Übersetzungen von Theaterstücken aus einer in eine andere Sprache bringen so ihre Schwierigkeiten mit sich, vor allem, wenn es sich um Komödien von so kreativen Sprachkünstlern wie Oscar Wilde dreht. Dessen Stücke stecken voller Wortspiele, die ihre komödiantische Kraft am stärksten in der Muttersprache entfalten, hier dem Englischen. Eine Übersetzung kann diese Wortspiele dabei nur in Grenzen transportieren, auch wenn man sich noch so sehr bemüht. Das beginnt schon mit dem Titel des hier vorliegenden Stückes, der im Englischen „The Importance of being Ernest“ lautet. Abgesehen davon, dass sich der deutsche Titel nicht am Originaltitel orientiert, was wohl auch schwerfällig und missverständlich wirken würde, verschiebt sich seine Bedeutung von “ der Wichtigkeit, (E/e)rnst zu sein“ in Richtung zu der Bedeutung des Ernstes. Eine vielleicht geringfügige Verschiebung, die aber das Dilemma bei der Übersetzung wortspiel-gesättigter Theaterstücke aufzeigt. Im Laufe von Wildes Komödie häufen sich denn auch die Wortspiele, die man zwar versteht, von denen man jedoch zwecks Vergleich gern die Originalversionen hören würde, um den Witz in seiner ganzen Fülle zu verstehen.
Wie dem auch sei: es reicht auch in der deutschen Sprache immer noch zu einem Feuerwerk von Geistesblitzen und Sprachspielereien, die dem Publikum einen vergnüglichen Abend bereiten. Und eins sei auch gleich gesagt: deutlich kommt auch in diesem Stück Wildes homoerotische Neigung zum Ausdruck, obwohl sich die Handlung vordergründig um eine konventionelle hetero-erotische Dreifachhochzeit dreht. Gleich zu Beginn zeigt die Szene zwischen John (Lucas Gregorowicz) und Algernon (Johannes Zirner) einen deutlich homosexuell angehauchten „Algie“, wie sich letzterer bezeichnenderweise nennen lässt. Alle Ingredienzien des Scwulenklischees vom Seiden-Morgenrock bis zum Naschen mit den Fingerspitzen deuten sich bei Johannes Zirner an – wenn auch in gemäßigter Form. Am Schluss dann begrüßen sich die unerwartet zu Brüdern avancierten jungen Männer gegenseitig mit einem langen Kuss, der Johns Braut Gwendolen zu der Bemerkung veranlasst, diese Verirrung sei hoffentlich die letzte ihrer Art gewesen. Zwischen diesen beiden Szenen spielt sich eine vordergründig konventionelle Handlung ab, die ihren ganzen Witz aus den Bemerkungen über gesellschaftliche Zustände und bürgerliche Eitelkeiten bezieht.
John wohnt mit seinem jungen Mündel Cecily und der Haushälterin Miss Prism auf dem Lande. Seine „Lustreisen“ nach London, wo er mit „Algie“ die Gesellschaft unsicher macht und auch gerne in guten Restaurants die Zeche offen stehen lässt, begründet er mit seinem angeblichen Bruder Ernst, der als „schwarzes Schaf“ der Familie von einer Fehltritt zum nächsten stolpere und unbedingt Johns finanzieller wie moralischer Unterstützung bedürfe. Algie wiederum sitzt in London unter den scharfen Augen seiner Tante Lady Bracknell und hat sich deswegen einen alten Freund namens Bunbury erschaffen, den er wegen dessen labiler Gesundheit öfter auf dem Lande besuchen muss. John hat sich seinerseits in Lady Bracknells Tochter Gwendolen verliebt und möchte sie gerne zum Traualtar führen. Als er dank üppiger finanzieller Ausstattung trotz sehr fragwürdiger Abstammung das Jawort der schließlich zum Geld mehr drängenden als am Titel hängenden – ach, die Arme – Lady erwirkt, muss er zu seinem Schrecken feststellen, dass sich Gwendolen vor allem in seinen – natürlich falschen – Namen Ernst verliebt ist. Die Metapher hier lautet: die Mädchen verlieben sich nur in „ernst“hafte Männer, die jedoch geben diese Eigenschaft nur vor. Johns Entschluss, Ernst bei seinen eigenen Verwandten sterben zu lassen, um sich dann umtaufen zu lassen, soll das Dilemma auflösen, doch da sei Algie davor. Dieser erscheint plötzlich quicklebendig auf Johns Landsitz als sein Bruder Ernst und gewinnt im Sturm Cecilys Herz, die schon immer von diesem „verruchten“ Bruder geträumt hat. Als dann noch beide jungen Frauen dazu stoßen, um jeweils „ihren“ Ernst in die Arme zu schließen, beginnt die übliche Komödie aus Verwechslungen und Missverständnissen, bis es am Ende doch zum allseitigen Happy End kommt, und zwar ohne den „Ernst“ der bürgerlichen viktorianischen Gesellschaft. Will sagen, jeder kann nach eigener Facon glücklich werden, was jedoch auf den Autor nicht zutraf…….
