Swakopmund bietet ein frisches Seeklima und „Wintersport“ in den Dünen.
Für den Vormittag haben wir eine Dünentour mit der „Living Desert Tour“ gebucht. Kurz nach acht Uhr kommt Marius, ein gestandener Mitvierziger, zu unserer gastlichen Lodge „Sam’s Giardino“ und lädt uns in seinen Jeep ein, in dem bereits andere Teilnehmer auf uns warten. Marius nimmt die nächste Abzweigung von der Hauptstraße und fährt direkt in das ausgetrocknete Flussbett des Swakop hinunter, wo bereits der zweite Jeep auf uns wartet. Dann geht es direkt an den Fuß der ersten Düne, und Marius beginnt erst einmal mit einigen Erklärungen zur Wüste und ihrer Fauna und Flora.
Die Namib-Wüste erstreckt sich von Süden nach Norden entlang der Atlantikküste auf einer Länge von zweitausend Kilometern und ist an der breitesten Stelle – bei Swakopmund – einhundertvierzig Kilometer breit. Die Dünen können bis zu 80 Grad Celsius heiß werden, ihre steile Flanke hat eine Neigung von 34 Grad, die flache 11 bis 17 Grad. Aufgrund des kalten Benguela-Stroms aus der Antarktis und der hitzebedingten senkrechten Thermik über dem Land weht ein ständiger starker Seewind, der den vom Benguela-Strom aus den Diamantengebieten Südafrikas hierher gebrachten und am Strand angeschwemmten Wüstensand ins Landesinnere bläst. „Desert“, zu Deutsch „Wüste“, heißt eigentlich „verlassen“, doch so verlassen von jeglichem Leben ist die Wüste im Grunde genommen gar nicht. Zweihundert verschiedene Käferarten leben in ihr, und sogar neun verschiedene Silberfische finden hier ihr Auskommen, während es in Deutschland davon nur zwei Arten gibt. Marius und sein Kollege vom anderen Jeep suchen Tierspuren im Dünensand und werden schnell fündig. Wo die Spuren verschwinden, haben sich die Tiere im Sand versteckt.
Als erstes gräbt Marius die „White Lady“ aus, eine weiße Spinne – als Nachttier ohne Pigmente – mit acht Augen, die in allen Richtungen nach Beute und Gefahr Ausschau halten können. Die schwarze Wespe ist ihr größter Feind, da sie die Spinne als Wirtstier für ihre Eier „missbraucht“. Um ihr zu entgehen, kann sich die Spinne zu einer Kugel zusammenrollen und sich mit bis zu zwanzig Meter pro Sekunde den Hang hinunterrollen lassen. Als nächstes fängt unser Dünenführer eine kleine, ebenfalls pigmentlose Echse, die von Hand zu Hand wandert und sich dann wieder im Sand verstecken darf. Eine besondere Aktion ist wenig später der mehrfarbige Gecko, dessen Versteck Marius ausfindig macht. Er hält das kleine Tier vorsichtig im eigenen Körperschatten, da es keine Sonne verträgt, schon gar nicht die stechende Vormittagssonne. Das possierliche Tier ist vollständig transparent und besitzt keinerlei Pigmente. Man kann sogar den Mageninhalt sehen. Die großen Knopfaugen schauen irritiert weil geblendet in die helle Umgebung, und unter der blau-grün-orange eingefärbten Haut sieht man das kleine Herz aufgeregt schlagen. Auch der Gecko darf bald wieder in seine unterirdische Kammer und gräbt sich in Windeseile einen neuen Tunnel.
Die Blindschleiche ist ebenfalls tagblind, kommt lebend zur Welt, ernährt sich unter anderem von Silberfischen und wirft beim Wachstum die nicht mitwachsende Haut ab.
Bei den Käfern gibt es eine besondere Art, den „Walking Waterbottle“. Dieser schwarze Käfer stellt sich am Morgen auf den Kopf und lässt das Wasser des Morgennebels am Körper bis zu seinem Mund hinunterlaufen. Die Hornviper ist dagegen schon wesentlich gefährlicher. Sie verspritzt ein auch für Menschen gefährliches Gift und vergräbt sich gerne im Schatten von Bäumen oder Zaunpfählen, die hier für Absperrungen gesetzt werden. Aus dem Sand schaut dann nur ein starres Auge hervor, dass auf Insekten lauert. Der Mensch hält sich lieber von diesen kleinen Schattenstellen fern, will er nicht unliebsame Überraschungen erleben. Ähnliches gilt für den schwarzen Skorpion, von dem Marius ein Exemplar mit seiner Baseball-Kappe vorsichtig in den Dünen fängt und uns am langen Stock präsentiert. Das Tier sieht mit seinem hochgebogenen Schwanz geradezu elegant aus, seine Giftigkeit sorgt jedoch für den entsprechenden Respekt, vor allem, nachdem Marius die Folgen eines Bisses drastisch geschildert hat.
Als Höhepunkt der kleinen Tierschau präsentiert uns Marius ein Chamäleon, das regungslos in einem kleinen Busch sitzt und aussieht wie ein kurzer, dicker Ast des Busches. Als Marius einen Käfer langsam seinem Kopf nähert, spannt sich der kleine Körper fast unmerklich, um beim Erreichen der richtigen Entfernung blitzschnell die Zunge herausschnellen zu lassen und den Käfer damit einzufangen. Das Ganze führt Marius einige Male vor, was bedeutet, dass das Chamäleon seinen „Versorger“ bereits kennt und wohl hier auf ihn gewartet hat.
