leser seien daher auf das Buch verwiesen; sie sollten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass sie es nicht mit leichter Populärwissenschaft mit unterhaltendem Charakter zu tun haben, sondern trotz Verzicht auf Mathematik mit einem außerordentlich anspruchsvollen Theoriegebäude, das erst einmal verstanden werden will.
Das Buch „Der Krieg um das Schwarze Loch“ ist im Suhrkamp-Verlag unter der ISBN978-3-518-42205-2 erschienen, umfasst 541 seiten und kostet 29,90 €.
Frank Raudszus
No comments yet.