Das Böse als Burleske

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Shakespeares Mörderdrama „Macbeth“ in Darmstadt neu inszeniert

Wie leicht scheint es doch dem oberflächlichen Besucher, ein weltweit bekanntes und tausende Male aufgeführtes Werk der Weltliteratur zu inszenieren, das seine Akzeptanz beim Publikum sozusagen bereits vor sich her trägt. Es scheint ein sicheres Spiel zu sein, und doch, wie schwer ist es, der ausdrücklichen oder unausgesprochenen Erwartungshaltung gerecht zu werden. Da sind einmal die Traditionalisten, die jede Abweichung von einer lang gewohnten Inszenierungspraxis als „modernen Schnickschnack“ ablehnen, und da sind auf der anderen Seite die Avantgardisten, die alles Bewährte als verstaubt abtun und nach neuen, provozierenden Varianten rufen. Zwischen diesen beiden Abgründen der Rezeption müssen Regie und Darsteller den schmalen Grad zum Erfolg betreten…In Darmstadt hatte sich Schauspieldirektor Heinz Kreidl die Aufgabe gestellt, mit Shakespeares blutreichem Drama „Macbeth“ einen der großen Klassiker neu auf die Bühne zu bringen. Im Umfeld der eher diskursiv angelegten Schauspiele der letzten Zeit war hier eine Lücke des „großen Theaters“ zu schließen, verlangt doch vor allem das Abonnementspublikum bekannte Stücke großer Namen.

Warum gerade „Macbeth“, warum nicht „Hamlet“ oder „König Lear“? Darauf lässt sich einerseits antworten: „warum nicht?“, andererseits ist die Bekämpfung und letztliche Ausschaltung eines monströsen Verbrechers in einer hohen Machtposition derzeit sehr aktuell. Doch man darf annehmen, dass die Entscheidung für den „Macbeth“ lange vor der drohenden Abrechnung mit Saddam Hussein fiel. Daher sind die streckenweise geradezu verblüffenden Bezüge zur realen Welt wohl eher zeitgeschichtlicher Zufall denn Kalkül.

Uwe Zerwer (Macbeth) und Franziska Sörensen (Lady Macbeth)

Kreidl hat sich einer modernen Übersetzung von Thomas Brasch bedient, die dem Text über weite Strecken das Archaische entzieht, das ältere Übersetzungen auszeichnet. Nun war dieses Archaische eigentliche nie beabsichtigt, stützten sich doch die älteren Übersetzungen auf die jeweilige Zeitsprache. Für die Nachgeborenen jedoch wirkt diese Ausdrucksweise geradezu antik und unterstützt dadurch – unabsichtlich? – eine archaisierende Rezeption. Um den Kern des Stückes herauszuarbeiten und die Wirkung allein aus der Handlung und den Personen heraus zu erzielen, sollte sich jedoch die Sprache der Welt des Zuschauers und nicht der Handlungszeit anpassen. Wenn aber die Sprache nicht auf mythische Muster verweist, dann muss es die Handlung tun.

Macbeth hat für König Duncan dessen Feinde besiegt. Drei Hexen prophezeien ihm und seinem Kampfgefährten Banquo noch auf dem Schlachtfeld, dass Macbeth erst „Than von Cawdor“ und dann König werden wird und Banquo Vater von Königen. Als kurz darauf König Duncan tatsächlich Macbeth den Titel des Thans verleiht, sieht dieser plötzlich auch die Königswürde in Reichweite. Als sich Duncan für eine Nacht auf Macbeths Burg anmeldet, überredet Lady Macbeth ihren noch von Skrupeln geplagten Gatten, den König umzubringen und die Schuld dessen Söhnen in die Schuhe zu schieben. Die Untat gelingt, die Söhne fliehen aus berechtigter Angst um ihr Leben und stützen damit Macbeths Behauptung. Macbeth wird König. Doch das Morden kann er nicht lassen. Banquo weiß von der Weissagung und muss daher ebenfalls sterben. Je mehr Morde Macbeth auf sich lädt, desto skrupelloser wird er. Als sich der Geist des ermordeten Banquo auf einem Festgelage – nur – seinem Mörder zeigt, gerät Macbeth zum ersten Mal außer Kontrolle. Außerhalb seines Schlosses sammeln sich bereits die Gegner, an der Spitze MacDuff, der die Hintergründe ahnt und Macbeth beseitigen will. Als die noch einmal befragten Hexen ihm prophezeien, er werde nie von einem normal geborenen Mann besiegt werden und seine Macht sei erst am Ende, wenn der Wald von Birnam auf seine Burg zuwandere, wähnt Macbeth sich in Sicherheit und lässt auch noch MacDuffs Burg plündern und seine Familie umbringen. Lady Macbeth, anfangs als Inkarnation der weiblichen Intrigantin hemmungs- und skrupellos, verfällt angesichts des wachsenden Mordens in Wahnsinn und bringt sich selbst um. Als schließlich die Truppen seiner Gegner sich, hinter Zweigen der Bäume von Birnam getarnt, der Burg nähert, versteht Macbeth den Doppelsinn der Prophezeiung. MacDuff besiegt ihn schließlich im Zweikampf, nachdem er ihm mitgeteilt hat, dass er einst aus dem Leibe der Mutter herausgeschnitten worden ist.

