Werner Schwabs „Präsidentinnen“ in der Werkstatt des Staatstheaters Darmstadt.
Die fäkale Seite des Lebens hat die Menschen schon immer fasziniert, gerade weil sie – wie auch bei den mit den Hinterbeinen kratzenden Tiere – diesen Bereich tabuisieren. Vom Kleinkind bis zum Dichter – etwa Günther Grass – zieht sich die intensive verbale Beschäftigung mit den „schmutzigen Wörtern“ und den damit bezeichneten unappetitlichen Vorgängen des Daseins. Werner Schwab (1958-94), österreichischer Dramatiker und „enfant terrible“ der frühen Neunziger, hat gerade tabuisierte Themen in provozierender Weise aufgegriffen und auf die Bühne gebracht. Zum Theaterskandal hat es in der abgebrühten Welt des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht mehr gereicht, aber doch zu Aufsehen.
In „Präsidentinnen“ – schon der Titel ist ein einziger Witz – treffen sich drei vom Leben ausgesonderte Frauen: die immer noch lebenshungrige Grete (Franziska Sörensen), die bigott-verklemmte Erna (Gabriele Drechsel) und die schüchterne Mariedl (Melanie Nawroth). Die drei sitzen am Küchentisch und schwadronieren über das Leben und ihre Einsamkeit. Gretes Tochter, einst vom Vater sexuell missbraucht, ist nach Australien ausgewandert und lässt nichts mehr von sich hören, Ernas Sohn wohnt immer noch bei ihr und schwemmt den Frust über sein Vertreter-Dasein mit Schnaps weg. Mariedl, die jüngste, hat keine Kinder und ist stattdessen einer penetranten Frömmelei verfallen. Alle drei haben die unterste soziale Stufe nie verlassen, Erna ist Putzfrau und Mariedl säubert Aborte. Da sie mit den beiden Älteren an Lebenserfahrung und verbalen Fähigkeiten nicht mithalten kann und obendrein von den beiden beim Kartenspielen ständig übervorteilt wird, sucht sie Anerkennung mit dem Einzigen, was sie besser kann als andere: Aborte ohne Gummihandschuhe mit den bloßen Händen reinigen. Mit wachsender Begeisterung erzählt sie in jeder Gesprächspause von ihren Erfolgen und dem Lob ihrer Mitmenschen, während die anderen beiden sich über ihre Kinder auslassen und anschließend in einen handfesten Streit geraten, der – wie üblich – mit Tätlichkeiten ausgetragen und mit Alkohol beigelegt wird.
Bei der „Versöhnungsfeier“ verfallen alle drei in Tagträumereien: Grete sieht bei einem imaginären Volksfest einen feschen Musiker mit Landgut um ihre Hand anhalten und sich bereits als Gutsherrin; Erna, die auf ihrem neuen Fernseher mit Vorliebe den Papst sieht, platziert auf dieses Volksfest den Metzger Wottila (sic!), den sie heimlich verehrt, und träumt sich ebenfalls in einen allerdings wesentlich sittsameren Heiratsantrag als bei der prallen Grete hinein; Mariedl schließlich träumt von einer besonderen Aktion des Pfarrers, der leckere Dinge tief in der Kloschüssel versteckt, wo Mariedl sie herausfischen und sich dazu das Lob der Gemeinde abholen kann.
Doch mit ihrem imaginierten sozialen Aufstieg distanzieren die beiden Anderen sich zusehends von der „Scheißhaus“-Mariedl, von ihrem kleinen Geist und ihrer nervtötenden Frömmelei. Selbst auf der untersten Stufe, wo sich alle im gleichen Elend zu treffen scheinen, bauen sie flugs künstliche gesellschaftliche Barrieren und eine Hierarchie auf, in der Mariedl einen noch tieferen Platz einnimmt. Diese rächt sich, indem sie in ihre Geschichten plötzlich die hässliche Wahrheit über das wahre Leben der beiden Genossinnen einflicht. Die zutiefst Getroffenen bringen sie daraufhin auf brutale Weise um, um ihr das „Maul zu stopfen“.
Die Aussage Schwabs ist mehr als eindeutig: die Welt ist ein einziger Abort, und die Menschen wühlen tagein, tagaus in der Sch…. und brüsten sich damit auch noch. Ihre Misserfolge und Katastrophen formen sie in schöne Tagträume um, und wenn sie aus diesen unsanft geweckt werden, reagieren sie mit Gewalt.
Auch die Kirche mit dem süffisanten Pfarrer und einem im Metzger Wottila versteckten Papst Woytila kommt nicht gut weg bei, und generell schwebt über dem Ganzen ein Dunst des Selbsthasses wie bei Thomas Bernhard. Zwar wird Österreich nirgends ausdrücklich erwähnt, aber Versatzstücke wie Dialekt und verschiedene Andeutungen verweisen auch auf einen nationalen Aspekt dieses Hasses. Dabei setzt Schwab das Mittel der exkrementalen Schilderungen gezielt ein, war es doch das letzte „Tabu“, das nach der sexuellen Befreiung auch des Theaters blieb. Man redete allein aus ästhetischen Gründen nicht über die Details des Ausscheidungsvorganges und seiner Resultate. Schwab tut´s und nicht zu knapp. Zuschauer mit bildlicher Vorstellungskraft kann da schon der Brechreiz befallen.
Natürlich lösen so ein Thema und seine Verdichtung im Wort immer Lacher aus, wird hier doch das Tabuisierte in krassen Worten und deftigen Vergleiche dargeboten. Doch das Lachen bleibt im Halse stecken, weil man sich unter Niveau lachen weiß. Die Schwäche des Stücks liegt darin, dass das Fäkale schnell zum unterhaltsamen Selbstzweck wird, eben wegen seiner sicheren Wirkung auf das Publikum. Die gesellschaftskritische Seite des Stücks ist durchaus nachzuvollziehen, aber sie wird buchstäblich mit Sch… zugedeckt.
Regisseur Jens Poth hat sich noch einige Gags ausgedacht. Während zwischenzeitlich eingeblendeter kurzer Musikstücken bewegen sich die drei wie fremdgesteuerte Puppen in einem Trance-Tanz. Außerdem entwickelt sich der Ablauf wie bei dem „Krebsgang“ in der Musik: die Bewegungen des Anfangs laufen nach dem Höhepunkt sozusagen rückwärts ab. Sowohl die Handlung, die nach dem Aufschwung zur Euphorie sich zur Katastrophe hinabschwingt, als auch die äußere Form. Der abgezirkelte Auftritt der Darstellerinnen zu Beginn vollzieht sich in invertierter Richtung und im Zeitraffertempo, bis alle drei verschwunden sind.
Die drei Darstellerinnen schwingen sich ebenfalls zu großer Leistung auf. Franziska Sörensen, die man extra „aufgepolstert“ und mit einem fürchterlichen und zu engen Kleid „aufgehübscht“ hat, gibt eine herrlich ordinäre wie lüsterne Grete, Gabriele Drechsel, in einem schrecklich zusammengestückelten Ensemble, eine so verklemmte wie bigotte und missgünstige Erna, und Melanie Nawroth schließlich ist als stieläugiges Frömmlerdummchen Mariedl geradezu beängstigend.
Frank Raudszus
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