Ist ja auch egal…..

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Einer der meist zitierten Sätze in diesem Schauspiel lautet „Ist ja auch egal…..“, mit kleinen Variationen und Verzierungen, und drückt damit auch gleich das Credo der dargestellten Gesellschaft aus, die nichts mehr ernst nimmt, sich für nichts engagieren kann und dennoch – oder gerade deswegen – am Leben leidet.

Britta Hübel (Irina), Gabriele Drechsel (Olga)
und Nicole Averkamp (Mascha)

Die drei Schwestern Olga, Mascha und Irina leben nach dem Tode ihres Vaters, eines verwitweten Briga- degenerals, allein in dem großen Haus und trauern verschiedenen Vergangenheiten nach. Da wäre als erstes die „graue Vorzeit“ im fernen Moskau, als die Mutter noch lebte und die Familie das Stadtleben und die Position des Vaters genoss. Nachgeordnet dann die Zeit in der namenlosen Provinzhauptstadt, in der jedenfalls die hohe Stellung des Vaters noch für Leben und Bedeutung sorgte. Nun jedoch ist alles in Lethar- gie verfallen. Olga, die Älteste der drei, fühlt sich schon früh im ungeliebten Lehrerberuf verschlissen und hat noch keinen passenden Mann gefunden. Mascha ist in einer verfrühten Ehe mit dem ungeliebten weil spießigen Lehrer Kulygin gefangen und gefällt sich in Sarkasmus und permanent schlechter Laune. Irina dagegen, die Jüngste, schwärmt idealistisch von einem arbeitsreichen weil sinnvollen Leben und glaubt fest an eine baldige Rückkehr ins lebensfrohe Moskau. Dorthin soll sie ihr Bruder Andrej bringen, der an seiner wissenschaftlichen Karriere arbeitet und von einer Professur in Moskau träumt. An diesem Traum hängen alle drei Schwestern wie an einem Tropf, harren tatenlos und leidend der Ereignisse, die sie zurück ins richtige Leben führen sollen. Derweil vertreiben sie sich die Zeit mit einigen gelangweilten Offizieren, die ihnen nach dem Tod des Vaters noch als Gesellschaft geblieben sind: der kurz vor der Pensionierung stehende und zum Trunk neigende Arzt Tscherbutykin, der sich mit Kalauern und unpassenden Bemerkungen hervortut, der Hauptmann Soljony, der die Mitglieder der Gesellschaft gerne unmotiviert provoziert, und der junge Leutnant Baron Tusenbach, der sich unrettbar in Irina verliebt hat und ansonsten über seine Untätigkeit als junger Offizier klagt. Die drei Offiziere sind das Abbild einer Kaste, die das Offiziersdasein nicht als Beruf mit Pflichten sondern als das Schicksal der Zweitgeborenen begreift, das ihnen zwar eine gute Stellung aber keinerlei sinnvolle Aufgabe zuweist. Auf die Idee, ihren Beruf aktiv zu gestalten, kommen diese Offiziere nicht. Mit herablassendem Amusement betrachten alle Anwesenden Andrejs junge Verlobte Natascha, die sich falsch kleidet, in Gesellschaft nicht zu benehmen weiß und von einer Verlegenheit in die andere fällt.

In diese Gesellschaft bricht nun ein weiterer Offizier ein, der neue Batteriechef Oberstleutnant Werschinin. Er verbreitet sofort so etwas wie Aufbruchstimmung, da er gern mit jedem über das Leben philosophiert und von einem nicht mehr fernen sinnvollen Leben in einer gebildeten und verantwortungsvollen Gesellschaft spricht. So wenig er diese neue Gesellschaft und den Weg dorthin erklären kann und so unausgegoren seine Gedanken dazu sind, weckt er dennoch bei den Frauen Interesse wegen seiner Begeisterungsfähigkeit und seines Charmes, der sich sehr schnell auf Mascha richtet.

