Ironischer Roman über eine Dreierbeziehung von Geld und Literatur.
Schon kurz nach der Lehman-Pleite schossen die Bücher über dieses Thema wie Pilze aus dem Boden: erst die mehr oder minder fundierten fachlichen Erklärungen aus berufenen und weniger berufenen Federn, dann die Entrüstungsliteratur, die sich an jedes spektakuläre Disaster anhängt. Da atmet man jedesmal entspannt auf, wenn man unversehens an ein Buch gerät, das sich diesem Thema durchaus kritisch aber auch humorvoll und ironisch nähert – und sich dabei noch richtig gut lesen lässt. Kristof Magnusson ist dies mit dem vorliegenden Buch gelungen, obwohl es das Pech hat, nahezu gleichzeitig mit der Hegemannschen Apokalypse zu erscheinen. Magnusson kann weder mit Starksprache noch mit den Tief- und Feuchtgebieten der menschlichen Natur oder gar mit Textadaptionen aufwarten. Hoffen wir also, dass er mit seiner „herkömmlichen“ Art des Schreibens dennoch die ihm zukommende Zahl von Lesern findet.
Die Stärke dieses Buchs liegt nicht zuletzt in seiner Beschränkung hinsichtlich Personal, Zeit und Ort. Der Autor hält sich weitgehend an die aristotelischen Regeln und siedelt die Handlung innerhalb weniger Tage irgendwann im Jahr 2008 in Chikago und Hamburg an. In der deutschen Hafen- und Hansestadt lebt die freie Übersetzerin Meike in einem Umfeld – oder besser „Ambiente“ -, dessen Vertreter sich über die Vorzüge von Himalaja-Salz unterhalten, Designer-Salzstreuer benutzen und das perfekte weil politisch korrekte Familienleben auf der Stirn tragen. Dieser Perfektion überdrüssig verlässt sie Hals über Kopf ihren Partner und bezieht ein heruntergekommenes Haus am Deich in einem einsamen Dorf an der Nordseeküste.
Sie hat es mit Glück und Chuzpe geschafft, die Bücher des erfolgreichen US-Autors Henry LaMarck für einen deutschen Verlag zu übersetzen, und wartet nun auf dessen bereits angekündigten Jahrhundertroman über „9/11“, um ihr neues Domizil bezahlen zu können. Als sie von ihrem Verlag hört, dass der Autor verschwunden sei und kein Manuskript geliefert habe, fliegt sie kurzentschlossen von ihrem letzten Geld nach Chikago, um den Autor persönlich zu finden und ihm das für sie lebenswichtige Manuskript zu „entringen“.
Dieser, bereits um die sechzig, sitzt derzeit inkognito in einem Hotel in Chikago, wohin er sich vor den Nachfragen seines Verlages gerettet hat, weil er von besagtem Roman (noch) keine Zeile geschrieben hat. Irgendwann hat er in einer Talkshow angesichts eines seine eigenen Talente herausstellenden Gastes etwas über einen „09/11“-Ropman gemurmelt und konnte sich von dieser „Ankündigung“ nicht mehr befreien. Neben verschiedenen Ärgernissen plagt ihn auch die Pedanterie seiner deutschen Übersetzerin, die ihn in einem Brief auf verschiedene sachliche Unstimmigkeiten in seinem letzten Buch hingewiesen hat und damit nicht nur seine Ego angekratzt sondern auch sein Bild von der deutschen Überkorrektheit gefestigt hat. Zudem hat ihn vor einiger Zeit sein langjähriger Lebensgefährte verlassen, was nicht gerade Kreatitivität und Schaffensdrang fördert.
Dritter in diesem noch sehr lockeren Bunde ist der junge Jasper aus Deutschland, der es in einer Chikagoer Investmentbank dank Beharrlichkeit und Zusatzschulungen vom langweiligen – und von den Händlern verachteten – „Back Office“ in den Händlersaal geschafft hat. Statt den Händlern aus dem Kontrollraum auf die gierigen Hände zu schauen, sitzt er jetzt selbst dort und träumt von der großen Karriere und dem Rieseneinkommen. Beim Gang durch die Räume entdeckt er einen Zeitungsausschnitt, der ein Foto mit seinem übermüdeten Gesicht im Vordergrund und einer ungünstigen Kursentwicklung im Hintergrund zeigt, und reißt ihn kurzerhand ab.
