Ein Tagesausflug in das Sossusvlei und zu den roten Dünen.
Heute können wir unsere Geländewagen unter dem Sonnendach stehen lassen. Den Tagesausflug zum Sossusvlei, einem langen Tal mit einer urtümlichen Dünenlandschaft westlich unserer Lodge, unternehmen wir mit Jan, unserem Führer, im hauseigenen Jeep der Lodge. Bereits um viertel vor fünf reißt uns der Wecker aus dem Schlaf, denn die Dünen muss man im Morgenlicht erleben. Um halb sechs verlassen wir die Lodge nach einem heißen Tee bei den ersten schwachen Anzeichen der Morgendämmerung.
Zuerst geht es die Schotterpiste ein Stück nach Norden, dann biegen wir nach knapp einer halben Stunde nach Westen ab, Richtung Sesriem. Mittlerweile hat der Tag bereits etwas an Kraft gewonnen, und rechts der Straße erkennen wir die ersten Ausläufer der Dünen mit ihren rötlichen Hängen. Einzelne Straußenvögel in der weiten Ebene erkennt man an ihren hohen, schwarzen, kugelförmigen Körpern, dann hüpft die erste Sprinbock-Herde durch die niedrige Buschlandschaft. Dabei sehen wir auch zum ersten Mal das typische „Springen“ dieser Tiere, bei dem sie mit allen vier Beinen gleichzeitig abheben und sowohl hoch als auch weit springen. Angreifende Löwen werden durch diese seltsame Art der Fortbewegung irritiert und können sich nicht mehr so gut auf ihr Opfer konzentrieren. Schnell wird es zum Sport, weitere Tiere zu entdecken, und der sich zunehmend aufhellende Morgenhimmel erleichtert das Auffinden.
Kurz vor sechs erreichen wir das Tor des Sossusvlei-Naturparks bei Sesriem und reihen uns als fünftes Fahrzeug in die Warteschlange ein, denn das Tor ist noch geschlossen. Offiziell öffnet der Park zwar um sechs Uhr, aber das nimmt man laut Jan nicht so genau. Die Schlange der Fahrzeuge verlängert sich schnell, und der kühle Morgenwind hält alle in den Autos. Kurz nach halb sieben geht es dann los. Die kurze Strecke bis zum eigentlichen „Ticket Office“ legen wir in zwei MInuten zurück, dann hält Jan vor einerm flachen Gebäude und steigt schnell aus dem Wagen. Er erreicht das Büro kurz nach einem heranspurtenden Einheimischen, ihnen folgt eine Meute ankommender Gäste im Dauerlauf oder Stechschritt. Jeder möchte der Erste an den Dünen sein, und bei diesem Wettlauf haben wir eine recht gute Ausgangssituation.
Das Sossusvlei-Tal zieht sich über 64 Kilometer zwischen zwei Dünenzügen von Osten nach Westen und endet dann vor einer Dünenwand. In der Regenzeit läuft das Wasser an dem nördlichen Dünenhang entlang bis ans Ende des Tals und verteilt sich dort auf viele kleine Rinnsale und Teiche. Spätestens nach einem Monat ist alles Wasser wieder verschwunden – verdunstet und versickert. Nach besonders ergiebigen Regenzeiten schießen Bäume aus dem Bpoden, die später kein Wasser mehr bekommen und deshalb eingehen. Ihre kahlen grauen Stämme und Äste prägen das Bild der brettflachen Ebene, bei der nächsten üppigen Regenzeit stehen sie dann wieder in voller Blüte.
