Wunsch und Wirklichkeit des ewigen Lebens

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Leos Janáceks Oper „Die Sache Makropulops“ im Staatstheater Darmstadt.

Wer hat nicht schon einmal den Wunsch nach dem ewigen oder zumindest Jahrhunderts überspannenden Leben verspürt? Die Zeitgenossen altern und dahinschwinden zu sehen, langfristige historische und technische Entwicklungen mitzuerleben und alle Facetten des ach so kurzen menschlichen Daseins voll auszukosten? Der tschechische Schriftsteller Karel Capek (1890-1938) hat diese Vorstellung in der Komödie „Die Sache Makropulos“ exemplarisch umgesetzt und die Realität eines nahezu ewigen Lebens geschildert. Leos Janacek (1854-1928) hat diese Komödie als Vorlage für seine Oper gleichen Namens gewählt, die 1926 uraufgeführt wurde.

In einer Prager Kanzlei neigt sich ein hundert Jahre alter Erbstreit dem Ende zu. Christa, des Anwalts Tochter, erzählt dem Kläger Gregor von der überwältigenden Sängerin Emilia Marty, die ganz Prag in Entzücken versetzt und sie selbst an ihrer Gesangskarriere zweifeln lässt. Da erscheint der Anwalt mit eben dieser Emilia, die sich brennend für den Erbfall interessiert und seltsamer- weise sehr viele Details über den uralten Fall weiß. Sie weist unter anderem auf das Versteck des verschollenen Testaments hin und fragt immer wieder nach einem bestimmten Brief.

makropulosMit allen weiblichen Waffen bis zum Einsatz ihres Körpers erreicht sie ihr Ziel, und es stellt sich heraus, daß dieser Brief das Rezept für einen Zaubertrank enthält, den sie vor langer Zeit getrunken hat und der ihr 300 Jahre Leben schenkte. Nun neigt sich auch ihre Zeit dem Ende zu und sie braucht das Rezept. Der Verlängerungswunsch ist jedoch in Wirklichkeit längst verschwunden, da der Mensch ein so langes Leben nicht aushält und letztlich der Kälte und Gleichgültigkeit verfällt. Verzweifelt über die Unmöglichkeit eines ewigen Lebens bietet sie jedem der Anwesenden das Papier an, jedoch niemand will es haben. Als die Tochter des Anwalts es schließlich verbrennt, stirbt Emilia inmittelbar darauf.

Dieses Libretto leidet unter einer großen Schwäche: es erlaubt keine dramatischen Zuspitzungen. Der Erbstreit lässt sich sachlich nicht mehr klären und harrt nur mehr der endgültigen juristischen Beerdigung. Die beiden Kontrahenten – der offizielle Erbe Prus und der klagende Gregor – verbindet kein inhaltlicher Konflikt, sondern nur das juristische Problem. Auch die Tatsache, dass die Männer reihenweise Emilia verfallen, vermag dem Plot keine dramatische Fülle zu verleihen. Zwar nimmt sich Christas Verlobter Janek aus Verzweiflung über die Abweisung durch Emilia das Leben, aber das hat für den weiteren Fortgang der Handlung keine Bedeutung, da Christa keine zentrale Rolle spielt.

Emilia Marty löst als „dea ex machina“ das Rätsel, bevor es sich zu einem menschlichen Drama entwickeln kann. Dabei kommt höchstens ein wenig Detektiv-Atmosphäre auf, menschliche Erschütterungen bleiben aus. Die abschließende Klage über die Unfähigkeit des Menschen, ein Leben weit jenseits der uns üblicherweise zugestandenen Zeitspanne sinnvoll auszufüllen, klingt zwar durchaus überzeugend, jedoch eher nach einer abgeklärten Predigt denn wie eine aus inneren oder menschlichen Konflikten gewonnene Erkenntnis.