Während Meike im Flugzeug nach Chikago sitzt, stößt Henry bei der Zeitungslektüre zufällig auf ein Foto eines entgeisterten jungen Börsenhändlers vor stürzenden Bankenkursen. Dieses Foto inspiriert ihn plötzlich zu literarischen Überlegungen und weckt Ideen zu einem Roman über die Börsen- und Bankenwelt. Um sich mehr Informationen zu verschaffen, recherchiert er den Ort der Fotoaufnahme und kommt schnell auf den Händlersaal der besagten Bank. Da diese in der Nähe seines bevorzugten Clubs liegt, schlendert er gegen Mittag an der Bank vorbei und sieht tatsächlich eben diesen Jung-Banker aus dem Hause kommen und dem nächsten „In“-Restaurant zustreben. Natürlich folgt er ihm, und es gelingt ihm nach einiger Zeit auch, mit Jasper – wer sonst ist es? – ins Gespräch zu kommen.
Im selben Restaurant, aber zu einer anderen Zeit, kommt Meike ebenfalls mit Jasper ins Gespräch, nachdem sie sich vor der Chikago-Kälte dorthin gerettet hat. Als (links-) intellektuelle Literatin findet sie diesen jungen Banker natürlich fürchterlich fad und versucht, sich dem Gespräch möglichst bald zu entziehen. Doch Jasper, der in seinem 16-Stunden-Tag im Händlersaal zum Mönch geworden ist, findet durchaus Gefallen an der kühlen Norddeutschen. Natürlich trifft man sich – nolens volens – wieder, weil Meike weder über Geld noch Ortskenntnisse verfügt und Jasper seine knappe Freizeit hauptsächlich hier verbringt. Eine gewisse Beziehung entsteht auch dadurch, dass Jasper der ziemlich abgebrannten Meike sein Handy – natürlich „Blackberry“! – zur Verfügung stellt und dadurch weitere Kontakte ermöglicht.
Doch auch Henry hat die junge Frau entdeckt, die um seinen Club herumstreicht, den er in seinen Romanen so detailliert beschrieben hat, und vermutet eine Vertreterin seines Verlages in ihr. Damit ist der Grundstein für ein gewisses Misstrauen gegeben, das in der Vermeidung eines persönlichen Zusammentreffens mündet. Da er aber mittlerweile – anscheinend auch erotisch – einen Narren an Jasper gefressen und ihn zwecks engerer Bindung bereits beim ersten Gespräch kurzerhand zu seinem Bankberater gemacht hat, sucht er weitere Treffen. Damit setzt eine groteske Verfolgungsjagd ein, in der Jasper Meike, diese Henry und letzterer Jasper zu treffen hofft. Dabei stört der bzw. die jeweilige Dritte natürlich nur.
Der Bezug zur aktuellen Bankenkrise kommt dadurch zustande, dass Jasper in seinem Übereifer seine Kompetenzen überschreitet und sich auf den lukrativen Markt der „Sub-Primes“ begibt. Anfangs bügelt er mit seinen Softwarekenntnisse nur aus Großzügigkeit kleinere aber peinliche Fehler seiner neuen Kollegen aus, um ihre Anerkennung und Sympathie zu gewinnen, dann nutzt er seine speziellen Kenntnisse und gewisse Lücken im System, um im großen Stil zu spekulieren. Wie bei Nick Leeson oder Jerome Kerviel beginnt es mit kleineren Geschäften, die Verluste einbringen. Frei nach der alten Roulette-Regel, dass man Verluste nur durch Verdopplung des Einsatzes wettmachen kann, steigert er sein Engagement sehr schnell in ungeahnte Höhen, und der Leser ahnt, wo dies enden muss. Als auch Jasper die Unabwendbarkeit der nahenden Katastrophe sieht, steigt er ins nächste Flugzeug nach Deutschland, um sich dort zu verstecken. Doch auch Meike muss mangels Geld und Erfolg zurück nach Deutschland und kommt dort nur kurz vor Jasper an.
Und wer kommt als Dritter nach Deutschland und warum? Das wollen wir hier nicht verraten, sondern den potentiellen Lesern noch ein wenig Spannung lassen. Auf jeden Fall kommt es noch zu einem „Showdown“ mit augenzwinkerndem „Happy End“; doch wie das alles zustandekommt und warum zum Schluss noch manches Vorurteil fällt, sollte jeder selber nachlesen.
Magnusson teilt das Buch in drei Erzählstränge auf, bei dem die drei Protagonisten die Ereignisse jeweils in „Ich“-Form aus ihrer subjektiven Sicht schildern. Die Überlagerung der verschiedenen Perspektiven auf ein und dasselbe Handlungselement legt dabei typische Missverständnisse frei und führt zu objektiv grotesken Situationen. Magnusson schreibt schnörkellos aber nicht übertrieben puristisch. Sein flüssiger und spannender Stil macht das Lesen zu einem wahren Spaß, und die – bisweilen gar nicht so leise – Ironie verstärkt die Lesefreude noch.
Das Buch ist im Verlag Antje Kunstmann erschienen, umfasst 283 Seiten und kostet 19,90 €.
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