Ein Diskurs zur aktuellen Islam(isten)-Debatte.
In einem Interview hat der slowenische Philosoph und erklärte Linke Slavoj Zizek mitgeteilt, dass er Bücher wie dieses mit seinen immerhin sechzig Seiten an einem Nachmittag herunterschreibe. Ob das nun als „Understatement“ oder Renommiergehabe zu deuten ist, sei dem Leser überlassen. Sicher will der Autor damit jedoch nicht sagen, dass dieses Buch die Lektüre nicht wert sei.
Aktueller könnte das Buch kaum sein, nimmt es doch in der Einleitung bereits das Attentat auf „Charlie Hebdo“ als Ausgangspunkt. Zizek analysiert die Ursachen für den fundamentalistischen Terror der Islamisten und kommt dabei zu der Erkenntnis, dass nicht Hass auf die „Unreinheit“ der westlichen Lebensform der Grund sei. Wer sich wahrhaft für geistig überlegen halte, müsse den Unterlegenen nicht mit Gewalt bedrohen sondern könne ihm gar mitleidiges Verständnis entgegenbringen. Für Zizek beruht der Hass auf einem Minderwertigkeitskomplex und dem uneingestandenen Wunsch nach eben der westlichen Lebensart, gepaart mit der unbedingten Forderung, diese nicht als später Adept sondern als „Trendsetter“ und in einer Führungsrolle zu genießen. Das führt aus seiner Sicht, gepaart mit der evidenten ökonomischen und technologischen Rückständigkeit der meisten islamischen Länder, zur Kompensation durch Gewalt.
In diesem Zusammenhang stellt Zizek die Behauptung nauf, dass die säkular-liberale Demokratie westlichen Musters sich gerade wegen ihrer fehlenden Leidenschaft nicht gegen den islamistischen Furor wehren könne und die Linke benötige, um wieder eine kämpferische Linie zu gewinnen. Woher Zizek nach dem weltweiten Zusammenbruch des Sozialismus 1989/90 und angesichts dessen desolater aktueller Situation – Nordkorea, Venezuela, Bolivien, China (das man schon gar nicht mehr als „links“ bezeichnen kann) – dieses Zutrauen nimmt, bleibt sein privates Geheimnis, das er auch in seinen „himmlischen Geistern“ nicht gelüftet hat. Doch er propagiert diesen Zusammenschluss in fast patriarchalischer Jovialität, als ob eine vereinigte Linke die westlichen Demokratien vor der endgültigen Niederlage gegen den Islamismus retten könne. Beweise bringt er dafür nicht, doch seine Analyse des Islamismus selbst ist weitgehend nachvollziehbar und lohnt die Lektüre. Vor allem hütet er sich vor einer Dämonisierung des islamistischen Terrors und öffnet damit eine Tür für weitere sachliche Dikussionen.
Im zweiten Teil öffnet er die „geheimen Archive“ des Islams, das heißt, er versucht, das Weltbild des heutigen Islams auf geheime weil unterdrückte Mythen zurückzuführen. Dabei bildet die offensichtliche und von ihm weder bestrittene noch in irgendwelcher Weise entschuldigte Unterdrückung der Frau im Islam einen wesentlichen Angelpunkt. Dabei vergleicht er Islam, Judentum und Christentum und findet vor allem zwischen ersteren beiden Gemeinsamkeiten, die folgerichtig zu ähnlichen fundamentalistischen Strömungen führen, wobei jedoch die Juden keinen Grund für einen technologischen oder ökonomischen Minderwertigkeitskomplex haben. Die Frau bildet bei beiden Religionen einen Fluchtpunkt des männlichen Denkens, mit schwerwiegenden psychologischen Verzerrungen des männlich-patriarchalischen Denkens, die sich nicht vereinfachend auf das Begriffspaar „Heilige und Hure“ zurückführen lassen. Zizek bemüht vor allem beim Islam die Entstehungsgeschichte der Religion und zieht dazu den (linken) Psychoanalytiker Lacan heran, der äußerst verwickelte und vielschichtige Theorien über Religion und Verdrängung entwickelt hat. Für den normalen, Lacans Denk- und Schreibweise nicht gewohnten Leser wird es hier sehr schwierig, da allein schon die Ausdrucksweise im psychoanalytischen Raum hohe Anforderungen an Kenntnisse wie Leseerfahrung stellt. Bei all diesen Analysen schält sich jedoch zunehmend heraus, dass sie alle Spekulationen darstellen, die zwar in sich geschlossen wirken und auch sein mögen, jedoch weitgehend unbewiesen sind – wie ja auch Freuds Theorien. Man kann sich nicht vorstellen, dass irgendein muslimischer Theologe oder gar frommer Muslim im Interview die tief im Mythos begrabenen Ursachen für sein Denken eingestehen würde – einfach, weil er sie wahrscheinlich nicht verstehen würde oder nicht mit seinem alltäglichen Leben – im Falle des Theologen mit dem Koran – in Verbindung bringen könnte. Für Zizek ist Lacan jedoch so etwas wie ein unverrückbarer archimedischer Punkt, von dem man die ungeliebte westlich-liberale Denkungs- und Lebensart aus den Angeln heben kann. Also unterwirft man auch den Islam der Lacanschen Deutungshoheit und schafft dabei ein in sich homogenes und konsistentes Weltbild. Ob das mit der Realität übereinstimmt, ist dabei erst einmal zweitrangig. Der linke Philosoph deutet nicht die Welt sondern erschafft sie!
Das Buch ist im Ullstein-Verlag erschienen, umfasst 63 Seiten und kostet 4,90 Euro.
Frank Raudszus
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