Wenn etwas zu bedauern ist dann, dass wir die Darmstädter Inszenierung von Richard Strauss´ Oper „Die Frau ohne Schatten“ erst jetzt, drei Monate nach der Premiere, gesehen haben und unseren Lesern vorstellen können. Aber bisweilen kämpft der persönliche Terminkalender halt gegen den Spielplan.
Friedrich Meyer Oertel und Marc Albrecht haben offensichtlich eine besondere Affinität zu Richard Strauss, denn alle drei seiner Opern – „Rosenkavalier“, „Elektra“ und nun „Die Frau ohne Schatten“ – erwiesen sich in Darmstadt in den letzten zwei Jahren als herausragende musikalische Ereignisse.
Hugo von Hoffmansthal hat seine Erzählung über die Kaiserin, die als übermenschliches Feenwesen über keinen Schatten verfügt, in enger Zusammenarbeit mit Richard Strauss zu einem Opern-Libretto umgearbeitet. In der Erzählung wartet der Kaiser vergebens auf Kinder von seiner Feenfrau. Als die Boten der Geisterwelt verlangen, dass sie innerhalb dreier Tagen einen Schatten vorzuweisen habe – sprich: schwanger zu sein – ansonsten zurückmüsse ins Reich ihres Vaters und ihr Mann versteinern müsse, begibt sie sich mit ihrer Amme auf die Suche nach einem Schatten. Mit List und Zauberei versucht die Amme der armen Färbersfrau ihren Schatten zu entlocken. Als die Kaiserin jedoch merkt, dass dieser Schatten die Färbersfrau das Leben kosten wird, verzichtet sie und kann nach einer letzten Prüfung ihren Mann in die Arme schließen. Auch das durch den „Schatten-Krieg“ zerstrittene Färberehepaar versöhnt sich.
Dieses Libretto ist weniger trivial als die kurze Zusammenfassung suggerieren mag. Dunkle Mythen bestimmen die Handlung, und das Happy End ist eher allegorisch als real zu verstehen. Transzendenz und Realität überschneiden sich in diesem Märchen und ringen um ihren Stellenwert im menschlichen Leben. Während der Färber Barak mit beiden Füßen in einem kargen Leben steht und sich lediglich viele Kinder wünscht, verlangt die jenseitigen Sphären entstiegene Kaiserin zu ihrem Feenwesen zusätzlich irdische Freuden und Eigenschaften. Wie jedoch schon in der griechischen Mythologie geht die Vermenschlichung des Transzendenten immer auf Kosten der Menschen. Historisch lässt sich das an dem Unglück belegen, dass die Religionen über die Menschheit gebracht haben, und große Ideologien wie der Marxismus zeigen, dass die Welt der Ideen in der Realität selten Frieden stiftet. Die Musik bildet die kantigen und teilweise düsteren Metaphern in geradezu faszinierenden Weise nach. Sie wird zum Teil der Handlung statt nur Arien oder Duette zu begleiten. Gesang und Orchester sind nicht nur aufeinander abgestimmt, sie sind bis in die letzte Feinheiten der Intonation und der Motive miteinander verzahnt.
Richard Strauss schreitet in seiner Partitur die gesamte musikalische Landschaft seiner Zeit ab, von den lyrischen, bisweilen geisterhaften Klängen bis zu expressionistisch-dramatischen Klangbildern, die dem Orchester alles abfordern. In einem großen Bogen über drei lange Akte entwirft er ein durch und durch authentisches Musikdrama, das auf jegliche Effekthascherei verzichtet und die einfache aber von Mythen durchdrungene Handlung zur äußersten Intensität führt. Dieses musikalische Märchen berührt tiefer als so manche andere Bühnen-Tragödie, die unmittelbar dem Leben abgelauscht ist.
Meyer-Oertel hat die Oper in zwei Ebenen inszeniert. Vorne sehen wir die ärmliche Behausung des Färbers, mit kargem Mobiliar und in braunroten Farben. Im Bühnenhintergrund erscheint je nach Szene die ferne Burg des Geisterkönigs Keikobad in kaltem Weiß, unnahbar und Ehrfurcht gebietend. Während die Personen im Vordergrund mit menschlicher Mimik und Gestik handeln, werden sie umso schemenhafter und vergeistigter, je mehr sie dem Geisterreich zugehören. Wie ein großes Passepartout gibt ein weit gespannter dunkler Bogen vor der Bühne einen asymmetrischen Blick auf die Bühne frei.