Je weiter wir in das Tal vorstoßen, desto deutlicher zeichnen sich die aus reinem Sand bestehenden Dünen auf beiden Seiten des Tals ab. Da gibt es „S“-Dünen mit einem geschwungenen Kamm, „C“-Dünen mit einem bogenförmigen Kamm oder „Stern“-Dünen, die ihre geraden Windkämme sternförmig in alle Richtungen strecken. Die „Verbindungsdünen“, die zwei Dünengipfel miteinander verbinden, sehen aus wie die Mauer eines Staudamms. Besonders bekannt ist die „Düne 45“, die bei Kilometer 45 des Tals den meisten Reisegesellschaften für eine Besteigung zur Verfügung steht. Nur wenige Dünen sind dafür freigegeben, und Jan hat für uns eine am Ende des Tals ausgesucht, neben „Big Daddy“ und „Big Mammy“, auf die sich die anderen Besucher stürzen. Während sie sich auf diesen beiden Dünen auf den Spuren ihrer Vorgänger aufwärts bewegen, besteigen wir den jungfräulichen Kamm einer kleineren Düne. Unser wichtigstes Ziel ist nicht die Besteigung selbst sondern die Erkundung des Lebens in der Wüste. Auf unserem Weg die Düne hinauf zeigt uns Jan eine Reihe von Tierspuren, vom Strauß über die Maus bis zum kleinen Käfer, und versucht, einen Gecko aus seinem unterirdischen Versteck auszugraben. Denn die unzähligen Insekten und Echsen der Wüste verstecken sich tagsüber tief im kühlen und feuchten Sand. Zwar zeigt sich kein Gecko, dafür aber eine Grille, die sich sofort totstellt, ein „Links-Rechts“-Käfer, der sich abwechselnd mit dem linken und rechten Hinterbein eingräbt, und diverse andere Insekten. Wir erfahren bei diesem Dünengang auch, wovon die Tiere in den Dünen leben: das sogenannte „Dünen-Müsli“ besteht aus Pflanzenresten und Samen und befindet sich in großer Menge unter der Oberfläche der Dünen. Zuweilen sieht man einzelne Halme aus dem Sand ragen, und wenn man dort etwas mit den Händen gräbt, kommen wahre Mengen dieses „Müslis“ zum Vorschein.
Die Dünen sind weit über 100 Millionen Jahre alt, und ihre rötliche Farbe stammt von dem oxydierten Eisen, das hier in Hülle und Fülle vorhanden ist. Der graue, eisenhaltige Sand ist schwerer und liegt daher vornehmlich in den Senken und am Fuß der Dünen, während der von See kommende Wind den leichteren, roten Sand zu immer neuen Gipfeln und scharfen Kämmen auftürmt.
Die Morgensonne wirft dunkle Schatten und schafft scharfe Konturen. Die östlichen Hänge leuchten in hellem Orange, die westlichen, verschatteten setzen sich dagegen durch ein dunkles Braun ab. Lang geschwungene, elegante Kammlinien verleihen den Dünen eine zeitlose Eleganz, die bisweilen geradezu nach bewusster ästhetischer Gestaltung aussieht. Eine weitere Besonderheit dieser Dünenlandschaft sind die „Dead Vleis“, Flächen aus freigelegtem Kalkgestein, das so tief reicht, dass nichts mehr auf ihnen gedeiht. Bäume, deren Wurzeln einst durch die Kalkschicht in wasserführende Schichten reichten, sind längst abgestorben und recken ihre kahlen, schwarzgrauen Äste in den blauen Himmel. Diese „Dead Vleis“ sehen ein wenig aus wie ein Wintergemälde von Breughel.
Nach der Besteigung der Düne und dem Rundgang über das „Dead Vlei“ kehren wir zum Wagen zurück und suchen uns ein schattiges Plätzchen für das verspätete Frühstück. Zum Glück herrschen heute ungewöhnlilch winterliche Temperaturen, das heißt, „nur“ 25 bis 30 Grad Celsius. So kann man angesichts des kühlen Seewindes sogar einen Pullover vertragen, anstatt unter sengender Hitze zu leiden.
