Thilo Sarrazin: „Deutschland schafft sich ab – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“

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Ein Buch, das schonungslos Tabus aufbricht und alarmierende Fakten aufzählt.

Buchumschlag

Buchumschlag

In der Antike gab es bei manchen Despoten den üblen Brauch, den Überbringer einer schlechten Nachricht – etwa die Niederlage in einer Schlacht – zu köpfen. Was sich in den letzten Wochen in der Politik und einem Teil der Medien abgespielt hat, kommt diesem „bodenständigen“ Brauch recht nahe, wenn auch das Köpfen sich „nur“ auf die Karriere beschränkte, und lässt sich durchaus als „virtuelle Bücherverbrennung“ bezeichnen. Höchste Stellen der Politik und anderer Institutionen verurteilten ein Buch und vor allem dessen Autor aufgrund von Auszügen, ohne das ganze Buch gelesen zu haben. Schlimmer noch, die Kanzlerin und Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, bekannten öffentlich, dieses Buch nicht gelesen zu haben sondern es auch auf keinen Fall zu lesen, machten es jedoch gleichzeitig zu einer „no-read-area“. Das Gleiche gilt für Axel Weber, den Präsidenten der Bundesbank und direkten Vorgesetzten Thilo Sarrazins. Die Medien äußerten sich – mit einigen Volten und Einschränkungen – in ähnlicher Weise und skandalisierten einzelne Aussagen, anstatt sich inhaltlich mit dem Buch auseinanderzusetzen.

Wie konnte eine derart irrationale Empörung eine ganze gesellschaftliche Schicht mit sich reißen? Das ist wohl am ehesten mit dem Effekt „Des Kaisers neue Kleider“ zu erklären. Wer öffentlich – von einer „unautorisierten“ Instanz (im Märchen das Kind) – als „nackt“ entlarvt wird, reagiert aggressiv und neigt dazu, die Quelle dieser Kritik mundtot zu machen. Mehr noch, wer schwere Versäumnisse und Vertuschungen der politischen Führung aufdeckt, sieht sich mit massiven Sanktionen der so Bloßgestellten konfrontiert.

Soweit zur – in den letzten Jahrzehnten – sicherlich einzigartigen Vorgeschichte eines Sachbuches, das sich mit der aktuellen und zukünftigen Situation von Nation und Gesellschaft beschäftigt. Es bleibt daher die Aufgabe des Rezensenten, die Verdammung und ihre Begründung mit dem Inhalt der einzelnen Kapitel zu vergleichen und auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen.

Sarrazins sicherlich unbedachte und politisch unsensible Interview-Bemerkung, es gäbe beispielsweise ein „Juden-Gen und ein Basken-Gen“ (sinngemäß), hat unverzüglich alle politisch korrekten Gutmenschen auf den Plan gerufen und sie zu heftigsten Protesten motiviert. Dabei steht eine solche Behauptung nicht einmal ansatzweise in dem Buch und ist offensichtlich auf die Interview-Situation zurückzuführen.

Sarrazin handelt in seinem Buch im großen und Ganzen drei große Themenkomplexe ab:

  • die demographische Entwicklung in Deutschland mit besonderer Beachtung des Bildungsniveaus
  • die Auswirkungen großzügiger Sozialleistungen ohne signifikante Leistungsanforderungen
  • die Auswirkungen der Einwanderung auf die beiden erstgenannten Themenkomplexe

In den acht Kapiteln des Buchs (das neunte enthält hauptsächlich zwei alternative Zukunftsszenarien) beleuchtet Sarrazin diese Themen aus verschiedenen Perspektiven, wobei er den Fakten einen zentralen Stellenwert beimisst. Die Folgerungen ergeben sich dabei weniger aus Visionen oder gar Ideologien des Autors, sondern nahezu zwangsläufig aus den geschilderten Fakten. Er untermauert seine Feststellungen nicht nur mit einer Vielzahl von Tabellen und Grafiken, sondern mit insgesamt 538(!) Quellenangaben. In der wissenschaftlichen Literatur gilt der Umfang der Literaturverweise als Qualitätsmerkmal, vorausgesetzt, es sind seriöse Quellen von anerkannten Institutionen. Das ist bei Sarrazin der Fall, referiert er doch auf Quellen wie das „Statistische Bundesamt“, den „Mikrozensus“ oder OECD-Berichte, um nur einige wenige zu nennen. In diesem Fall wird ihm daraus jedoch ein „Strick gedreht“, indem man sein Buch abfällig datenlastig nennt oder gar als „Statistikturm“ bezeichnet. Grafiken und Tabellen, die einen Sachverhalt prägnant, kompakt und anschaulich darstellen, werden als Datenmanie denunziert und damit das Buch unterschwellig als minderwertig dargestellt. Die Tatsache, dass man nicht die Inhalte der Tabellen oder der Literaturverweise sondern die schiere Menge an sich angreift, sagt genug über die Kritiker aus. Offensichtlich sind die Fakten derart treffend – besser „schlagend“ -, dass man sie über einen Umweg lieber gleich ignoriert. Das Gleiche gilt natürlich für das anfängliche Interview-Zitat über das „Juden-Gen“. Die Skandalisierung dieses Satzes reichte vollständig aus, um die Diskussion über die Inhalte des Buches zu überlagern oder gar zu verhindern und den Autor einer „quasi-faschistischen“ Eugenik-Position zu beschuldigen.

