Fahrt von Swakopmund über die Spitzkuppe nach Onduruquea.
Heute steht uns eine entspannte Tour bevor: gerade einmal 220 Kilometer auf asphaltierten Straßen und ohne größere Höhenunterschiede. Deshalb brechen wir heute auch später auf, ziehen noch Geld bei einer Bank – die EC-Karte funktioniert in Namibia! – und tanken die Autos auf. Gegen zehn Uhr kehren wir dann Swakopmund endgültig den Rücken.
Die Fahrt führt uns über Arandis nach Usakos. Kurz vor diesem Ort biegt links eine Schotterpiste zur Spitzkuppe ab. Wir können dieses Felsmassiv wegen seiner markanten Form schon von weitem entdecken. Nicht umsonst heißt die Große Spitzkuppe wegen ihrer Form auch „Matterhorn von Namibia“, obwohl sie mit etwa 1.700 Metern Höhe doch deutlich kleiner als ihr Schweizer Vorbild ist. Wir wollen uns diese Sehenswürdigkeit trotz des Umweges von gut dreißig Kilometern ansehen, weil der Reiseführer sie empfiehlt und wir heute nicht unter Zeitdruck stehen.
Um sie Spitzkuppe herum ist ein kleiner Naturpark eingerichtet worden, an dessen Eingang Kinder verschiedene Steine verkaufen, die sie in der Umgebung gesammelt haben. Nach Entrichtung des Eintrittspreises nehmen wir uns einen einheimischer Führer, einen entfernten Nachkommen der Buschmänner, die hier vor zwei- bis viertausend Jahren gelebt haben. Er fährt mit uns durch das Gelände und erklärt uns die verschiedenen Pflanzen sowie die Höhlenzeichnungen, die seine Vorfahren einst an einer überhängenden Wand angebracht haben. Diese Malereien dienten weniger rituellen Zwecken als vielmehr der Kommunikation mit anderen Stämmen, denen man damit Infomationen über Wild, Gefahren – Schlangen! – und typische Landschaftsmerkmale zukommen ließ.
Die Malereien sind mit Tierblut hergestellt und mit bestimmten Pflanzensäften gegen Verwitterung „gefirnist“ worden, sodass man sie noch heute bewundern kann. Man erkennt Elefanten, Löwen und Springböcke sowie jagende oder einfach nur laufende Menschen, die auf die Richtung des eigenen Weges verwiesen. Unser Führer führt uns die Schnalz- und Klicklaute der Buschmann-Sprache vor und singt sogar ein kleines Lied in dieser Sprache, das uns einen Eindruck von dieser uralten Kultur vermittelt. Den Abschluss der Spitzkuppen-Erkundung bildet die Besteigung eines rundgeschliffenen Felsens des Massivs, der sich wegen seiner geradezu künstlerischen Erosionsgebilde hervorragend als Foto-Objekt eignet und darüber hinaus auch eine gewisse Körperbeherrschung und Trittsicherheit erfordert. Bevor wir unseren Weg fortsetzen, trinken wir in dem eher kargen Restaurant des Parks noch ein Wasser und kaufen den Kindern am Eingang noch einige Steine ab. Dann geht es auf der Schotterpiste zurück zur Hauptstraße. Über Usakos und Karibib führt uns unser Weg weiter Richtung Omaruru.
Knapp dreißig Kilometer vor Omaruru haben wir unser heutiges Tagesziel erreicht. Am Straßenrand erscheint ein Schild mit der Aufschrift „Onduruquea Guesthouse“, und dahinter empfängt uns ein idyllisches Anwesen. Die Farm gehört einem Deutschen, die Familie Sibold betreibt lediglich die Lodge und bewirtet dort täglich zwischen zwölf und fündfzehn Gästen. Die gepflegte Anlage beherbergt das Haupthaus mit Essraum und Wohnung der Familie, einen Grillplatz, auf dem das abendliche Fleisch zubereitet wird, ein Schwimmbad mit überdachtem(!) Liegebereich sowie einige reetgedeckte Bungalows, die jeweils zwei moderne Doppelzimmer enthalten. Die Sibolds sprechen nicht nur fließend Deutsch, als seien sie erst gestern nach Namibia eingewandert, sondern bemühen sich auch um einen engen Kontakt zu den Gästen, erzählen beim Abendessen und Frühstück viel über Namibia und fragen uns über Deutschland aus. Das Interesse der „Namibia-Deutschen“ an ihrem Ursprungsland ist nach wie vor ungebrochen. Die Deutschen genießen in ganz Namibia – nicht nur bei den Weißen – einen sehr guten Ruf.