Soweit die Aussage des Librettos. Janacek ist dem zumindest in den ersten beiden Akten diskursiven Charakter des Librettos durch die Musik entgegengekommen. Der Gesang beschränkt sich über weite Strecken auf rezitativen Sprechgesang, wobei die oftmals banalen Inhalte einer Büroumgebung nicht gerade zur Hebung der Intensität beitragen. Erst im letzten Akt gewinnt die Oper an Dynamik, wenn die Auflösung naht und mit ihr die Verzweiflung der Protagonistin über ihr so langes wie nutzloses Leben durchbricht. Hier steigert sich auch die Dramatik, zum Beispiel durch den Selbstmord Janeks. Die Szenen werden dichter und vor allem Susan Owen als Emilia kann jetzt ihre Stimme voll zur Geltung bringen. Die Inszenierung ist weitgehend auf die Rolle der Emilia zugeschnitten. Kaum eine Szene, außer am Anfang, in der sie keine zentrale Rolle spielt. Alle anderen Personen sind mehr oder weniger um sie herum gruppiert. Lediglich der senile Hauk-Schendorf (Matthias Wohlbrecht), der Emilia vor fünfzig Jahren mal geliebt hat und sie sofort wiedererkennt, spielt noch einmal so etwas wie eine Hauptrolle, wenn er mit Emilia durchbrennen will, jedoch von Männern in weißen Kitteln abgeführt wird….

Die Musik Janaceks sperrt sich gegen eine leichte Rezeption, typisch für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Dialoge auf der Bühne werden aus dem Orchestergraben oft durch einzelne, forcierte Stimmen – vorzugsweise Bläser – verschärft bis hin zur Karikatur des oben Gesungenen. Das Orchester wird zum eigenständigen Mitspieler, beschränkt sich nicht auf die musikalische Begleitung. Dies machte es den Sängern vor allem in den ersten beiden Sätzen bisweilen etwas schwer, sich durchzusetzen. Die rezitativen Dialoge verschwinden manchmal hinter dem Orchester, da das weite Rund der offenen Bühne die Worte verschluckt. Generell jedoch bemüht sich Dirigent Ian Watson erfolgreich, den Sängern ausreichend akustischen Raum zu belassen

Regisseur Friedrich Meyer-Oertel hat aus diesem Stoff herausgeholt, was möglich war. Die hervorragende Besetzung, allen voran Susan Owen als Emilia Marty, erleichterte ihm diese Aufgabe. Susan Owen dominiert nicht nur stimmlich sondern füllt ihre zentrale Rolle auch schauspielerisch aus. Judith Gennrich als Christa hätte man vor allem im letzten Akt etwas mehr Gelegenheit zur musikalischen Präsenz gewünscht, in dem sie auf die verzweifelte Pose reduziert ist. Thomas Fleischmann gibt einen agilen und selbstbewussten Anwalt Kolenaty, Richard Byrdy seinen ewig leicht gebeugten Gehilfen Vitek. Richard Brunners Rolle als Gregor ist eher undankbar, da weitgehend reaktiv, dasselbe gilt für Andreas Wagner, der einen verliebten und im Grund nichtssagenden Janek spielen und singen muss. Sehr präsent dagegen Hubert Bischoff als Jaroslav Prus, der sowohl Susan Owen als auch Emila Marty Paroli bieten kann. Das Orchester interpretiert die teilweise sperrige Musik Janaceks mit viel Gespür und Genauigkeit, wobei die Emotionen und Vorgänge auf der Bühne ihre oftmals nahezu synchrone Spiegelung im Orchester finden.

Dass man vor allem im ersten Satz nicht so recht weiß, „wohin die Reise gehen sollte“, liegt eindeutig an dem schwachen Libretto, das keine dramatische Grundlage schafft. Die starke Zentrierung der Handlung auf eine Person lässt obendrein die anderen Darsteller oft zu Statisten verkümmern, die am Rande der Bühne den Auftritt der Hauptperson verfolgen. Auch wenn am Schluss das Publikum Darsteller und Regie mit teilweise begeisterten Beifall und Bravos – ein „Buh“ – verabschiedete, bleibt die Frage nach der Bedeutung dieser Oper und damit nach dem Sinn der Inszenierung.

Sicher gehört „Die Sache Makropulos“ nicht zu den Meisterwerken der Opernliteratur, aber als Hinweis auf die musikalische Entwicklung dieser Gattung im 20. Jahrhundert hat diese Inszenierung sicher ihren Stellenwert. So geben die Schwächen eines Stückes oft mehr Anlass zur Diskussion, als dies bei unumstrittenen Werken und Aufführungen der Fall ist. Auf jeden Fall ist Regisseur und Darstellern dafür zu danken, diese selten gespielte Oper aus der Versenkung geholt zu haben und damit etwas zur Pflege der gesamten Opernliteratur getan zu haben.

Frank Raudszus

 

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