Für psychologische Feinheiten ist in diesem wahrhaft archaischen Mörderstück kein Platz. Nachdem die Würfel einmal gefallen sind, läuft die Handlung wie ein Uhrwerk mit einer unerbittlichen Mechanik ab. Auch hier zeigt sich wieder die Erkenntnis, dass der erste Mord der schwerste ist. Danach geht es fast wie von selbst. Macbeth und seine Frau durchlaufen dabei gegenläufige Entwicklungen. Sie beginnt als disziplinierte Einfädlerin ohne jegliche moralische Skrupel und endet als Wahnsinnige, Macbeth jedoch legt seine Skrupel erst nur zögernd ab und sieht sich dann zum weiteren Morden gezwungen. Doch je mehr er sich dem Zwang des Tötens hingibt, desto mehr ist er selbst davon angeekelt. Einerseits liebt er die Höhe der Macht und möchte sie nicht missen, aber die dazu notwendigen Taten begeht er mit zunehmendem Unwillen. Doch nicht mehr moralische Bedenken sind jetzt der Grund sondern die Einsicht, dass es nur den Weg zu immer mehr Morden gibt, denen er schließlich nicht mehr gewachsen sein wird. So nimmt er den finalen Zweikampf im Wissen seines Untergangs an, ja, er sehnt das Ende geradezu herbei, will es seinen Gegnern dabei jedoch so schwer wie möglich machen. Ergeben kann er sich nicht, da das den vollständigen Macht- und Identitätsverlust bedeuten würde.

Macbeth (Uwe Zerwer) und Banquos Geist (Till Sterzenbach)

Der Bühnenbildner Csaba Antal hat die halb dunkle Bühne knöchelhoch mit schwarzen Gummiteilen bedeckt, die anfangs realistisch ein Schlachtfeld und später sinnbildlich den Sumpf darstellen, durch den Macbeth watet. Nach links hinten steigt das Bühnenbild zu einer schrägen Rampe an, auf der sich die Hexen gerne aufhalten.

Die Kostüme von Kristina Ignjatovic kontrastieren in ihrer Farbenfreude mit der düsteren Handlung. Zwar verweisen die roten Gewänder von Macbeth und seiner Frau auf das Blut, das an ihnen klebt, dennoch strahlen sie so etwas wie Großzügigkeit und Lebensart aus, um die es hier sicherlich nicht geht. Die Diener, selbst vermeintliche oder sichtbar realistische Mordgehilfen, erscheinen in einer Art von Harlekin-Kostümen, die ihrem Auftreten etwas Burleskes verleihen, so dass der Mord an MacDuffs Familie eher grotesk als grässlich wirkt. Die Hexen wiederum sind Zwitterwesen mit großen Flügeln und verweisen damit auf einen mythischen Raum. Doch wirkt die Kostümierung aus erotisch aufgeputzten, schwarzen Lederzweiteilern und realistischen Vogelflügeln mehr märchenhaft und passt eher in den „Sommernachtstraum“.

Mit der akustischen Untermalung von Ari Meyers betritt Kreidl in gewisser Weise multimediales Neuland. Zu Beginn bezeichnen verfremdete Schreie von Verwundeten das Schlachtfeld, später interpretieren die elektronischen Geräusche die Bühnenhandlung fast opernhaft und erschweren zeitweise sogar das Verständnis des Textes, zumal dieser oft auch etwas sehr leise gerät (eine Zuschauerein äußerte deutlich ein „lauter“). Offenbar war sich Kreidl schon der Kargheit des Textes bewusst, der sich in seiner spiralförmigen Abwärtsbewegung in das Grauen allen Versuchen einer dramatischen Entwicklung verweigert. So sollte die Musik das ersetzen, was Dramaturgie und Darsteller nicht umsetzen können.

