Mozarts „La Nozze di Figaro“ in einer eigenwilligen Inszenierung
Wieder einmal stand am 12. Februar bei der Premiere von Mozarts „Figaro“ ein Repertoire-Renner auf dem Prüfstand der Neu- Inszenierungen. Natürlich fragte man sich, wie denn die neue Aufführung diesen Klassiker darreichen würde, ohne in die Falle der Beliebigkeit und der Wiederholung zu gehen. Vorab sei bereits gesagt: Regisseur Nicholas Broadhurst hat im Verein mit Dirigent Marc Albrecht und dem Ensemble diese Aufgabe meisterlich gelöst.
Frei nach Beaumarchais´ gesellschaftskritischer Komödie „La Folle Journée“ hatte Lorenzo da Ponte für Mozart ein weitgehend entschärftes Libretto erstellt, das den Verwicklungen der Liebe wesentlich mehr Raum verleiht als der Geißelung der gesellschaftlichen Zustände im vorrevolutionären Europa, und damit auch Gnade bei der Zensur des kaiserlichen Hofes in Wien gefunden.
Der gräfliche Kammerdiener Figaro will Susanna, die Kammerzofe der Gräfin, heiraten, hinter der auch Graf Almaviva her ist. Obwohl der Graf das „ius primae noctis“ abgeschafft hat, möchte er es bei Susann noch einmal beleben und versucht mit allen Mitteln – Bestechung und Erpressung – zu seinem Ziel zu gelangen. Als Figaro von diesen Absichten erfährt, beschließt er, dem Graf mit Witz und List diese Gelüste aufzutreiben und Susanna vor ihm zu bewahren. Nun beginnt ein turbulentes Verwirrspiel, an dem alle beteiligt sind, und das nur der Graf selbst bis zum Schluss nicht durchschaut. Die von der Untreue ihres Mannes enttäuschte Gräfin verbündet sich mit ihrem Personal, um ihrem Mann einen Denkzettel zu verpassen, und nur der intrigante Anwalt Dr. Bartolo mit seiner Mandatin Marcellina stellen sich quer und verfolgen eigene Ziele. Hatte Marcellina doch Figaro einmal gegen eine Eheversprechen Geld geliehen, das sie jetzt einfordert. Dem Grafen kann´s Recht sein, wenn Figaro seine Susanna nicht heiraten kann….
Dass Figaro und Susanna dabei auch einiges schief geht, versteht sich bei einer solchen Komödie von selbst, und gerade die Pannen und kritischen Situationen sorgen immer wieder für Tempo und viele komische Situationen. Am Ende vertauschen Susanna und die Gräfin für das nächtliche Stelldichein die Rollen, so dass der Graf unfreiwillig seiner eigenen Frau Liebe schwört, einen teuren Ring an den Finger steckt und Figaro als nicht eingeweihter Beobachter sich in falscher Eifersucht windet. Doch am Ende löst sich alles auf, man verzeiht sich soweit nötig, und sogar der Graf macht gute Miene zum bösen Spiel.
Nicholas Broadhurst hat das Stück in die Gegenwart verlegt. Die Overtüre spielt vor einer Baustelle mit allen heutigen Handwerksutensilien. Der einsam sein Brot essende und das „Echo“ lesende Bauarbeiter dreht sich bei den ersten Klängen zum Orchester um und bedenkt es mit deutlich abfälligen Bewegungen, seine hinzukommenden Kollegen vertreiben sich die Zeit mit Kartenspiel und Pornoheftchen, bis – rechtzeitig zum Beginn – Marcellina mit gelbem Helm von oben in einem Baustellenkorb mit der Aufschrift „Broadhurst Associates“ einschwebt und die Bauarbeiter von der Bühne jagt, nur um sich anschließend mit dem Intrigant Dr. Bartolo in deftiger Weise zu vergnügen. Hier wird schon die Absicht Broadhursts deutlich, die Oper im Stile der alten „opera buffa“ mit ihren handfesten Effekten zu inszenieren.
