Nichts als Theater…..

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Rossinis „Barbier von Sevilla“ im Staatstheater Darmstadt.

Die polarisierten Reaktionen des Premierenpublikums – und hier zäumen wir das Rezensionspferd ausnahmsweise einmal vom Schwanz auf – führen zwangsläufig zu einigen grundsätzlichen Überlegungen. Natürlich könnten Puristen fragen, warum man diese Oper überhaupt noch aufführen sollte. Kann man sie heute noch als nettes Lustspiel über die Eitelkeiten der Großbürger und die Schläue des gemeinen Volkes präsentieren? Wohl nicht, denn dazu ist die Handlung zu trivial. Lässt sich Gesellschaftskritik daran festmachen? Wohl kaum, wenn ein begüterter Adliger dem ebenfalls nicht armen Bürger das Mädchen ausspannt. Und daraus eine dramatische Oper über die Fremdbestimmung und Unterdrückung der Frau zu zimmern, dürfte an den Haaren herbeigezogen sein. Dann bliebe also nur der Verzicht, womit jedoch der intellektuelle Hochmut gegenüber der Opernliteratur gesiegt hätte. Denn wenn die Werke der Vergangenheit nur noch auf ihre heutige Aussagekraft hin gewogen – und für zu leicht befunden – würden, dürfte das gesamte Repertoire sehr schnell schrumpfen. Nur wenige Werke drücken eine zeitlose, will sagen ewige Wahrheit aus. Was bleibt also einem Regisseur, der dieses so beliebte (sic!) Stück doch auf den Spielplan bringen will, anderes als die Groteske, die konsequente Übertreibung des Lächerlichen, um jeden Anschein einer affirmativen Beschäftigung mit diesem Trivialstoff zu vermeiden.

Andreas Wagner (Almaviva), Werner Volker Meyer (Figaro) und Hans Christoph Begemann (Don Bartolo)

Andreas Wagner (Almaviva), Werner Volker Meyer (Figaro) und Hans Christoph Begemann (Don Bartolo)

Regisseur Philipp Kochheim geht diesen Weg, und er geht ihn von Anfang an konsequent. Wenn bei Figaros (Volker Werner Meyer) erstem Auftritt zwei junge Frauen im Publikum anfangen, den Sänger zu fotografieren und sogar ein Transparent zu entfalten, denkt der naive Zuschauer an übereifrige Fans, und so vernimmt man auch Zischen und ähnlich disziplinierende Geräusche. Die beiden Mädchen jedoch, die der Sänger noch mit einer Handbewegung zu mäßigen versucht, stürzen auf die Bühne und bitten ihn um ein Autogramm. Eklat? Mitnichten, alles als Ironisierung des Theaters eingeplant! Schon zu Beginn bricht Kochheim die Fiktion der Geschichte auf und entlarvt sie als bloßes Theater. Nehmt das nur nicht ernst, scheint Volker Werner Meyer (nicht Figaro!) zu sagen. Das setzt sich fort, wenn Meyer im weiteren Verlauf des Stücks ungeniert große Poster von sich selbst auf die Bühne stellt – sogar mit dem Hinweis auf „Il Barbiere di Siviglia“ – und damit sozusagen aus dem Stück heraustritt. Diese Selbstreferenz des Theaters steigert sich noch zum Ende des ersten Aktes, wenn im allgemeinen Tumult der Auseinandersetzung zwischen Bartolo, Almaviva und Figaro plötzlich der Chor als Wache auf den Plan tritt. Die angeblichen Wachsoldaten entpuppen sich jedoch ziemlich schnell als – schwarz gekleidete – Regisseure, die sich, von einem perfekt gedoubelten Intendanten John Dew gravitätisch eingewiesen, umgehend mit den Darstellern anlegen. Während sie sich bei Rossini stückimmanent mit dem Streit der drei Protagonisten beschäftigen, lesen sie hier den Darstellern wegen angeblich falschen Spiels die Leviten und geraten sich dabei gleich untereinander in die Haare. Und wenn Almaviva dem Offizier mit dem Hinweis auf seine adlige Abkunft den Wind aus den Segeln nimmt, greifen hier die Schauspieler zur Selbsthilfe und werfen die ganze Regie-Bagage zum Abschluss des ersten Aktes von der Bühne. Das ist natürlich Selbstironie pur und wendet das fiktive Spektakel in ein theatralisches.

Hans Christoph Begemann und Susanne Sommer (Rosina)

Hans Christoph Begemann und Susanne Sommer (Rosina)