Diese Anmerkungen zeigen bereits, dass die gewünschte Wirkung nicht eingetreten ist. Eine Inszenierung von „Macbeth“ kann eigentlich nur Grauen vor der Schrecklichkeit des Menschen in seinem Wahn erzeugen. Spannung im eigentlichen Sinne ist nicht möglich, nur die Ausweglosigkeit der durch den menschlichen Macht- und Mordtrieb getriebenen Handlung kann sich dem Zuschauer einprägen. Jeder Versuch, diesem Stoff mit Mitteln der Groteske beizukommen, muss scheitern. Kreidls hat dieses offensichtlich auch nicht geplant, nur gleitet die Inszenierung aufgrund eines Gemischs aus Kostümierung, Szenenschnitten und Regieentscheidungen des Öfteren in eine fast burleske Beliebigkeit ab. Die Lady Macbeth von Franziska Sörensen zum Beispiel erscheint anfangs nicht diabolisch sondern eher pragmatisch und karriereorientiert, so wie eine ehrgeizige Frau ihren Mann voran treibt. Zum Mord am König und Lehnsherrn gehört jedoch mehr als nur Karrieregeilheit. Das abgrundtief Diabolische fehlt Franziska Sörensen zu Beginn. Später, als sich Macbeth mit Banquos Geiste konfrontiert sieht, übernimmt sie professionell die Kontrolle über die sich destabilisierende Situation, nur um danach plötzlich als Wahnsinnige aufzutreten. Ihre Entwicklung von der kalten Lady zur Verrückten ist den Kürzungen zum Opfer gefallen, und so wirkt die Wahnsinnsszene seltsam isoliert.

Uwe Zerwer bietet über lange Strecken eine glaubwürdige Interpretation des von Machtgier und Mordangst zerrissenen Macbeth, doch der Endkampf mit MacDuff zieht sich als Tanz zweier Stangenkünstler zu sehr in die Länge und dreht dadurch die gleichzeitig ersehnte und heftigst bekämpfte Höllenfahrt des Titelhelden in einen Hahnenkampf um. Die abschließende Präsentation von Macbeths abgeschnittenem (Plastik-) Kopfes durch MacDuff setzt dem Ganzen noch eine groteske Spitze auf, denn mit künstlich blutenden Körperteilen lässt sich heute auch im Theater kein Grauen mehr erzeugen sondern nur Heiterkeit. Und so war es auch.

Man hatte auch das Gefühl, das den Darstellern im zweiten Teil etwas die Luft ausging, was wohl weniger auf Ermüdung sondern auf eine gewisse Ziellosigkeit zurückzuführen war. Vor allem bei Uwe Zerwer verbreiteten die Monologe zum Schluss nicht mehr den gleich intensiven Eindruck eines von seiner eigenen Grausamkeit entsetzten Machtmenschen wie noch vor der Pause. Das Publikum war hier sichtlich nicht mehr gefesselt.

Bei aller Kritik ist jedoch festzuhalten, dass sich die Darsteller äußerste Mühe gaben, den etwas zerrissenen Handlungsstrang zusammen zu halten und gegen die im zweiten Teil zusehends abnehmende Spannung anzuspielen. Doch wenn diese einmal abhanden kommt, ist es kaum noch möglich, sie wieder aufzubauen, zumal die teilweise isoliert aufeinander folgenden Szenen dieses erschwerten.

Das Publikum erspürte die Schwächen dieser Aufführung und verabschiedete das Ensemble mit verhaltenem bis freundlichem Beifall. Auf der Bühne sah man kaum lachende Gesichter, was wohl darauf schließen ließ, dass man sich dort ebenfalls der problematischen Inszenierung bewusst war. Nicht umsonst hatte man ja das Programm des Vorabends(!) zwecks einer letzten Probe abgesagt.

Schade, dass ein mit soviel Spannung erwarteter Shakespeare-Abend letztlich auf halber Strecke stehen blieb. Hier zeigten sich wieder einmal die Tücken der Inszenierungen von großen Klassikern.

Frank Raudszus

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