„Don Giovanni á trois“ beim Rheingau Musik Festival.
Eine englische Komödie fasst die gesamten Shakespeare-Werke in eine knapp zweistündige Zusammenfassung, in der sich die wesentlichen Charaktere im Sekundenabstand die Hand reichen und ihre Auftritte auf wenige große Worte beschränken. Für Zuschauer mit knappem Zeitbudget bietet dieser Ansatz eine hervorragende Übersicht über die Werke des Engländers, ohne umfangreiche Bücher lesen oder gar unzählige Theaterbesuche auf sich nehmen zu müssen. Die Musiker Michael Quast und Sabine Fischmann (Gesang) sowie Theodore Ganger (Klavier) haben jetzt eine ähnliche Methode entwickelt, um den von Sparrunden betroffenen Opernhäusern die kostengünstige Präsentation großer Opern zu ermöglichen, und haben gleich mit einem der bedeutendsten Werke des Musiktheaters begonnen: dem „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Ihre Adaption trugen sie am 11. Juli im Schloss Johannisberg anlässlich des Rheingau Musik Festivals vor.
Zwei Stühle und ein Mikrofon (nicht zur Gesangsverstärkung!) reichen als Bühnenbild, der Flügel ersetzt das Orchester – welche Einsparmöglichkeiten! Und schon bei der Ouvertüre betätigen sich die beiden Sänger eifrig als Instrumenten-Imitatoren und füllen den Klavierklang damit orchestral auf. Der Vorhang hebt sich verbal, und schon geht es mehrstimmig los. Michael Quast vereint all die Männerstimmen auf sich – Don Giovanni, Leporello, Don Octavio, Masetto -, während Sabine Fischmann Donna Elvira, Donna Anna, Zerlina und – ausgerechnet – den Komtur darstellt. Bei Quast wird Leporello zum ein wenig quäkigen Sachsen. Glücklicherweise strapaziert Quast das bei Kabarettisten ach so beliebte sächsische Idiom nicht bis zum Kalauer, so dass es einen gewissen Humorwert behält. Don Giovanni wird bei ihm zum abgebrühten Allerwelts-Macho, der jedem Rock nachsteigt, keine Gelegenheit auslässt und im Übrigen Leporello immer als einfältigen Prellbock vor sich herschiebt. Masetto beschränkt sich bei ihm auf eifersüchtiges Knurren (wie ein Kampfhund!), blödes Schauen und beleidigtes Schweigen. Der schon bei Mozart eitle und ölige Don Octavio wird zur Karikatur seiner selbst, wenn Quast ihn mit selbstgefälliger und doch ängstlicher Fistelstimme spielt. In schnellen Dialogen wechseln dann die Interpretationen im Sekundentakt und ernten allein dadurch Lacher.
