Commedia dell´arte – das war das vergnügliche, improvisierte Theater im Italien der Renaissance um Alltagsgeschichten und typische Vertreter der damals repräsentativen Stände. Meist handelten die kaum durchstrukturierten Stücke von Liebe, Verwechslung, Raffgier und listigen oder tölpelhaften Bediensteten. Carlo Goldoni (1707-1793) hat dieser Gattung mit dem Lustspiel „Diener zweier Herren“ ein Denkmal gesetzt.
Der Pantalone – einer der „alten“ Archetypen der Commedia – will seine Tochter dem Sohn des Rechtsgelehrten Lombardi (der andere Archetyp) vermählen, da der eigentlich vorgesehene Edelmann Frederico leider im Duell dahingeschieden ist. Mitten in die Verlobungsfeier platzt der Diener Truffaldino und meldet just den vermeintlich verstorbenen und ungeliebten Frederico an. Hinter dem versteckt sich jedoch seine Schwester Beatrice, die in seinen Kleidern nach ihrem Geliebten Florindo sucht, der ihren Bruder im Duell Duell getötet hat. Nur der Wirt erkennt Beatrice, hält jedoch den Mund. Kurz danach taucht ausgerechnet Florindo auf der Suche nach Beatrice auf, und Truffaldino verdingt sich aus Geldmangel und Dummheit auch ihm als Diener. Er ist nun „Diener zweier Herren“ und muss die sich anbahnenden Verwechslungen und Komplikationen irgendwie meistern, um nicht mit Schimpf und Schande davongejagt zu werden.
Wie in derlei Lustspielen üblich löst sich zum Schluss natürlich alles in Wohlgefallen und multiplen Eheschließungen auf. Wie es jedoch der tölpelhafte Truffaldino schafft, die Klippen der drohenden Entlarvung zu umschiffen und sich durch das selbst angerichtete Chaos zu lavieren, das ist der eigentliche Gegenstand der Komödie.
Wie spielt man nun so eine eher „gestanzte“ Komödie des 18. Jahrhunderts? Eine ernsthafte Aussage ist der Handlung kaum zu entlocken, zu sehr sind die Charaktere im wahrsten Sinne des Wortes als Masken angelegt. Echte Masken für die Archetypen Pantalone, Lombardi und Truffaldino unterstreichen diesen Charakter seit den Anfängen der Commedia dell´arte. Regisseur Thomas Krupa entschied sich, das Stück in der ursprünglichen naiv-burlesken Form zu inszenieren.
Das beginnt schon mit dem Bühnenbild: Eine einfache Bretterbühne hängt etwa einen halben Meter über der Bühne – Theater im Theater! – an langen Seilen. Ein separater Vorhang auf dieser „Zweitbühne“ wird standesgemäß zu Beginn vom Diener Truffaldino mühsam hochgezogen. Dahinter präsentieren sich die Schauspieler in gekünstelten und seltsam verrenkten Posen – ein Abbild ihrer jeweiligen Rolle. Dazu gehören außerdem nicht nur die echten Masken der erwähnten Protagonisten, sondern auch eine maskenhaft übertriebene Gestaltung der Gesichtszüge mit simulierten Halbglatzen und stark aufgetragener Schminke auch für die Männer. Da hilft dann bei der Identifizierung der Schauspieler nur noch das Programmheft.
Die Schauspieler legen ihre Rollen als Karikatur an, so wie es ursprünglich gedacht war, um das Stück auch einfachen Gemütern sofort zugänglich zu machen. Pantalone(Rolf Idler) schleicht als spitzbärtiger und nicht immer ganz ehrenhafter Kaufmann umher und versucht, für seine Tochter den renditeträchtigsten Ehemann zu finden. Seine vorne eindeutig ausgebeulte Hose weist auf Alterslüsternheit hin. Rolf Idler verleiht dieser Gestalt mit dem schütteren Ziegenbart die krächzende Stimme eines alternden Geizkragens und die einschmeichelnde Heuchelei einer nur auf ihren Vorteil bedachten Krämerseele. Edmund Jäger spielt einen übertrieben gravitätisch, gelehrsam und dabei selbstgefällig daher kommenden Dottore Lombardi, der im Zweifelsfall ein seinem gegenüber natürlich unverständliches lateinisches Zitat einflicht. Ansonsten bekommt er dank seiner eitlen Nabelschau nicht viel von den Verwechlsungen um ihn herum ab und fällt schon mal vor lauter Schwadronieren fast von der erhöhten Bühne.
