Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ im Staatstheater Darmstadt
Die Werkstattbühne des Staatstheaters Darmstadt versteht sich als Plattform für ausgefallene und kleinere literarische Produktionen. Vor allem Solo-Stücke fürs Theater oder entsprechend inszenierte Sprechstücke feierten hier schon öfter gelungene Premieren. Am 5. März setzt man diese Tradition mit der Aufführung von Kafkas „Bericht für eine Akademie“ fort. Diese Erzählung war eigentlich nie für das Theater gedacht, wie sich Kafka ja auch nicht als Dramatiker verstanden hat. Wer sagt jedoch, daß Theater der Ort nur für die dafür geschriebene Literatur sei? So lassen sich auch reine Sprechtexte auf die Bühne bringen, wenn sie nur ansprechend dargebracht werden. Im Werkstatt-Thater verkörperte unter der Regie von Peter Heusch der junge Richard Saringer den zum „Fast“-Menschen mutierten Affen.
Der Hintergrund der Erzählung ist kafkaesk genug: Ein Menschenaffe berichtet offiziell vor einem geladenen akademischen Publikum über seine „Menschwerdung“ und deren Bedeutung für ihn. An sein äffisches Leben kann er sich kaum noch erinnern, sein eigentliches „Leben“ beginnt mit der Gefangennahme und dem Transport per Schiff nach Europa. Während der Überfahrt wird er in einem äußerst beengten Käfig gehalten und dient den Matrosen als Objekt so geschmackloser wie derber Späße. Überraschend lernt er während dieser Zeit die ersten Menschenlaute und wird von den darob erstaunten Menschen systematisch zum „Ausstellungsstück“ fortgebildet.; soweit, daß er schließlich, in Frack und Zylinder gewandet, den Menschen Zeugnis von seiner Entwicklung ablegen kann.
Natürlich ist die Geschichte als einzige Parabel auf die Beengtheit der menschlichen Gesellschaft, den Wunsch nach einer diffus definierten Freiheit und nach Anerkennung zu verstehen. So sehr sich der Affe einredet, Teil der menschlichen Gesellschaft zu sein, ist er doch nur zwar bestauntes aber nicht ernst genommenes Wesen zweiter Klasse. Immer wieder fällt das Kafka-Wort von dem „Ausweg“ statt einer ungewissen Freiheit. Auch der Affe benötigt in jeder Lebenssituation nur einen Ausweg, keinen großen Lebensplan. Er bagatellisiert wortreich selbst die üblen Scherze und Quälereien seiner Umgebung, nur um weiterhin die Fiktion aufrecht erhalten zu können, er gehöre zu ihnen und sei akzeptiert.Hier drängt sich die Assoziation zur jüdischen Herkunft des Autors auf, den ein gnädiges Schicksal nicht mehr das Dritte Reich erleben ließ. In dem verzweifelt nach Integration sich sehnenden Affen erkennt man die Juden aller Zeitalter und vor allem in Deutschland Anfang dieses Jahrhunderts.
Richard Saringer trägt zum Frack des Akademie-Redners ein veritables Schimpansen-Makeup aus Farbe und dichter Kopfbehaarung. Seine Mimik und Gestik verwandeln ihn buchstäblich in einen sprechenden Affen. Wenn er mit breitem, tanzenden Gang hereinkommt, scheinen die Arme wirklich zum Boden zu reichen. Er springt mit einem federleichten Satz auf den hohen Hocker oder turnt zwischendurch am Katheder, sichert in typischer Affenart nach links und rechts mit vorgestrecktem Kinn, schmatzt nach dem Wassertrinken oder stößt gutturale Laute aus, wenn er sich erregt. Zwischendurch verfällt er in lethargische Pausen, wenn ihn plötzlich die Konzentration verläßt oder er in seine ursprüngliche Art zurückfällt. Richard Saringer hat diese perfekte Imitationsgabe durch längere Zusammenarbeit mit Affen gelernt; das kann man nicht einüben, das muß man tagtäglich am lebenden Objekt studiert haben.
Wenn der Darsteller nach seinem schaukelnder Abgang zum verdienten Beifall wieder auf der Bühne erscheint, ist man richtiggehend verwundert, plötzlich einen normalen Menschen ohne jegliche äffische Züge vor sich zu haben; derart stark war die suggestive Wirkung seines Spiels. Bei der anschließenden Premierenfeier wurde er noch einmal zu recht stürmisch gefeiert.
Frank Raudszus
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