Nach dieser informativen und immer wieder überraschenden Tour durch das Leben der Wüste kommt der sportliche Teil des Vormittags. Nun geht es mit den geländegängigen Jeeps hoch in die Dünen, wo nur noch verblasene Wagenspuren die Richtung vorgeben. In – scheinbar – gefährlicher Schräglage geht es an den Dünenhängen entlang, dann ein Steilstück hinauf und hinter dem Kamm hinunter in die gähnende Leere des Talhangs, der nach der Gefühlslage des ersten Moments senkrecht abzufallen scheint. An einem Dünenhang bleiben wir zweimal kurz vor dem Kamm hängen und setzen beim dritten Mal oben auf. Erst nachdem Marius und sein Kollege den Kamm per Hand etwas abgetragen haben, geht es mit eingeschalteter Differentialsperre und Vollgas über den Kamm hinweg ins nächste Dünental. So kurven wir zwischen den Dünen hindurch und über sie hinweg in Richtung der größten Düne, die einen ausgeprägten Gipfel aufweist. Diesen erreichen wir zwar nicht ganz, bleiben jedoch nur etwa zehn Meter unterhalb stehen, sodass der kleine Aufstieg keine große Mühe mehr erfordert. Von dort genießen wir einen weiten Blick über den Strand, die Brandung und den strandnahen Dünengürtel von Walvis Bay bis ins nahe Swakopmund. Fast fühlt man sich wie in den Bergen, nur mit mehr Wasser und weniger Grün ringsum.
Am Nachmittag lassen wir uns noch auf eine zweite Dünenerfahrung ein. Hendrik May, ein thüringischer Skispringer in den Dreißigern, bietet in Swakopmund mit seiner Firma „Ski-Namibia“ Dünen-Skifahren an. Dazu hat er ein völlig neues Wachs entwickelt, dass die Ski auf dem Dünensand zum Gleiten bringt, ansonsten bleibt die Ausrüstung gegenüber dem üblichen „Schnee-Ski“ unverändert. In seiner Garage probieren wir Skischuhe und Ski an, und dann geht es mit dem Jeep erneut hinaus in die weiße Wüstenlandschaft. Erst fahren wir eine Zeitlang durch die flache Ebene, vorbei an der alten, nur halbwegs abgebauten Eisenbahnlinie, dann biegt Hendrik nach rechts zu den Dünen ab und parkt den Jeep am Fuß einer etwa achtzig Meter hohen Düne. Wir steigen in die Skistiefel, wuchten die Ski auf die Schulter – und ab geht’s im Gänsemarsch die Düne hinauf. Aufstiegshilfen gibt es hier nicht. Einen Lift kann man im flüchtigen Untergrund der Dünen nicht bauen, und außerdem wäre das auch eine ökologische Sünde. Die Auffahrt mit dem Jeep ist prinzipiell zwar denkbar, wäre aber angesichts des schmalen Kammes und der steilen Düne etwas riskant, würde viel Sprit verbrauchen und wäre außerdem völlig unsportlich. So erklimmen wir halt wie in den fünfziger Jahren in den Alpen den Berg zu Fuß. Knapp eine Viertelstunde dauert der Aufstieg, dann müssen wir uns auf dem schmalen Kamm die Ski anschnallen, immer in der Furcht, ein Ski könnte unversehens nach unten abgehen.
Schließlich stehen alle parat, und die Abfahrt kann beginnen. Die ersten Schwünge sind selbst für geübte Skifahrer etwas ungewohnt, das Problem sitzt jedoch weniger im Sand als im Kopf, da man der Unterlage nicht traut. Doch es geht besser als gedacht, wenn auch deutlich langsamer als auf Schnee. Am Ende der etwa eine halbe Minute währenden Abfahrt gelingen schon die ersten Parallelschwünge. Begeistert und zusätzlich motiviert geht es wieder hinauf. Erst nach der dritten, nun schon wesentlich flotteren Abfahrt beenden wir diesen Ausflug in den „Skizirkus Swakopmund“ und kehren aufgekratzt zu unserer Lodge zurück. Sicher ist Dünenski ein guter Gag, und jeder halbwegs gute Skifahrer wird es einmal versuchen wollen. Man kann sich durchaus vorstellen, dass diese Geschäftsidee mit ein wenig zusätzlicher Infrastruktur ein Erfolg wird. Dazu gehört jedoch, dass der Veranstalter genügend Interessenten findet, die bereit sind, die Düne in Skistiefeln zu erklimmen.
Am zweiten und letzten Abend in Swakopmund genießen wir den Sonnenuntergang standesgemäß im „Jetty 1905“ am Ende der Landungspier. Die Speisekarte bietet leichte Mahlzeiten, von Austern – roh oder gebacken – über verschiedene Fischsorten bis zu exquisiten Desserts. Doch der Schwerpunkt eines abendlichen Besuches dieses Hauses liegt in der Bewunderung des Sonnenuntergangs über dem wolkenlosen Horizont des Atlantiks. Während man durch Glasfenster im Fußboden die Wellen unter der Pier anbranden sehen kann und Delphine oder große Seevögel um die Landungspier ihre Kreise durch Wasser und Luft ziehen, sinkt die Sonne langsam „ins Meer“, und dabei schmeckt der „Sundowner“ doppelt gut. Wir genießen diesen letzten Abend am Meer mit doppelter Intensität, denn morgen geht es weiter Richtung der Etosha-Pfanne. Auf dem Weg dorthin werden wir jedoch noch eine Zwischenstation auf halber Strecke nahe der Stadt Omaruru einlegen.
Frank Raudszus
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