Gleich zu Beginn hinterfragt Sarrazin kritisch das Mantra des Wachstums, das alle Probleme von den Sozialabgaben bis zu dem Alterungsprozess der Gesellschaft lösen soll. Die Abhängigkeit vom „Humankapital“ bei Abwesenheit von Rohstoffen lässt das zukünftige Wachstum jedoch allein aufgrund der sinkenden Anzahl vor allem jüngerer Menschen fragwürdig werden. Wenn man dazu noch die nachgewiesene Verschlechterung der schulischen Leistungen (PISA u.a.m.) rechnet, ist eher mit einem marginalen Wachstum bei einer zunehmenden Zahl von Rentnern und Pensionären zu rechnen. Ferner geht er in diesem Kapitel auf den Begriff der „relativen Armut“ ein, der jeden als arm definiert, der weniger als 60% des durchschnittlichen Einkommens bezieht. Relative Armut kann man damit aus rein logischen Gründen nie beseitigen, da die Armutsgrenze mit dem Durchschnittseinkommen steigt. Die naheliegende Argumentation einer höheren Umverteilung nach unten kontert Sarrazin mit der Begründung, dass der Transferempfänger unter zwei Dingen leide: der mangelnden Anerkennung wegen fehlender Arbeit und dem – durchaus verständlichen – Neid auf alle, die mehr haben. Aufgrund der Definition der Armut jedoch wird der Transferempfänger immer im unteren Einkommensniveau verharren. Die theoretische Möglichkeit der „Gleichverteilung“ aller Einkommen untersucht Sarrazin aus naheliegenden Gründen nicht. Das haben selbst die Bolschewiken nichrt realisieren können. Weiterhin weist Sarrazin auf eine Verfestigung der Unterschicht gerade wegen der Durchlässigkeit des Systems hin, da Begabte (und Motivierte) die Schicht verlassen und die Unbegabten (und Unmotivierten) zurücklassen. In diesem Zusammenhang kommt er auch auf die „Bildungsabwehr“ der Unterschicht zu sprechen, die sich in „buchfreien Zonen“ und im Desinteresse an den schulischen Leistungen der Kinder zeigt. Armutsforschung ist für Sarrazin heutzutage zur Ideologie geronnen, für ihn kann soziale Unterstützung nur aus der Hilfe zur Selbsthilfe bestehen.

In diesem Zusammenhang analysiert er auch zum ersten Mal den Intelligenzbegriff und stellt die von seinen Kritikern vielfach  bestrittene oder als veraltet dargestellte Behauptung auf, Intelligenz sei zu 50 bis 80% vererbbar. Doch bezieht er sich dabei  auf eine Studie aus dem Jahr 2009 und durchaus nicht auf eine Darwinsche Theorie des 19. Jahrhunderts. Abgesehen davon ist es völlig uneinsichtig, warum alle möglichen körperlichen (Größe, Haarfarbe) und psychischen (Geisteskrankheiten!) Eigenschaften – unbestritten! – vererbbar sein sollen, aber ausgerechnet die Intelligenz nicht. Von der nicht ganz abwegigen Annahme(!), Intelligenz sei vererbbar, kommt Sarrazin zwangsläufig zu der Folgerung, dass sich in verfestigten Milieus, die sich hauptsächlich aus sich selbst rekrutieren (Homogamie), über Generationen gewisse Intelligenzmuster festsetzen und verstärken. Zusammen mit der Tatsache, dass Transferempfänger in Deutschland für jedes Kind (Bar-)Geld bekommen, das nicht nachweisbar dem Wohl des Kindes zugute kommt, ergibt dies einen gesellschaftlichen Sprengsatz, der langfristig zur prozentualen Stärkung der Erhöhung der minder intelligenten Unterschicht führt. Auf der anderen Seite führt die besonders bei Akademikerinnen geringe Kinderzahl – 40% aller Akademikerinnen bleiben kinderlos! – zu einer kontinuierlichen Ausdünnung der (intelligenten) Oberschicht. Welche Folgen das für die Innovationskraft der Wirtschaft und den davon abhängigen Wohlstand hat, liegt laut Sarrazin und dem gesunden Menschenverstand auf der Hand.