Sänger und Orchester verbinden sich in dieser Inszenierung zu Höchstleistungen. Das Darmstädter Orchester, unter Marc Albrecht geschärft, glänzt durch Prägnanz und Transparenz vor allem in den vielen Szenen, in denen einzelne Instrumente die Motive der Sänger aufnehmen, umspielen und beantworten. Hier spielt das Orchester Duett oder Terzett mit den Sängern, so als sei es Teil der Handlung auf der Bühne. Dies erfordert eine hohe Sensibilität, müssen doch die Emotionen der Personen auf der Bühne bis in ihre feinsten Verästelungen im Spiel der einzelnen Instrumente wieder erscheinen. Dabei ist auch hervorzuheben, dass die Musiker in den vier Stunden wahre Schwerarbeit zu verrichten haben, sind neben den sensiblen Zwiegesprächen mit den Sängern doch auch Passagen eruptiver Klangbilder jenseits des Kammermusikalischen zu meistern. Auch drei Monate nach der Premiere wirkt das Orchester frisch und engagiert wie bei der ersten Aufführung. Bei den Solisten auf der Bühne ist vor allem Michaela Schuster als Amme hervorzuheben. Nicht nur sang sie mit kräftigem und sehr variablem Alt, sondern sie überzeugte auch durch ihre schauspielerische Leistung. Sie gibt eine intrigante Amme, die alles Menschliche hasst und die Färbersfrau mit allen Mittel jenseitiger Zauberei umgarnt. Dabei bleibt sie selbst kühl bis ans Herz. Gesangliche Interpretation und mimische Darstellung ergänzen sich bei ihr in idealer Form.
In weiteren herausragenden Rollen überzeugten Susan Owen als Färbersfrau und Anton Keremitdchiev als ihr Mann Barak. Susen Owen bewältigt die physisch anstrengende und stimmlich anspruchsvolle Aufgabe der Färbersfrau auch schauspielerisch bravourös. Neben den durch die List der Amme ausgelösten emotionalen Wechselbädern hat sie auch noch die Auseinandersetzungen mit dem Ehemann und dessen drei behinderten Brüdern glaubwürdig darzustellen. Anton Keremedtchievs bewies wieder einmal seine stimmliche Präsenz und wirkte in der Rolle des ehrlichen und gutmütigen Abrak überzeugend. Doris Brüggemann hatte leider nur selten Gelegenheit, ihren strahlenden Sopran einzusetzen, tat es dann aber mit Sicherheit und Brillanz. Ansonsten stand sie über längere Zeit im dramaturgischen Schatten der dominierenden Amme. Ähnliches gilt für den Kaiser (Ronald Hamilton), der etwas blass blieb und eher ein statisches Abbild des Kaisers gab.
Blieben noch zu erwähnen die drei Brüder des Färbers(Hans Christoph Begemann, Almas Svilpa, Matthias Wohlbrecht), die einen gespenstischen Humor in die Szenerie brachten, denn bei all ihrer Tolpatschigkeit wirkten sie eher wie archaische Prototypen misshandelter menschlicher Natur. Diese drei Brüder darf man getrost als Verweis auf die Verstümmelungen des gerade beendeten Ersten Weltkrieges verstehen wie auch die teilweise düstere und verzweifelte Grundstimmung der Handlung. Das Publikum dankte den Akteuren, allen voran Michaela Schuster und Susan Owen, für die sowohl sängerisch als auch schauspielerisch exzellente Leistung. Marc Albrecht erhielt für das hervorragend eingestellte Orchester verdienten Sonderbeifall.
Wer „Die Frau ohne Schatten“ noch nicht gesehen hat, sollte unbedingt die nächste Gelegenheit wahrnehmen. Er/sie wird es nicht bereuen.
Frank Raudszus
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