Liebe wird hier nicht nur gesungen oder mit rokokohaften Verrenkungen angedeutet, sondern auch bei jeder Gelegenheit „gemacht“ – falls die Partnerin es zulässt. Susanna (Melanie Kreuter) tritt als forsche Sekretärin im Business-Kostüm auf und schaut sich ihren neuen Hut in einem zum Spiegel umgedeuteten Fuchsschwanz an, bis das Handy sie aufscheucht. Figaro (Hans Christoph Begemann) erscheint im gedeckten grauen, später im kitschig-blauen Anzug. Der Graf (Peter Bording) zelebriert seinen ersten Auftritt als übler Macho in offenem Bademantel, Boxer-Shorts und Goldkettchen und versucht später, das verschlossene Kabinett seiner Frau mit einer Kettensäge zu öffnen. Dabei singt er seinen Part zu typischer Kettensägen-Gestik. Der Finalsatz spielt auf einer öden Baustelle mit einem Bagger und einer Bauhütte. Hinter letzterer darf man ein Baustellen-Klo vermuten, da sich die Damen beim Verstecken in der Hütte jedes Mal entsetzt die Nasen zuhalten. Der auf dem Liebespfad wandelnde Graf und Figaro schleichen im rückwärtigen Baugerüst umher, wobei der Graf zwecks besserer Sicht sogar eine Nachtsichtbrille aufsetzt. Barberina schluchzt ihren Bericht über die Situation auf dem Dach der Hütte in ein Handy, und Figaro leuchtet bei seiner großen Eifersuchtsarie den Frauen in Parkett und Rang mit einer starken Taschen- lampe ins Gesicht.
Alle diese modernen Assoziationen wirken jedoch nie aufgesetzt oder gewollt modernistisch, sondern dienen immer dem dramaturgischen Ziel. Die enge Verzahnung mit den heutigen Gewohnheiten und Accessoires verleiht der Handlung so etwas wie absurden Witz. Nicht der Zeigefinger „dies ist nicht nur das 18. Jahrhundert, sondern Ihr seid gemeint“ steht dabei im Vordergrund, sondern die Identifkation des Zuschauers mit Personen und Handlung sozusagen „durch die Hintertür“ des Humors. Wenn der Graf im grünen Lodendress durchs Zimmer seiner Frau stolziert, so stellen sich automatisch Assoziationen an die Gewohnheiten des heute übrig gebliebenen Adels ein. Das Lachen über die vordergründige Inkommensurabilität von Mozart und Handy schlägt um in aktives Miterleben der Handlung auf der Bühne. Die Mozart-Oper gewinnt durch die Zitate des Zeitgeistes im positiven Sinne Musical-Qualität.
Selbstverständlich darf so etwas nicht zu Lasten der Musik gehen, dies jedoch verhinderten Marc Albrecht und das Orchester. Mit viel Temperament und dennoch fast kammermusikalisch begleiten oder forcieren sie das Geschehen auf der Bühne, pasen sich sowohl der dramatischen Situation als auch der Gefühlslage der Protagonisten an. In keiner Sekunde lässt die Spannung der Musik nach, und das Zusammenspiel einzelner Instrumente mit Sängern und Sängerinnen klappt reibungslos. Die Darsteller auf der Bühne glänzen ebenfalls auf ganzer Linie, vor allem Peter Bording, der sich in seiner Rolle als macho- und triebhafter Graf Almaviva geradezu ausleben konnte. Nicht nur seine stimmliche Präsenz und Sicherheit sondern auch seine schauspielerische Leistung ist hervorzuheben, die deutlich zeigt, welchen Spaß ihm diese Rolle bereitete. Hans Christoph Begemann steht ihm da als umtriebiger, gewitzter Figaro kaum nach. Stimmlich voll auf der Höhe überzeugt er auch als Schauspieler. Viel verdienten Beifall erntete auch Susanne Reinhard als Cherubino, die neben einer glasklaren Stimme auch die Fähigkeit besitzt, als Frau einen jungen Mann zu spielen, der eine junge Frau zu spielen hat. Vor allem der pubertierenden Jüngling mit den oft ungelenken Bewegungen wirkt bei ihr ausgesprochen echt. Mary Anne Kruger hat als distanzierte Gräfin nur wenig Spielraum für schauspielerische Glanzleistungen, beeindruckt jedoch wieder einmal mit ihrer variablen und umfangreichen Stimme und erntete dafür auch viel Szenenapplaus. Melanie Kreuter als Susanna wirkt im sängerisch ersten Teil stärker als im zweiten, was aber auch durch die Verlagerung der Schwerpunkte auf andere Rollen im zweiten Teil bedingt ist. Auf jeden Fall erfüllt sie ihren schauspielerischen Teil mit Bravour. Elisabeth Hornung füllt die Rolle der Marcellina mit viel Witz, und Hans-Joachim Porcher und Matthias Wohlbrecht geben zwei typische Hof-Intriganten.
Das Publikum dankte dem Ensemble mit begeistertem Beifall, bei der Regie mischten jedoch wieder einmal kräftige Buh-Rufer mit, die sich mit den Bravo-Rufern duellierten. Offensichtlich erschien so Manchem das moderne Bühnenbild und die entsprechenden Gags als unmozartisch.
Frank Raudszus
No comments yet.