Dreh- und Angelpunkt der Aufführung ist jedoch Michael Fuchs als Truffaldino. Schon allein seine körperliche Leistung ist bewundernswert. Er bewegt sich fast nur in großen Sprüngen über die Bühnen, dreht sich blitzschnell von einem drohenden Unglück zum nächsten, windet sich auf dem Bühnenboden und springt seine Herren fast an, wenn er sie von seiner verschleiernden Sicht der Abläufe überzeugen will. Stimmlich wechselt er unvermittelt vom weinerlichen Diskant zum selbstbewussten Brustton, so wenn er Smeraldina umwirbt.
Glanznummer ist das so lang ersehnte Mahl, bei dem er gleichzeitig beide Herren in unterschiedlichen Zimmern (links und rechts hinter den Kulissen) bedienen muss und dabei schließlich unter einem Hagel immer größerer Nahrungsmittel untergeht. Michael Fuchs leistet Schwerarbeit sowohl im physischen als auch im schauspielerischen Sinne, muss er doch sowohl den harlekinartigen Bewegungsdrang des Truffaldino in Akrobatik als auch seine geistige Überforderung in Grimassen und verzweifelten Ausreden ausdrücken.
Doch auch die anderen Rollen wirken neben Truffaldino nicht als bloße Statisten. Vor allem Gabriele Drechsel als Smeraldina hat viele Gelegenheiten, spitzbübisches Temperament und kichernde Schüchternneit mit pragmatischer Dienstbotensicht zu verbinden. Auch Karin Klein überzeugt erst als männlich und später verliebt weiblich auftretende Beatrice und hält die ironische Distanz auch dieser Rolle aufrecht, die immer Gefahr läuft, in „echte“, d.h. letztlich kitschige Liebesdramatik umzuschlagen. Da hat es Lutz Zeidler als Florindo schon schwerer, muss er sich doch meist auf gravitätische Anweisungen an Truffaldino oder auf ein schmachtendes „Beatrice..“ beschränken.
Christian Wirmer als hitzköpfiger Verlobter von Clarice, Pantalones Tochter, fuchtelt wild mit dem Degen um sich und verheddert sich dabei regiegerecht in den Seilen, zerfetzt (nicht regiegerecht) auch mal ein Stück der Kulisse und droht im übrigen unter lautem Schreien, verschiedene Personen umzubringen. Anita Köchl als Clarice karikiert die verliebte aber beinahe zwangsverheiratete Tochter bis zum Umfallen. Ihre äußere Aufmachung trägt dabei Einiges zum komischen Effekt bei. Überhaupt spielen die Kostüme bei dieser Inszenierung eine große Rolle. Sie wirken generell überzeichnet und beinahe grell, dabei jedoch nie unpassend, sondern illustrieren den grotesken Charakter des Stückes in kongenialer Weise. Jedes einzelne Kostüm wurde mit viel Liebe zum Detail und viel Humor ausgewählt und zusammengestellt. Selbst Nebenrollen wie die Kellner wirken als gelungene Karikaturen ihrer selbst. So muss es bei den Aufführungen der volkstümlichen Laientheater vor der Zeit Goldonis tatsächlich zugegangen sein. Gelacht haben die Zuschauer sicherlich noch viel mehr als heute, sahen sie doch Typen, die sie aus ihrem eigenen täglichen Leben in ähnlicher Ausprägung kannten. Heute lacht man nur noch über die gelungene Aufführung, direkte Analogien sind in dieser Form leider nicht mehr möglich.
Das Premieren-Publikum jedenfalls war begeistert und zeigte dies am Schluss durch prasselnden Beifall und viele Bravo-Rufen, die vor allem dem Hauptdarsteller Michael Fuchs galten.
Frank Raudszus
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