Oscar Wilde nutzt das vorgegebene Handlungsgerüst zu so bissigen wie treffenden Seitenhieben auf die Doppelmoral und die Konventionen der viktorianischen Gesellschaft. John und Algernon kommen als zwei parasitäre Nichtsnutze daher, die vom ererbten Geld mehr oder minder gut leben und keiner geregelten Tätigkeit nachgehen. Letzterer Umstand scheint Lady Bracknell, der Vertreterin der tonangebenden Schicht, am wenigsten zu stören. Für sie zählen nur Haben und Herkunft, in dieser Reihenfolge. Ansonsten vertritt sie die verkrustete Kleinbürgermoral des Großbürgertums mit außerordentlicher Zielstrebigkeit und praktischer Intelligenz. Ihre Tochter Gwendolen ist ihr Faustpfand für eine angemessene Stellung in der Gesellschaft, folglich hat diese nichts zu sagen. Mit eiserner Hand und wie Peitschenhiebe fallenden Bemerkungen regiert sie ihr kleines Königreich und weiß genau, dass niemand der Welt der Konventionen entrinnen kann. Auch Johns und Algies jugendliche Aufmüpfigkeit und scheinbarer Nonkonformismus finden schnell ihr Ende, wenn die erotischen Wünsche oder das Wohlleben gefährdet sind. Doch bei diesen beiden Rollen spürt man immer eine gewisse Sympathie des Autors für ihre Allüren, waren es doch teilweise seine eigenen. Was bei John und Algernon das jugendliche Drauflosleben ohne Rücksicht auf Konventionen, ist bei ihm seine Außenseiterrolle aufgrund seiner homoerotischen Neigung und der Überbetonung des Ästhetischen. Gerade Wildes unbestechliches Auge für die geradezu groteske Selbstgefälligkeit und den aufgetakelten Dünkel der englischen Oberschicht macht ihn zum Außenseiter; da braucht es keine vom Normalmaß abweichende erotische Neigungen mehr. Und dieses unbestechliche Auge schlägt sich in satirischen Bemerkungen und entlarvenden Wortspielen nieder, die nahezu den Charakter einer Gesellschaftsanalyse tragen.
Die Regie hat das viktorianische Ambiente in aller Ironie wiedererstehen lassen. Das beginnt bei dem „echt englischen“ Herrenzimmer mit ehrwürdiger -aufgemalter – Bibliothek und endet bei dem großzügigen englischen Landhaus mit Galerie und grünem Garten. Den Umbau von Stadtwohnung in Landhaus überbrückt übrigens Lady Bracknell alias Andreja Schneider mit einem kleinen Couplet vom fernsehergroßen „Seitenbühnchen“. In das frivole Liedchen mischt sie kräftig kleine Frechheiten gegenüber dem Publikum und spart auch nach dem Schlussvers nicht mit Sottisen und Anzüglichkeiten gegenüber fiktiven Besuchern. So kann man einen Bühnenumbau auch leicht und locker überspielen!
Das Ensemble fühlt sich in dieser intelligenten Komödie offensichtlich wohl, allen voran die Frauen. Wie gerade in solchen Lustspielen üblich, eignen sich vor allem die Frauenrollen für das Ausspielen komödiantischer Talente, zeichnen sie sich doch meist durch Emotionalität und innere Widersprüche aus, während die Männer leider mit eher gemäßigten, weil dem männlichen Rollenverständnis angemessenen „rationalen“ Charakteren auskommen müssen. Anna Thalbach als Gwendolen und Andreja Schneider nutzen diese Chance in ihrem Zusammenspiel als Mutter und Tochter nach allen Regeln der Kunst aus: erstere als selbstbewusst-erotische Tochter, letztere als herrschsüchtige und geldgierige Mutter. Karina Krawczyk gibt eine gewitzte „Cecily vom Lande“, die schnell lernt, wo der Bartel den Most holt, und Peggy Lukac spielt Miss Prism als fast vertrocknete und doch stets hoffnungsvolle Jungfer, die unbedingt Frau Pfarrer werden möchte. Lukas Gregorowicz und Johannes Zirner sind als die „losen Brüder“ – im wahrsten Sinne des Wortes – John Worthing und Algernon Moncrieff blind aufeinander eingespielt und liefern unter anderem ein herrlich groteskes Duell mit Spazierstöcken und Tennisschlägern ab, Holger Kunkel gibt einen leicht bigotten und dem Weiblichen gegenüber nicht unbedingt standfesten Reverend Chasuble, und Richard Barenberg schließlich muss sich gleich in vier Rollen teilen, unter anderem ein junges Hausmädchen, was immer einen Extralacher wert ist.
Das Publikum im ausverkauften Haus war begeistert und dankte dem Ensemble mit herzlichem Beifall.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Thomas Grünholz
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