Sarrazin äußert sich auch zum „garantierten Grundeinkommen“ à la Götz Werner. Die Idee verwirft er nicht durchweg, weist aber schnell nach, dass sich bei der – gebotenen! – Anrechnung aller anderen Einkommensarten letztlich kein anderes System als das heutige ergeben würde, mit der Ausnahme, dass die Anreizschwelle zum Arbeiten noch höher gelegt wird und dadurch ein noch größeres Heer von Empfängern entsteht, die sich mit Grundeinkommen ohne Arbeit(!) zufrieden geben. Es bleibt dann die Frage, wer alle die benötigten Waren und Dienstleistungen erarbeiten soll.

Auf Seite 150, zum Ende des 4. Kapitels, erwähnt Sarrazin im Zusammenhang mit der Grundsicherung (vulgo: Hartz IV) und dem generativen Verhalten (Fortpflanzung!) um ersten Mal die Migranten. Vorher geht es fast ausschließlich um das Prinzip und die Folgen von  Sozialleistungen mit oder ohne Gegenleistung. Soviel an dieser Stelle zur (ethnischen) Diskriminierung der Migranten. Im Kapitel 5 diskutiert er Begriffe wie Chancengleichheit und Gerechtigkeit. Dabei unterstellt er – zu Recht -, dass die Forderungen nach Chancengleichheit seitens ihrer Vertreter auch eine ökonomische Gleichheit implizieren. Er weist jedoch nach, dass gleiche Ausgangsbedingungen bei optimaler Förderung aufgrund unterschiedlicher Begabung und Motivation zu noch größerer Ungleichheit führen. Da das die Verfechter einer egalitären Welt für unannehmbar halten, streben sie letztens eine Verminderung der Förderung privilegierter (begabter?) Kinder entweder explizit oder über entsprechende Schulmodelle an.

Zu dem Thema „Migranten“ findet man in Sarrazins Buch wesentlich weniger „Genetik“ als die Diskussion erwarten lässt. Allerdings erweitert er die Diskussion über die „autochthone“, d.h deutsche Unterschicht auf die Einwanderer. Detailliert weist er die erfolgreiche Integrationsgeschichte der ersten Einwandererwelle – Italiener, Spanier, Griechen – nach, um dann bei den Türken und Afrikanern das Gegenteil zu diagnostizieren. Diese bleiben bekanntlich ihrer Kultur, ihrer Sprache und ihrem Rechtssystem (Scharia) treu und verweigern zu einem signifikanten Teil jegliche Integration. Verweigerung der Sprachaneignung, Zwangsehen und Verachtung der deutschen Lebensart prägen den harten Kern dieser Migranten, die nicht mit dem Ziel eines besseren Lebens durch Arbeit sondern durrch Sozialtransfers nach Deutschland gekommen sind und noch kommen. Hartz IV garantiert den meisten dieser ungebildeten Migranten ein Mehrfaches des Einkommens, das sie in ihrer Heimat durch Arbeit verdienen könnten, und die kinderorientierte Unterstützungspolitik lädt zu einer höheren Fruchtbarkeit geradezu ein. Bei den Migranten kommen jedoch gegenüber den „einheimischen“ Transferempfängern die mangelnden Sprachkenntnisse und die Integrationsverweigerung dazu, die zwangsläufig zu einer Parallelgesellschaft führen. Bei entsprechender Zunahme dieser Bevölkerungsschicht ist zu erwarten, dass diese die Einhaltung ihrer eigenen Gesetze auch von der einheimischen Gesellschaft verlangen. Sarrazin weist anhand umfangreicher Quellen nach, dass diese (d.h. die nicht-integrierten) Migranten nicht nur keinen aktiven Beitrag leisten und den Steuerzahler viel Geld kosten, sondern dass sie auch auf Dauer das deutsche Gesellschaftsgefüge entscheidend und nicht zum Guten ändern.