Ein Zeitsprung führt aus dem Mai in den Winter, und dieser Wechsel von der hoffnungsvollen Wärme in die erstarrende Kälte dient als Metapher für die Träume, die einer nach dem anderen sterben: Andrej hat seine wissenschaftliche Karriere „geschmissen“ und wird Mitglied der Landverwaltung. Seine mittlerweile ihm angetraute Frau Natascha übernimmt Stück für Stück das Regiment über das Haus mit dem an seiner eigenen Unfähigkeit verzweifelnden Andrej und den drei untätig am Leben leidenden Schwestern. Olga muss das erhoffte Leben in Moskau gegen die ungeliebte Direktorenstelle tauschen und Irina bleibt nur die Wahl, den ungeliebten und mittlerweile zum Zivilisten avancierten Tusenbach zu heiraten und mit ihm in eine andere Stad zu ziehen, um eine Arbeit anzunehmen.

Aart Veder (Kulygin)
und
Nicole Averkamp (Mascha)

Ein großer Brand im Ort, der die geordneten Verhältnisse und den täglichen Trott durcheinander bringt, lässt die Konflikte zwischen den Protagonisten ausbrechen und verweist als weitere Metapher auf den Zusammenbruch der potemkinschen Lebensdörfer aller Beteiligten. Kulygin ahnt das Verhältnis seiner Frau mit dem Batteriechef, verdrängt diese Ahnung jedoch mit dem Anschein des Nichtwissens. Auch Andrej will nicht sehen, dass sich seine Frau mit seinem eigenen Vorgesetzten eingelassen hat.

Als die Brigade an einen fernen Ort verlegt wird, ist nicht nur der Ort der finalen Ödnis geweiht, sondern auch Maschas Verhältnis mit Werschinin beendet. Mascha, die alle ihre Hoffnungen in diesen Mann gesetzt und die Frustration ihrer Ehe mit der Hoffnung auf eine bessere Liaison kompensiert hat, sieht sich vor dem Nichts einer spießigen Provinzehe. Und Irinas nicht geliebter Kompromiss-Ehemann Tusenbach schließlich stirbt den Duell-Tod gegen seinen Offiziers- kameraden Soljony, so dass auch sie einer ehelosen Lehrerin-Zukunft entgegensieht. Ausgerechnet die Aufsteigerin Natascha erweist sich als Siegerin, hat sie doch nicht nur das Haus für sich gewonnen sondern auch ihre Schwägerinnen erfolgreich vertrieben. In ihrer Figur zeichnet Tschechow ahnungsvoll das Bild einer zukünftigen Generation, die zwar nicht den gesellschaftlichen Ansprüchen der Oberschicht entspricht, sich aber mit sicherem Instinkt gegen diese durchsetzt und die Regie übernimmt. Dass auch diese Generation aus dem Volk historisch von einer anderen Art „Adel“ unterdrückt werden würde, konnte Tschechow nicht ahnen….

Regisseur Heinz Kreidl hat Tschechows Stück weit gehend im Sinne des Autors umgesetzt. Die überarbeitete Übersetzung rückt den Text mehr an die heutige Zeit, so dass keine falsche Historizität aufkommen kann. Dies Stück kann prinzipiell zu allen gesellschaftlichen „Endzeiten“ spielen, also auch heute. Kreindl vermeidet jedoch auch krude Modernismen, von einem Dia-Projektor abgesehen. Die Transformation auf heutige Verhältnisse ergibt sich durch den Text und die kompromisslos ausgedeuteten Merkmale einer übersättigten und ziellosen Gesellschaftsschicht. Mögen die heutigen Anzeichen solcher Zustände auch anders geformt sein – Medien, Überwohlstand und -fahrt und Flucht ins Ego – Parallelen ergeben sich aus der psychologischen Situation der Protagonisten. Kreindl hält jedoch die Balance zwischen Werktreue und Ausdeutung eines gesellschaftlichen Hintergrunds zur Zeit des Autors einerseits und der Übertragung in den heutigen Kontext, die er dem Zuschauer überlässt. Dabei hätte man wahrscheinlich die eine oder andere Szene noch kürzen können, denn angesichts der Handlungsarmut ziehen sich die drei Stunden ziemlich in die Länge, doch schafft diese Länge andererseits erst die Eindringlichkeit einer Situation, die sich durch Überdruss, Langeweile und Todessehnsucht auszeichnet. So etwas kann man nur schwer im Zeitraffer darstellen.