Auf der Rückfahrt durch den weichen Wüstensand auf der unpräparierten Piste der „letzten fünf Kilometer“ schwimmt der Jeep des Öfteren oder wird von Bodenwellen und Löchern kräftig durchgeschüttelt. So stellt man sich die Rallye „Paris – Dakar“ vor. Es heißt, stets in Bewegung zu bleiben, denn wenn der Wagen einmal stehenbleibt, kann es schwer werden, ihn im tiefen Sand wieder in Bewegung zu setzen. Währenddessen erzählt uns Jan noch etwas über die Tiere, so über den Springbock, der ganz ohne Trinken auskommt und seinen Feuchtigkeitsbedarf über seine aufgestellten Nackenhaare aus dem Morgennebel deckt, oder über den Strauß, der am Tag bis zu 60 Kilometer läuft, um Grünzeug und Feuchtigkeit zu finden.
Nach dem Verlassen des Naturparks steigen wir noch in die wenige hundert Meter lange Sesriem-Schlucht, die sich in Jahrmillionen tief in das Gelände eingegraben hat und durch die in der Regenzeit das Wasser tobt. Heute ist hier alles knochentrocken, und Jan zeigt uns eine kleine Schlange, die äußerst giftig ist, aber in diesem Fall Zeichen eines nahenden Verendens zeigt. Hier unten weht kein Seewind, dafür scheint die Sonne pralle Sonne aus dem Zenit in die Schlucht hinein und heizt Fels wie Sand auf.
Gegen ein Uhr mittags sind wir wieder in der Lodge und verbringen den Nachmittag entspannt am Pool. Vor dem Abendessen findet dann noch der obligatorische „Sundowner“ statt. Acht Personen nehmen auf der mit Sitzbänken ausgestatteten Ladefläche eines „Pick Ups“ Platz, und Jan, unser Dünenführer vom Vormittag, fährt langsam auf holprigen Wegen durch das angrenzende Farmland, der untergehenden Sonne entgegen. Sein kleiner Hund zieht den Platz im Freien vor und begleitet uns in jagendem Lauf durch das Gelände links und rechts des Wagens. An einigen Sehenswürdigkeiten stoppt Jan, so etwa an einem Mistelbaum oder an der „Sand Paper“-Pflanze, deren Blätter rauh wie Sandpapier sind und an der Kleidung haften wie Kletten. Schließlich geht es auf einem kaum noch erkennbaren Pfad im Schritttempo einen Berg hinauf, den oben ein Kranz spitzer Felsen krönt. Während wir erwarten, dass Jan irgendwo am Hang stoppt und die Getränke auspackt, quält er sich auf einer geradezu abenteuerlichen Piste immer weiter aufwärts durch die Felsen, wobei sich der Wagen bisweilen bedenklich nach links oder rechts neigt oder auch einmal kurzfristig steckenbleibt. Doch all das kann nicht verhindern, dass er schließlich den Gipfel erreicht und dort unter freiem Himmel Sekt, Bier und einen kleinen Imbiss kredenzt. Derweil genießen wir den traumhaften Ausblick auf die weite Ebene, auf der einzelne Autos ihre lange Staubspur wie mit dem Lineal durch die Steppe ziehen, und auf die fernen Dünen der Namib-Wüste, die wir noch am Morgen besucht haben. Während sich die Sonne in sattem Orange immer tiefer über die wie Schattenrisse vor dem Horizont stehenden Bergrücken senkt, schlürfen wir ein Glas Sekt und bewundern das Naturschauspiel. Kurz nach sieben Uhr verschwindet die Sonne dann majestätisch hinter den Bergen, und schnell färbt sich der Himmel blaugrau. Wir packen zusammen, sitzen auf, und dann geht es bergab auf einer ähnlich abenteuerlichen Piste wie bei der Auffahrt. Wir erreichen die Ebene mit einem Stoßseuzer der Erleichterung, und dann benötigen wir nur noch wenige Minuten für die Rückfahrt zur Lodge.
Dort erwartet uns wieder ein ausgezeichnetes Abendessen, und anschließend fallen wir nach diesem langen Tag wie tot in die Betten. Morgen geht es weiter an die Atlantikküste nach Swakopmund.
Frank Raudszus
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