Sabine Fischmann hat es mit ihrem Rollenrepertoire nicht leichter: eine stets mit einem „Press-Sopran“ keifende Donna Elvira – die verlassene Frau/Geliebte von Don Giovanni -, die mit herzblut-getränktem Alt vor sich hin leidende und permanent Rache fordernde Donna Anna und schließlich die „Vorstadt-Braut“ Zerlina, die mit coolen Sprüchen und leicht zurückgebliebenem Intellekt den aufregenden Ereignissen um ihre Person folgt, fordern von ihr hohe Variabilität der Stimme und viel darstellerisches Talent. Glaube man nur nicht, die übertriebene, karikierende Darstellung der Stimmen sei leichter als „ernsthaft“ gesungene Stimmen. Gerade das richtige Maß an Überzeichnung und der schnelle Wechsel stellen die höchsten Anforderungen. Der Disco-Jargon der Zerlina kam natürlich wegen seiner wenig opernhaften Diktion beim Publikum besonders gut an, doch gerade in den Arien der Donna Anna zeigte Sabine Fischmann, dass sie auch andere gesangliche Qualitäten als nur die der Komödiantin besitzt. Dass ihr Michael Quast als eitler und eifersüchtiger Impresario in die schönste Arie immer hinein- und den Vortrag schlecht redete, war nicht nur ein guter Regiegag sondern sollte wohl auch verhindern, dass mit dieser Arie ein „falscher Ernst“ in die Aufführung kam. Aus „Rache“ klemmte ihm Sabine Fischmann zweimal den Versuch ab, die große Arie Nr. 21 des Don Octavio in einer großen Selbstinszenierung zu präsentieren. Doch trotz Quastscher Querschüsse zeigte Sabine Fischmann in der Arie der Donna Anna, dass sie singen kann, genauso wie Michael Quast, der jedoch immer wieder selbstironisch die Parodie des Bühnenjunkies in den Vordergrund stellte. Herrlich, wenn er „Reich mir die Hand, mein Leben“ als italienischer Ramazotti-Verschnitt mit den Allüren des Vorstadt-Machos gibt, denen die ein wenig dümmliche Zerlina „kaum widerstreben“ kann. Und wenn dann das Ständchen für die Kammerzofe fällig ist, legt sich Sabine Fischmann als Gitarre auf Quasts Schoß und intoniert zu seinen gefährlich im Gürtelbereich angesiedelten Zupfbewegungen den Klang der Gitarrenseiten.
Zu all dem liefert der amerikanische Pianist Theodore Ganger virtuos den Klavierpart und trinkt dabei stoisch seinen (echten?) Champagner, der im Kübel unter dem Flügel vor sich hin kühlt. Das finale Abendessen bei Don Giovannis mit Besuch des Komturs – übrigens herrlich dargestellt von Sabine Fischmann – wird dann zum Höhepunkt wie in der richtigen Oper. Nur, dass Don Giovanni bei Flaschenbier (Schnappverschluss!) und Butterbrot wie auf dem Bau vor sich hin schwadroniert und Musik verlangt, die dann auch plötzlich ganz anders vom Klavier kommt. Während Ganger gängige Evergreens spielt, nähert sich ihm Sabine Fischmann als ein den Pianisten anmachender Vamp – Marlene Dietrich lässt grüßen – und spielt dann mit ihm verschiedene Musikgattungen durch – alle musikalischen Klischées der letzten einhundertfünfzig Jahre kommen fetzig aus vier Händen. Dazu räsoniert ein Bier saufender Spießer Don Giovanni mit vollem Mund aus seiner Ecke, übernimmt schließlich eitel den Beifall für „Stranger in the Night“, gesungen von Theodore Ganger, und legt mit Sabine Fischmann noch ein abschließendes Potpourri der Trivialmusik auf die Bühne, der in dem aktuellen Kurzlied „Stuttgart ist doch besser als Berlin“ (Melodie „Yellow Submarine“) endet, bevor die Schlussapotheose – nun wieder mit Mozarts Musik – den Untergang Don Giovannis und die „Moral von der Geschicht“ aus dem Munde seiner Opfer erklingt.
Rundherum ein temporeicher, witziger und musikalisch gehaltvoller Abend, der sicher auch dem Komponisten wunderbar gefallen hätte. Wer sich in Opern und speziell „Don Giovanni“ auskennt, kann diese Aufführung noch wesentlich besser genießen, weil immer die „echten“ Interpretation im Kopf auftauchen und den Witz durch den Vergleich noch verstärken. Wer hier erst die Handlung kennen lernt, muss das Ganze natürlich für eine ziemlichen Klamauk, kurz: eine typische „opera buffa“ halten. Aber auch die opernunkundigen Besucher haben sich an diesem Abend offensichtlich sehr gut amüsiert, und die Männer unter ihnen durften sich noch an dem Anblick der nicht nur musikalisch hoch begabten sondern auch äußerst attraktiven Sabine Fischmann erfreuen.
Frank Raudszus
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