Während der abendlichen „Sundowner“-Tour über die Farm erklärt uns Marco, der fünfzehnjährige Sohn der Familie, die Farm und ihre Fauna. Die Farm umfasst eine Fläche von 15.000 (fünfzehntausend!) Hektar, was – bei Annahme einer quadratischen Struktur – einer Kantenlänge von 122 Hektar oder zwölf Kilomtern entspricht. Hier wächst vor allem die Kerzen-Akazie, und im November/Dezember führen Trockengewitter zu Flächenbränden. Hier lernen wir auch die Termitentürme aus der Nähe kennen, die wir auf der Herfahrt so oft links und rechts des Weges gesehen haben. Die roten Erdaufhäufungen mit phallischem Charakter werden bis zu drei Meter hoch und befinden sich bevorzugt neben Bäumen. Dabei ist nicht ganz klar, ob der Baum die Feuchtigkeit der Termitenbauten nutzt oder diese den Baum seiner Lebensgrundlagen berauben. Manchmal sieht man einen grünen Baum in friedlicher Koexistenz mit einem Termitenhügel, oft aber auch graue, abgestorbene Baumstümpfe, die aus einem Termitenhügel ragen. An verschiedenen speziellen Bäumen vorbei geht es zu dem Giraffenfriedhof, zu dem die Todesahnung die alten Giraffen treibt. Von den Tieren bleibt nur das Gerippe, den Rest entsorgt die Natur in Gestalt von Hyänen, Schakalen und Raubvögeln in kürzester Zeit.
Höhepunkt dieser über einstündigen Rundfahrt über das weiträumige Farmgelände ist ein Zusammentreffen mit einer Herde von vier Giraffen, die sich dicht neben unserem Weg von Busch zu Busch fressen. Doch auch hier wehrt sich die Natur gegen Kahlfraß, wie uns Marco erklärt. Wenn die Büsche binnen kurzer Zeit zuviel ihrer Blätter einbüßen, sondern sie eine übelschmeckende Substanz ab, die die Giraffe bald zum nächsten Busch treibt. Doch die Büsche senden die Botschaft des drohenden Kahlfraßes über ein eigenes Kommunikationssystem an die Nachbarbüsche weiter, sodass eine lokale Überäsung der Buschlandschaft vermieden wird. Das bedeutet für die Giraffen natürlich täglich lange Wege, um sich an schmackhaftem Grün sattzuessen.
Unmittelbar neben der Lodge, nur durch eine niedrige Mauer von ihr getrennt liegt ein Wildpark mit eigenem Wasserloch. So kann man sich auf die Bank vor dem Bungalow setzen und die wilden Tiere beim Trinken beobachten. Noch waren wir nicht in Etosha, und so ist dieses Erlebnis bereits ein kleiner Höhepunkt für uns. Nacheinander ziehen Springböcke, Oryx-Antilopen oder die großen Kudus zum Wasserloch. Dazwischen wuseln die kleinen und flinken Warzenschweine, die jedoch gar nicht so lustig sind wie sie aussehen und selbst den anderen Tieren Respekt einflößen. Die Tiere haben sich auch an die künstliche Beleuchtung des Wasserlochs am Abend gewöhnt, sodass man sie auch nach Einbruch der Dunkelheit noch beobachten kann. Da hier jedoch keine Besuchermassen durchziehen, sind die Tiere noch ziemlich scheu und halten Abstand zu der Mauer und den Häusern der Lodge.
Abends brutzeln auf dem Grill im Freien Zebra- und Kudu-Steaks, und das Feuer des Grills verbreitet ein warmes Licht und eine angenehme Atmosphäre. So wünscht man sich den Abschluss eines Tages: der Blick ins Feuer, ein Glas Rotwein in der Hand und anschließend das zarte, würzige Fleisch des afrikanischen Wilds.
Heute haben wir eine Ahnung vom Wildreichtum Namibias gewonnen; morgen geht es weiter nach Etosha, wo wir wohl Wild im Überfluss zu sehen bekommen werden.
Frank Raudszus
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