Allerdings treibt Kochheim es bisweilen zu bunt. Wenn der etwas unbeholfene Almaviva (Andreas Wagner) Figaro für dessen Vermittlungs- und Vertuschungsdienste bezahlt, holt er die benötigten Devisen aus einem menschlichen Geldautomaten. Dass dieser daneben auch noch Goldbarren und sogar ein Portrait der Mona Lisa herausrücken muss, mag noch angehen, aber bei Kochheim muss es auch noch eine Rakete und ein ganzes Schwein sein. Und wenn Rosina einsam im verschlossenen Käfig sitzt und kein Retter in sicht ist, kommen zwei überlebensgroße Ratten und tanzen als „Lückenfüller“ mit Stock und Schirm zur Zwischenmusik. Jeder Gag wird auf diese Weise überdreht, doch scheint darin System zu stecken: Witz und Slapstick reichem dem Regisseur nicht, die Witze müssen sich sozusagen „totlaufen“, um ihren Zweck zu erfüllen. Das kann natürlich auf die Dauer etwas ermüdend wirken, so wenn Bartolo vor Müdigkeit mit dem Kopf in seine eigenen Spaghetti fällt oder sich zwischendurch in Ermangelung der blonden Rosina mit einer Gummipuppe vergnügt. Überhaupt Rosina: sie mutiert in dieser Inszenierung zu einem Kanarienvogel – gelbe Perücke und gelbes Kleid – und hält sich meist in einem großen Käfig auf, in dem sie Bartolo zur Not auch mal einschließt. Und wenn sie mal „frei“ hat, gibt sie sich im – gelben – Jogginganzug Gymnastikübungen hin. Don Basilio, der intrigante Musiklehrer, tritt wie ein Schwarzwälder Kuckuck mit Vorliebe aus der obersten Tür eines großen Schrankes, und die Haushälterin Berta (Andrea Bogner) kommt als Zigarre rauchende und „schnüffelnde“ Nymphomanin daher. Niemand in dieser Personnage ist normal: Graf Almaviva ist ein ziemlicher Schwachkopf, der alleine nichts hinbekommt, und Figaro ist ein aufgeblasener und eitler wenn auch mit allen Wassern gewaschener Geck. Mal tritt er in morgenländischer Robe mit zwei Wilden im Lendenschurz als Sänftenträger auf, mal im engen schwarzen Lederanzug. Sein einziger Lebensinhalt ist das Raffen von Geld und Gut, aber damit liegt er ja nicht weit ab von der Realität.

Wie gesagt, die Handlung spielt in dieser Inszenierung keine so wesentliche Rolle. Irgendwie kommt sie trotz der hanebüchenen Einfälle der ursprünglichen Librettisten voran, sodass sich Almaviva und Rosina zum Schluss kriegen und Bartolo düpiert herumsteht, aber das spielt keine große Rolle. Die Entlarvung der Trivialität und die Aufhebung der fiktiven Realität durch die bewusst eingestreuten selbstreferenziellen Brüche bilden den Schwerpunkt dieser Inszenierung. Dass dies nicht allen Besuchern behagt, war vorauszusehen. Wer hier eine lustig erzählte Geschichte über Liebeshändel und Verwirrungen erwartet hatte, war am falschen Platz.

Hans Christoph Begemann und Andrea Bogner (Berta)

Hans Christoph Begemann und Andrea Bogner (Berta)

Die musikalische Ausprägung passt durchaus zu der Inszenierung. Statt pompöser oder feuriger Klänge, die dem ganzen einen Schein der Ernsthaftigkeit hätten verleihen können, bietet das Orchester unter der Leitung von Timor Oliver Chadik eher kammermusikalische Kost. Leicht und transparent, ja beinahe ironisch kommt die Musik daher und unterstreicht damit die Ironie der Bühne. Leider leidet dadurch etwas die musikalische Spannung. Schließlich ist die Musik auf eine durchaus vordergründige, „schmissige“ Wirkung angelegt; außerdem klappte es nicht immer mit der Synchronisation zwischen Orchester und Sängern, aber diese Unebenheiten hielten sich in Grenzen.

Die Darsteller selbst schienen mit viel Spaß bei der Sache zu sein. Vor allem Werner Volker Meyer fühlt sich in der Rolle des Figaro sichtlich wohl und bringt das sowohl schauspielerisch wie auch stimmlich voll zum Ausdruck. Hans-Christoph Begemann steht ihm als geziert-tumber Bartolo in nichts nach und kann hier seine ganze humoristische Begabung und seinen kraftvollen Bariton ausspielen. Andreas Wagner kann sich in der etwas weniger spektakulären Rolle des Grafen Almaviva schauspielerisch nicht ganz so in Szene setzen, überzeugt jedoch durch gute Gesangsleistung. Susanne Sommer muss zwar als „Ausstellungsstück“ Rosina die meiste Zeit im Käfig verbringen, wenn sie dann aber einmal Ausgang zum Auftritt erhält, ist sie sofort präsent und zeigt auch ansprechende darstellerische Fähigkeiten. Andrea Bogner erntete als „ausgeflippte“ Haushälterin viele Extralacher, ähnliches gilt für Friedemann Kunder als Don Basilio und Bruce Hunter als Diener Fiorello.

Bühnenbild und Kostüme bilden in dieser Interpretation einen offensichtlich gewollten Gegensatz. Während die Kostüme nahezu durchgehend, bis auf „John Dew“, die „Regisseure“ – der Chor – und Fiorello, ins 18. Jahrhundert verweisen, zeigt die abstrakte Architektur eher postmoderne Züge, mit ironischen Beigaben an allen Ecken und Enden. So eine Badewanne hoch an der Bühnenrückwand, einer frühen Rohrpost in die Kulissen und dem bereits erwähnten menschlichen „Geldautomaten“.

Alles in Allem eine in ihrer konsequenten Ausrichtung durchaus polarisierende lnszenierung, die am Schluss stürmischen Beifall für die Darsteller erhielt. Bei der Regie jedoch schieden sich die Geister: vielen begeisterten „Bravos“ standen mindestens ebenso viele empörte „Buhs“ gegenüber. Schon diese Polarisierung wird sicher das Interesse des breiten Publikums wecken.

Frank Raudszus

Alle Bilder © Barbara Aumüller

 

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