Eine sehr beeindruckende Szene gelingt ihm und den Darstellern, wenn sich Werschinin von Mascha verabschieden will, aber nur Olga antrifft. Bei diesem unfreiwilligen „Tête-à-tête“ zeigt sich, dass Olga diesen Mann mindestens genauso wenn nicht intensiver liebt als Mascha. Während Mascha Werschini nur als Fluchtmöglichkeit aus ihrer spießigen Ehe betrachtet und letztlich mehr in Selbstliebe und -mitleid gefangen bleibt, sehnt Olga nichts mehr als die körperliche Berührung dieses Mannes, der ihre Schwester liebt. Bei jeder kleinen Bewegung Werschinis auf sie zu wollen ihre Hände zu ihm, und sie kann sie nur zügeln, indem sie die Arme entschlossen vor der Brust verschänkt, wenn er die letzte Distanz nicht überbrückt. Gabriele Drechsel spielt diese Szene mit allen mimischen und gestischen Details aus, ohne jemals in vordergründige Emotion zu ver- fallen. Nur ihre Körpersprache lässt die wahre Befindlichkeit der Olga erkennen. Nach außen bleibt sie – mit äußerster Disziplin – die Schuldirektorin. Allerdings gibt ihr die Abschiedsszene mit der dann doch noch aufgelöst auftretenden Mascha den Rest, muss sie doch eine wilde Kuss-Szene mit ansehen….

Neben Gabriele Drechsel überzeugten auch die anderen Darstellerinnen, so Nicole Averkamp als innerlich zerrissene und scharfzüngige Mascha, die mit dem kleinschraffierten Lateinlehrer gestraft ist und einen männlichen Mann sucht. Die plötzlichen Stimmungswechsel und emotionellen Eruptionen verlaufen genau auf dem schmalen Grat zwischen Weinerlichkeit und Hysterie. Man nahm ihr diese Frau unbedingt ab. Britta Hübel als naiv-idealistische Irina hatte es da etwas schwerer, weil sie – bis auf den Schluss – keine Erschütterungen zu überstehen hatte, jedoch brachte auch sie ihren Part überzeugend auf die Bühne. Karin Klein spielte die bauernschlaue Natascha und ihre Entwicklung vom ungelenken Landmädchen zum instinktgesteuerten Machtmenschen mit professioneller Sicherheit und allen Ingredienzen der Neureichen wie aufgeblondeten Haaren, auffälliger Designer-Kleidung und aufgesetzter Sprache mit dem schnell erlernten Herrschaftston.

Die Männer hatten die etwas schwächeren Parts, da sie dramaturgisch mehr oder weniger die Staffage für die Frauen bildeten. Till Sterzenbach war – nach dem verkniffenen Shylock im „Kaufmann von Venedig“ – als jugendlicher Batteriechef und Charmeur mit Vollhaar kaum wieder zu er- kennen, Aart Veder spielte einen herrlich kleinbürgerlichen Lateinlehrer, bei dem die Welt am Schultor endet, Jo Kärn gab einen versoffenen Regimentarzt mit einem stoischen Lebensideal, Hubert Schlemmer einen desillusionierten und deshalb zynischen Hauptmann Soljony und Christian Wirmer schließlich einen Baron Tusenbach, der sich selbst seiner Identität und seines Lebensziels nicht gewiss ist.

Das Publikum dankte Darstellern nund Regie nach diesem langen und nicht gerade unterhaltsamen Abend mit freundlichem Beifall. Etwas mehr hätte das Ensemble für diese Leistung schon verdient gehabt, aber dieser Abend war nicht die Stunde der intellektuellen Einkehr.

Frank Raudszus

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