Natürlich spielt in  diesem Zusammenhang auch die angeborene und weitervererbte (mangelnde) Intelligenz eine Rolle, die er bereits vorher eingehend hergeleitet hat. Dass die Migranten genau wie die Deutschen diesen „Fehlfaktor“ durch ihre Ghetto-Bildung verfestigen und verschärfen, ergibt sich aus der Annahme der Vererbbarkeit der Intelligenz zwangsläufig. Das hat jedoch nichts mit ethnischen Genen zu tun sondern lediglich mit den Vererbungsgesetzen von Mendel und Co.. Wer diese für die Intelligenz bestreitet, findet natürlich reichlich Diskussionsstoff, aber – siehe oben.

Die Gleichsetzung von Islamkritik mit Rassismus ist für Sarrazin eine beliebte Waffe nicht nur der islamischen Verbände sondern auch für deutsche „Gutmenschen“, die nichts mehr fürchten als für ausländerfeindlich und damit reaktionär (=faschistisch) gehalten zu werden. Daher sind viele eher zur Selbstaufgabe bereit als Forderungen an Migranten zu stellen. Hier sieht Sarrazin einen deutlichen Fall der undemokratischen Macht einer letztlich irrationalen „politischen Korrektheit“.

Am Ende unterbreitet Sarrazin sogar einige Vorschläge, wie dem Missstand abzuhelfen wäre, wobei er diese nur als Denkanstöße und nicht als Forderungen versteht. Dazu gehören massive Anreize für Akademikerinnen, mehr Kinder in die Welt zu setzen, um den Rückgang der autochthonen und vor allem der begabteren Bevölkerung (Vererbbarkeit der Intelligenz!) zu stoppen. Ebenso empfiehlt er den sofortigen Stopp des Familiennachzugs für Migranten bzw. die Aussetzung von Sozialleistungen für Familienmitglieder für eine bestimmte Zahl von Jahren. Kinderunterstützung sollte nicht explizit in bar sondern als Sachleistung in Form von Kindertagesstätten etc. geleistet werden und der Besuch von Sprachkursen und der Schule bzw. des Kindergartens bei Strafe des Geldentzugs Pflicht sein.

In einer fast satirischen Randbemerkung stellt er fest, dass sich jeder Geburtenrückgang einer Bevölkerung selbst abbremst – nämlich, wenn niemand mehr da ist, der keine Kinder mehr bekommen kann. Anschließend beschreibt er im letzten Kapitel zwei mögliche Szenarien für die nächsten 50 bis 80 Jahre. In dem einen setzen sich die Trends fort, so dass am Ende ein verarmtes Land mit vollständig separaten Parallelwelten steht, in dem Deutsche nur noch eine verschwindende Minderheit bilden und sich nach den Gesetzen des Islams richten müssen. Im anderen ergreift die heutige oder eine künftige Regierung in naher Zukunft die entsprechenden Maßnahmen, woraus sich am Ende ein friedliches Zusammenleben auf der Basis der westlichen(!) Leitkultur ergibt, bei dem jedoch auch die Muslims ihre Religion frei ausübern können. Welches Szenario eintritt, ist für Sarrazin völlig offen…..

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Lektüre des ganzen Buches (nicht nur von Auszügen!) keinen Anlass bietet für die Angriffe, die der Autor in den letzten Monaten hat erfahren müssen, sieht man einmal von der Annahme vererbbarer Intelligenz ab, die man durchaus diskutieren kann. Das sollte aber auf wissenschaftlichem Niveau und unter Berücksichtigung des aktuellen Erkenntnisstandes erfolgen und nicht auf der Basis von Ideologien und Wunschvorstellungen. Selbst die Aussage, Sarrazins Aussagen seien teilweise provokant, lässt sich nur dann aufrecht erhalten, wenn die Tatsache, dass jemand unangenehme Fakten ungeschminkt offenlegt, eine Provokation darstellt. Der Stil Sarrazins ist allerdings direkt und schnörkellos, d. h. der Autor nimmt hinsichtlich der aktuellen Zustände und der möglichen Konsequenzen kein Blatt vor den Mund. Wer dies nicht vertragen kann, soll weiter in seiner Wunschwelt leben, darf sich dann aber nicht über die unerwarteten Folgen wundern.

Das Buch ist in der „Deutschen Verlagsanstalt (DVA)“ unter der ISBN 978-3-421-04430-3 erschienen und kostet 22,99 €.

Frank Raudszus

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